30,8 Prozent der Wiener haben keine österreichische Staatsbürgerschaft.

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Integrationsstadtrat Christoph Wiederkehr setzt auf verstärkte Sprachförderung ab dem Kindergarten.

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Wien – Am Mittwoch wurde zum mittlerweile fünften Mal seit 2007 der Integrationsmonitor der Stadt Wien veröffentlicht. Er fasst Zahlen, Daten und Fakten zu Migration, Integration und Diversität in der Bundeshauptstadt zusammen und macht "Veränderungen innerhalb der Wiener Einwanderungsgesellschaft sichtbar".

Laut der aktuellen Ausgabe hat fast jeder dritte Wiener keinen österreichischen Pass. Die Zahl der in Wien lebenden Personen mit ausländischer Staatsbürgerschaft ist seit dem letzten Integrationsmonitor 2017, also in nur drei Jahren, von 27 auf knapp 31 Prozent gestiegen. Im Jahr 2002 betrug dieser Anteil erst 16,4 Prozent, er hat sich seither also fast verdoppelt.

Fast die Hälfte hat Migrationshintergrund

Fast die Hälfte der Wiener Bevölkerung hat Migrationshintergrund. Konkret heißt das: Von 45,9 Prozent der Wienerinnen und Wiener wurden beide Eltern nicht in Österreich geboren. "Wien ist damit eine moderne Einwanderungsstadt innerhalb der Europäischen Union", heißt es im Einleitungstext des mehr als 200 Seiten starken Berichts. 36,7 Prozent der Wienerinnen und Wiener sind im Ausland geboren.

Der größte Teil der Zuwanderung kommt aus dem EU-Raum. Seit 2006 zogen jedes Jahr mehr Menschen mit einer EU- oder Efta-Staatsbürgerschaft (Island, Liechtenstein, Norwegen und Schweiz) nach Wien als aus Drittstaaten. Die Ausnahme bildet das Jahr 2015 – und damit der Höhepunkt der Flüchtlingsbewegungen.

Niedrige Einbürgerungsrate

Philipp Hammer von der Magistratsabteilung 17 (Integration und Diversität) ist einer der Projektleiter des Integrationsmonitors. Er wies darauf hin, dass die Einbürgerungsrate in Wien nur bei 0,8 Prozent liegt. "Das heißt, dass von 1.000 Menschen, die mit einem ausländischen Pass in Wien leben, nur acht die österreichische Staatsbürgerschaft erhalten." Das sei "eine der niedrigsten Einbürgerungsquoten in der EU".

In Wien wurde im Jahr 2019 insgesamt 4.563 Menschen die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen. Das ist zwar eine deutliche Steigerung gegenüber 2010, als es nur 1.745 Einbürgerungen gab – aber deutlich weniger als Anfang der 2000er. Im Jahr 2003 wurden in Wien mehr als 18.000 Staatsbürgerschaften verliehen.

Die Zuwanderung plus eine niedrige Einbürgerungsquote hat auch Auswirkungen: Aktuell dürfen 30,1 Prozent der Wienerinnen und Wiener ab 16 Jahren auf Bundes- oder Landesebene nicht wählen. Im Altersbereich zwischen 27 und 44 Jahren beträgt dieser Anteil sogar mehr als 40 Prozent.

Wiederkehr will Staatsbürgerschaftsverfahren beschleunigen

Der neue Integrationsstadtrat und Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr von den Neos sieht Handlungsbedarf: "Im Bereich der Demokratiebeteiligung sind Defizite sichtbar, die wir uns genau ansehen werden." Er kündigte an, das Thema Staatsbürgerschaft zu "forcieren". Unter anderem sollen Verfahren beschleunigt werden. Wiederkehr kritisierte in diesem Zusammenhang auch die Bundesregierung, die hier ständig die rechtlichen Rahmenbedingungen ändere. Die in Wien zuständige MA 35 sei etwa aufgrund des Brexits gefordert, der für ein hohes Arbeitsaufkommen sorge.

Auch bei der bisher letzten Präsentation des Integrationsmonitors 2017 war die geringe Einbürgerungsrate in Wien ein Thema. Damals merkte Wiederkehr-Vorgänger Jürgen Czernohorszky (SPÖ) an, dass zwar viele Menschen seit mindestens zehn Jahren in Wien leben, aber die Einkommensvoraussetzung für die Staatsbürgerschaft nicht erfüllen würden.

Kritik kam umgehend von der ÖVP im Bund: "Die Staatsbürgerschaft ist das höchste Gut der Republik", sagte ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl. "Es gilt also, sie vor dem marktschreierischen Aktionismus der Neos mit allen Mitteln zu schützen." Die Neos bezeichnete Gerstl als "neue Linkspartei". Wiens FPÖ-Chef Dominik Nepp befürchtet, dass Rot-Pink die Staatsbürgerschaft "verschenken" wolle.

52 Prozent der Wiener Schüler haben andere Erstsprache als Deutsch

Im Integrationsmonitor werden im Bereich Bildung auch positive Entwicklungen herausgestrichen: So hat sich der Bildungsstandard bei den 15- bis 19-Jährigen mit Migrationshintergrund und Bildung aus Österreich jenem von Personen ohne Migrationshintergrund angeglichen. Jugendliche mit Migrationshintergrund aus Drittstaaten haben demnach in der Periode 2016 bis 2019 weit öfter eine höhere Ausbildung absolviert als noch drei Jahre zuvor.

Der Anteil der mehrsprachig aufwachsenden Schülerinnen und Schüler in Wien (also mit einer anderen Erstsprache als Deutsch) lag 2018/19 bei 52,2 Prozent. Mehrsprachigkeit sei "eine Chance, wenn man sie nutzt", sagte Wiederkehr. Er kündigte mehr Sprachförderung ab dem Kindergarten an. Eltern sollen zudem mehr eingebunden werden. (David Krutzler, 16.12.2020)