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Streit um den von der ÖVP durchgesetzten Familienbonus: Ist dem Staat jede Familie gleich viel wert?

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Als Stärkung für arbeitende Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen: So verkauft die türkis-grüne Regierung die heuer gewährte Senkung des Eingangssteuersatzes von 25 auf 20 Prozent. Doch für so manche Familie, die Lohn- und Einkommensteuer zahlt, wird die Entlastung verpuffen. Grund: Was die Steuersenkung bringt, geht beim Familienbonus verloren.

Das liegt an der Konstruktion des noch von der türkis-blauen Koalition beschlossenen Prestigeprojekts. Der Familienbonus funktioniert so, dass Eltern pro Jahr und Kind bis zu 1500 Euro von der Lohn- und Einkommensteuer absetzen können. Wer aber wegen eines niedrigen Verdiensts weniger Steuern zahlt, als dieser Vorteil maximal ausmacht, kann sich folglich nicht die ganze Summe anrechnen lassen. Sinkt nun die Steuerschuld weiter, schrumpft auch der Nutzen aus dem Bonus. Unter dem Strich ändert sich gar nichts.

Das heißt: Wer weniger als 25.700 Euro brutto im Jahr verdient und ein Kind hat, steigt unter Umständen trotz Steuersenkung heuer netto genauso aus wie im Vorjahr – denn erst ab diesem Einkommen greift der Familienbonus voll. Bei zwei Kindern liegt die kritische Grenze, ab der wirklich mehr Netto vom Brutto bleibt, bei 32.440 Euro.

SPÖ-Kritik an "ungerechtem" Bonus

"Für die betroffenen Familien ist die Steuerreform ein trauriges Nullsummenspiel, weil sie eins zu eins den Familienbonus kürzt", kritisiert SPÖ-Finanzsprecher Jan Krainer. "Corona beweist und verschärft die Ungerechtigkeit des Familienbonus: Kinder, die nach dem ÖVP-Konstrukt schon bisher weniger wert waren, verlieren zusätzlich."

SPÖ-Mandatar Krainer: "Corona beweist und verschärft die Ungerechtigkeit des Familienbonus."
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Der Abgeordnete vermutet, dass mehr als 100.000 Familien in die Ziehung kommen, eine genaue Rechnung hat er aber nicht parat. Ob der Effekt tatsächlich zuschlägt, hängt von Fall zu Fall von der Situation ab. So spielt eine Rolle, in welchem Ausmaß der Partner den Bonus geltend machen kann. Bei Alleinverdienern und Alleinerziehern mit niedrigem Einkommen kann überdies der Anspruch auf den Kindermehrbetrag von bis zu 250 Euro dazu führen, dass am Ende doch ein Plus herausschaut.

Unplausibel ist Krainers Schätzung nicht. Eine Studie des Europäischen Zentrums für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung aus dem Frühjahr – DER STANDARD berichtete – kam auf 141.000 Kinder, die vom Bonus nur eingeschränkt und vom Kindermehrbetrag gar nicht profitieren.

Manche fallen ganz raus

Weitere 180.000 Kinder haben demnach gar keinen Anspruch auf das Zuckerl: Wer weniger als etwa 15.400 Euro brutto im Jahr verdient und weder Alleinverdiener noch -erzieher ist, kann den Familienbonus kein bisschen nützen, weil die Steuerpflicht erst in diesem Einkommensbereich einsetzt. Diese Gruppe – rund ein Drittel der Steuerpflichtigen – hat naturgemäß auch nichts vom niedrigeren Eingangssteuersatz.

Auch in einer anderen Konstellation beweise das türkise Modell die Untauglichkeit, bekrittelt Krainer. Er zitiert den Fall einer alleinerziehenden Mutter dreier Kinder, die drei Monate Kurzarbeit aufs Jahr gerechnet knapp 500 Euro an Familienbonus gekostet hätten. Denn auch hier gilt: Geringeres Einkommen bedeutet geringere Steuerschuld und somit weniger Bonus.

Die Steuerberaterin Julia Haller von der Kanzlei Szabo & Partner bestätigt die Auswirkung und rät Arbeitnehmern deshalb, keinesfalls auf den Steuerausgleich am Jahresende zu verzichten: Wenn in der restlichen Zeit des Jahres gut verdient wurde, lasse sich der in den Monaten der Kurzarbeit verbuchte Bonusentgang unter Umständen ausgleichen.

Lob von der EU-Kommission

Auch das von der ÖVP geführte Finanzministerium stellt den Effekt nicht in Abrede, sieht im Familienbonus aber dennoch keinen Konstruktionsfehler. Zur Verteidigung der "größten familienpolitischen Entlastung in der Geschichte des Landes" zitiert der Ressortsprecher den vorjährigen Länderbericht der EU-Kommission: Dieser attestiert dem heimischen Modell, die Armutsgefährdungsquote, speziell für Familien, "deutlich" zu senken.

Außerdem hält das Ministerium entgegen, dass die Koalition heuer auch die sogenannten Rückerstattungsbeträge erhöht hat, über die sich am Jahresende ein Teil der geleisteten Sozialversicherungsbeiträge zurückholen lässt. Davon profitieren Arbeitnehmer mit niedrigem Einkommen, die gar keine oder wenig Lohnsteuer zahlen.

Den Kritiker Krainer beeindruckt das nicht. "Jedes Kind muss dem Staat gleich viel wert sein", fordert der Mandatar. Der Familienbonus löse das nicht ein, dabei liege eine Alternative auf der Hand: Die Regierung solle stattdessen einfach die Familienbeihilfe erhöhen. Das Argument, dass der Bonus in der Form des Absetzbetrags gezielt die Leistungsträger belohne, kontert er mit einer Gegenfrage: "Ist ein Arbeitnehmer, der unverschuldet in Kurzarbeit geschickt wurde, nun plötzlich weniger Leistungsträger?" (Gerald John, 17.12.2020)