Foto: APA/HELMUT FOHRINGER

Der Maßnahmenvollzug ist – vorerst – nicht Teil des Antiterrorpakets der Bundesregierung.

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Wien – Kurz nach dem islamistischen Terroranschlag in der Wiener Innenstadt am 2. November präsentierte die Regierung Vorhaben, die zahlreiche Verschärfungen im Antiterror-Bereich vorsahen. Am Mittwoch wurden diese Vorhaben nun konkretisiert, ein erster Teil des Pakets wurde im Ministerrat beschlossen, ein zweiter soll nächstes Jahr folgen. Die präsentierten Maßnahmen gehen am Freitag in eine sechswöchige Begutachtung. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) sprach von einem "starken und klaren Zeichen der Bundesregierung gegen jede Form von Terror", Justizministerin Alma Zadić (Grüne) betonte, es gehe um "wirksame und effektive Bekämpfung von Terror, ohne die Grundrechte außer Acht zu lassen".

Bis zuletzt wurde über Details koalitionsintern intensiv verhandelt. Als besonders strittig galten die angekündigten Maßnahmen im Bereich neuer Haftformen für terroristische Straftäter sowie die Schaffung eines neuen Straftatbestands, der ursprünglich auf den "politischen Islam" hätte gemünzt sein sollen.

Bis zu zwei Jahre Haft

Einig geworden ist man sich bei der Schaffung eines neuen Straftatbestands. Dieser ist allerdings nicht allein auf den "politischen Islam" gemünzt, sondern religionsneutral formuliert und zielt auf jedwede religiös motivierte extremistische Verbindung ab. Definiert wird diese Verbindung als solche, die auf "gesetzeswidrige Art und Weise die wesentlichen Elemente der demokratischen rechtsstaatlichen Grundordnung durch eine ausschließlich religiös begründete (...) Ordnung zu ersetzen versucht". Und zwar "indem sie die Vollziehung von Gesetzen (...) zu verhindern oder sich religiös begründete Hoheitsrechte anzumaßen oder durchzusetzen versucht". Für die führende Teilnahme an einer solchen Verbindung drohen bis zu zwei Jahre Haft, wenn die Person oder ein anderer Teilnehmer eine "ernstzunehmende gesetzeswidrige Handlung ausgeführt oder zu ihr beigetragen hat". Bis zu ein Jahr droht bei fördernder Teilnahme an der Verbindung, sei es mit Geldmitteln oder in sonstiger Form.

Zwar ist der Tatbestand neutral formuliert, Kultus- und Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) sah darin aber eindeutig einen "zentralen Baustein zur Bekämpfung des politischen Islam". Es gehe "um den politischen Islam", das werde "sehr deutlich". Nehammer betonte, dass dieser Tatbestand künftig auch bei der Bekämpfung der Muslimbruderschaft helfen solle.

Zudem will man stärker gegen radikale Umtriebe in Moscheen vorgehen, extremistische Vereine sollen schneller geschlossen werden können. Konkret soll das Kultusamt in Zukunft in "besonders schwerwiegenden Fällen" auch ohne Aufforderung zur Abstellung Moscheen schließen können. In einem Imame-Verzeichnis sollen alle Prediger aufgelistet werden, auch ausländische, und das Kultusamt soll darauf Zugriff erhalten. Das Auslandsfinanzierungsverbot soll verschärft werden.

Raab verteidigte in der ZiB 2 des ORF das Gesetz: durch die neutrale Regelung sei die Verfassungskonformität garantiert.
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Vorerst keine neue Haft

Die Ankündigung, terroristische Straftäter bei fortlaufender Gefährdung auf unbestimmte Zeit im Maßnahmenvollzug oder in einer neuen, ähnlichen Haftform unterzubringen, findet sich hingegen nicht im Gesetzespaket wieder – vorerst. Offenbar sollen entsprechende Überlegungen in eine schon lange angekündigte Gesamtreform des Maßnahmenvollzugs eingebettet werden.

Eingeführt werden soll zudem eine Gefährderliste mit dem Ziel, dass ehemalige Terrorstraftäter nicht bei Unternehmen in kritischer Infrastruktur arbeiten dürfen, um dort sicherheitsrelevante Aufgaben zu übernehmen. "Unmöglich" solle es zudem werden, dass so jemand "jemals wieder eine Waffe in unserem Land erwerben" könne, sagte Nehammer. Jede Neuausstellung von Waffenpässen oder Besitzkarten muss zudem künftig vom Verfassungsschutz geprüft werden. Doppelstaatsbürgerschaften sollen "klarer, schneller" aberkannt werden können, dafür soll die gesetzliche Grundlage geschaffen werden. Im Bereich des Symbolegesetzes kommt es auch zu Änderungen. So soll etwa das Symbol der Identitären Bewegung und jenes ihrer Abspaltung verboten werden. Auch jenes der Gruppierung "Hib ut-Tahrir", einer Abspaltung der Muslimbruderschaft, soll verboten werden, ebenso jenes der Gruppierung "Kaukasus-Emirat" sowie der "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C)".

