Der Präsident der Jüdischen Gemeinde in Graz ist überzeugt, man hätte schon vor Jahren die Gefährlichkeit der Muslimbruderschaft erkennen können.

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Die Großrazzia "Luxor" vor einem Monat in den Reihen mutmaßlicher Mitglieder der Muslimbruderschaft hat verstärkt ein Licht auf deren interne (Finanz-)Strukturen und islamistische Agitation geworfen. Die Organisation sei "zutiefst gefährlich" und wolle "die Demokratie aushebeln", hatte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) die Operation argumentiert.

Davor warnt jetzt auch der Präsident der Grazer Kultusgemeinde, Elie Rosen, der im August Opfer eines tätlichen islamistisch motivierten Angriffes wurde, im Gespräch mit dem STANDARD. Auch hier auf lokaler Ebene, in Graz, habe man schon vor Jahren – quasi exemplarisch – einen "Prozess der Durchwanderung der Institutionen" von führenden Mitgliedern der Muslimbruderschaft beobachten können, sagt Rosen.

Nämlich auf der Grazer Universität, wo die europäische Elite der Muslimbruderschaft in einer groß angelegten Vortragsreihe über den "Islam in Österreich" und die "Integration der Muslime in der Gesellschaft" debattieren konnte. Jetzt ist der Koorganisator der damaligen Uni-Veranstaltung, der seinerzeitige Leiter der Islamischen Glaubensgemeinschaft Graz, im Zuge der Razzia ins Visier der Ermittler geraten.

Gesponsert und unterstützt wurde die letztlich in Buchform erschienene Vortragsreihe – DER STANDARD berichtete – unter anderem von der Stadt Graz und dem Land Steiermark. Organisiert hatte sie der bekannte Grazer Völkerrechtler und "Bürger der Stadt Graz", Wolfgang Benedek, gemeinsam mit dem ehemaligen Chef der Glaubensgemeinschaft, der nun auch im Zentrum der Ermittlungen steht.

Elite der Bruderschaft in Graz

Von den internationalen Gastrednern an der Grazer Universität kam ein Gutteil aus dem Umkreis der Muslimbruderschaft. Elie Rosen sagt heute, man hätte schon damals, 2007/2008, wissen müssen, das hier "Großkaliber" der Muslimbrüder hoffähig gemacht worden seien.

Dass er die Muslimbruderschaft auf den akademischen Boden der Universität Graz wissentlich "eingeschleust" habe, weist Benedek, erster Vorsitzende und gegenwärtiges Mitglied des Grazer Menschenrechtsbeirates, vehement zurück. In den Reihen der damaligen Referenten seien keine ihm bekannten Mitglieder der Muslimbruderschaft gewesen, beteuert Benedek. Heute könne man das vielleicht anders sehen.

Er, Wissenschafter mit internationaler Reputation in Sachen Völkerrecht, hätte "nur ein wenig recherchieren müssen", erinnert sich ein Ermittler im STANDARD-Gespräch. Die Fakten seien schon damals auf dem Tisch gelegen. Laut vorliegenden Ermittlungsakten war tatsächlich umfassend klar, wen Benedek und der ehemalige Chef der Glaubensgemeinschaft an die Grazer Uni geholt hatten – was heute Großteils auch online nachzulesen ist.

Zum Beispiel: der in Graz vortragende Mohamed Elkatatny. Er spielt laut den Unterlagen von Ermittlern "in der Oberliga" der Muslimbruderschaft, war Berater des ehemaligen ägyptischen Präsidenten und Mitgliedes der Muslimbruderschaft Mohammed Mursi und sitzt heute im Gefängnis in Kairo. Oder: K. Helbawy, ehemals Vorsitzender des Zentrums für Studien des Terrorismus in England. Er sprach in Graz über Ursachen des Terrors. Von ihm existieren Tondokumente über "Satanische Juden" oder "Nehmt nicht Juden und Christen als Verbündete, denn sie sind untereinander verbündet".

Erlaubnis zur Polygamie

Gut dokumentiert ist ein weiterer Vortragender in Graz: Amir Zaidan, damals Leiter des Religionspädagogisches Instituts Wien. Er referierte über "Gewalt in der Familie aus islamischer Sicht". Von ihm waren Aussagen dokumentiert wie "Die Erlaubnis zur Polygamie sei unumgänglich". Er ist auch Autor der "Kamel-Fatwa", wonach sich muslimische Frauen nur um jene Distanz von zu Hause entfernen dürfen, die ein Kamel an einem Tag zurücklegen könne (81 Kilometer). Zaidan referierte zudem laut Wiesbadener Gerichtsakten, islamischen Schülerinnen sei die Teilnahme an Klassenfahrten ohne Begleitung eines männlichen Familienangehörigen verboten. Er stand unter Beobachtung des deutschen Verfassungsschutzes und wollte gerichtlich am Landesgericht Wiesbaden durchsetzen, dass seine Daten mit Hinweisen auf seine Mitgliedschaft bei der Muslimbruderschaft gelöscht werden. Was das Gericht ablehnte.

Danach übersiedelte Zaidan nach Österreich und wurde Leiter des Religionspädagogischen Instituts der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ).

Für Elie Rosen sind diese alten Spuren ins Jahr 2007 allgegenwärtig und nicht die einzige problematische Haltung des in Graz und Fachkreisen sehr angesehenen Wissenschafters Benedek. Dieser habe sich etwa bis heute nicht von der antiisraelischen und antisemitischen BDS-Bewegung ("Boycott, Divestment, Sanctions") distanziert. Er verharmlose und relativiere diese, obwohl sie vom österreichischen Parlament und auch der Stadt Graz strikt abgelehnt werde.

Menschenrechtsbeirat im Gerede

In einer eigenen Erklärung der Stadt Graz ("Antisemitismus und BDS") werden alle Dienststellen aufgefordert, "keine Veranstaltungen von Gruppierungen zu unterstützen, welche die Ziele der BDS-Bewegung verfolgen oder für diese werben". Auch sämtliche Parteien im Parlament hatten bereits zu einem konsequenten Vorgehen gegen "israelbezogenen Antisemitismus" aufrufen. Die BDS-Bewegung, die zum Boykott des jüdischen Staates, israelischer Produkte und Künstler aufruft, sei scharf zu verurteilen, ihre Veranstaltungen seien weder finanziell noch in anderer Form zu fördern, befand auch das Parlament in einer Stellungnahme.

Der Völkerrechtler Benedek beruft sich "auf die Meinungsfreiheit", wie er im Gespräch mit dem STANDARD betont. "Ich habe keine Nähe zur PDS. Ich möchte nur, dass auch diese vom Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen können." Die Ächtung der PDS sei nur auf Rosens Druck auf die Parteien zurückzuführen.

Dieser wiederum verlangt, Benedek sei in einem so wichtigen Gremium wie dem Grazer Menschenrechtsbeirat nicht länger tragbar. Der Menschenrechtsbeirat soll nach Meinung Rosens grundsätzlich neu besetzt und nicht weiter von den Parteien beschickt werden. (Walter Müller, 16.12.2020)