Konferenzen vor Entlassungen

Ebenso geplant sind sogenannte Entlassungskonferenzen, bei denen Sicherheitsbehörden und Deradikalisierungsexperten sowie die Bewährungshilfe eine Entscheidungsgrundlage für Gerichte hinsichtlich einer bedingten Entlassung liefern sollen. Bei diesen Konferenzen sollen nicht nur die erwähnten Experten, sondern auch das soziale Netz des Verurteilten teilnehmen, etwa Lehrer oder Familienangehörige. Acht Millionen Euro werden für Präventionsmaßnahmen veranschlagt, sagte Zadić.

Kommt es zu einer bedingten Entlassung, soll für die Dauer der Probezeit eine gerichtliche Aufsicht angeordnet werden. Der Entlassene soll engmaschiger kontrolliert werden, mittels Weisungen soll auch angeordnet werden können, dass der Entlassene bestimmte Umfelder oder Personen meiden soll. Je nach Art der Weisung soll das Gericht die Sicherheitsbehörden, die Jugendgerichtshilfe oder andere Stellen mit der Überwachung der Einhaltung der Maßnahmen beauftragen. Zudem soll während dieser Zeit eine Fallkonferenz tagen, die dem Informationsaustausch der betrauten Stellen dienen soll.

Doch auch darüber hinaus sollen Kontrollmöglichkeiten geschaffen werden: Sollte das Gericht zu dem Schluss kommen, dass weitere Maßnahmen notwendig sind, kann eine "elektronische Überwachung der Einhaltung von Weisungen" angeordnet werden – allerdings nur mit Zustimmung des Entlassenen. Dafür sollen laut Entwurf auch weitere Voraussetzungen gelten: Die Überwachung muss unbedingt notwendig sein, um weisungsgemäßes Verhalten sicherzustellen; die Überwachung in der eigenen Wohnung ist nicht erlaubt. Mit der Überwachung werden die Sicherheitsbehörden betraut.

BVT-Reform verschoben

Im Bereich der organisierten Kriminalität und des Terrorismus sollen außerdem neue Instrumente geschaffen werden. So sollen künftig Vermögensgegenstände unabhängig vom Nachweis einer rechtswidrigen Tat eingezogen werden können, solange das Gericht von der illegalen Herkunft überzeugt ist.

Die angekündigte BVT-Reform wird weiter aufgeschoben. Die Ergebnisse der Untersuchungskommission, die Behördenversagen im Vorfeld des Anschlags klären soll, sind zudem noch ausständig. Der Bericht soll erst nächste Woche, aber noch vor Weihnachten, präsentiert werden. Die Ergebnisse der Kommission sollen dann in die zweite Etappe des Pakets einfließen.

IGGÖ sieht Verfassungswidrigkeit

Die Reaktionen auf das präsentierte Paket fielen unterschiedlich aus. So reagierte etwa die SPÖ auf das Paket zurückhaltend. Zumindest die Überschriften seien näher an der rechtlichen Realität und Expertenmeinung orientiert, meinte Sicherheitssprecher Reinhold Einwallner. Von einem übereilten Schnellschuss sprachen die Neos. Vernichtend fiel das Urteil der FPÖ aus. Parteiobmann Norbert Hofer sprach von einer "Skandalentscheidung", weil der politische Islam nicht verboten werde und auch keine Präventivhaft komme.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) kritisierte, in die Verhandlungen bezüglich der Verschärfungen des Islamgesetzes nicht eingebunden worden zu sein. Die Einführung eines Straftatbestands gegen religiös motivierten Extremismus, den Raab ja explizit auf den sogenannten "politischen Islam" verstanden wissen wollte, stellt aus Sicht der IGGÖ einen Verstoß gegen die Verfassung dar.

Der Strafrechtsexperte Richard Soyer sieht die Maßnahmen zur Prävention und Resozialisierung auf Nachfrage des STANDARD "prima vista vernünftig und nicht überschießend, sie bringen aber einen beträchtlich erhöhten Personalbedarf mit sich".

Rechtsexperte sieht Sanktionen kritisch

Die im Paket enthaltenen Sanktionen sehe er dagegen kritisch: "Bei strafrechtlichen Sanktionen sind Schnellschüsse grundsätzlich zu vermeiden. Ein erweiterter Verfall von Vermögen unklarer Herkunft ist äußerst missbrauchsanfällig. Der vorgeschlagene neue Straftatbestand einer religiös motivierten extremistischen Verbindung ist dem bestehenden Straftatbestand der staatsfeindlichen Bewegung gemäß Paragraf 247a StGB nachgebildet – rechtstechnisch sollte hier eine Novelle beziehungsweise Ausweitung des bestehenden Tatbestands überlegt werden anstatt wieder einmal anlassbezogen ein gänzlich neues Delikt zu schaffen."

Amnesty International erblickte in den angekündigten Maßnahmen ernste Eingriffe in die Menschenrechte. Man plädierte für eine Evaluierung der bestehenden Instrumente. (Vanessa Gaigg, Colette M. Schmidt, APA, 16.12.2020)