Fünf Jahre nach Beginn des VW-Dieselskandals hat der Europäische Gerichtshof eine umstrittene Software zur Schönung von Abgaswerten bei Zulassungstests für illegal erklärt.

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Luxemburg – Fünf Jahre nach Beginn des Dieselskandals hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) die umstrittene Software zur Manipulation von Abgaswerten für illegal erklärt. Das Urteil vom Donnerstag könnte die Rechte von Besitzern älterer Dieselwagen deutlich stärken. Anwälte rechnen mit einer neuerlichen Klagewelle.

Zur Erinnerung: Am EuGH geht es um jene Software, die erkannte, ob ein Wagen für Zulassungstests im Labor geprüft wird. Dann lief mit voller Stärke die sogenannte Abgasrückführung, die den Ausstoß gesundheitsschädlicher Stickoxide verringert. So wurden im Labor Grenzwerte eingehalten. Im Normalbetrieb wurde die Abgasrückführung gedrosselt. Der Effekt war bessere Motorleistung, aber auch deutlich mehr Stickoxid als erlaubt.

Der Betrug war aufgeflogen, seither beschäftigt eine Klagsflut gegen Autohersteller Heerscharen von Anwälten. Betroffene Unternehmen, allen voran VW, reagierten mit Softwareupdates, die das Problem beheben sollten.

Abgasmanipulation nie verschwunden

Beim aktuellen EuGH-Entscheid geht es darum, ob die Steuerungssoftware, die weiterhin im Einsatz ist, grundsätzlich verboten ist. Denn viele Autobauer verwenden Steuerungssoftware weiterhin, um den Stickstoffausstoß an die Außentemperatur anzupassen. Das sogenannte Thermofenster legt fest, dass die Abgasreinigung bei zu hohen oder zu tiefen Außentemperaturen gedrosselt wird. Nur etwa zwischen 15 und 33 Grad läuft die Abgasreinigung auf Hochtouren.

Die Autobauer sagen, das sei legal und diene dem Schutz des Motors. Sie beziehen sich auf die EU-Verordnung über die Typengenehmigung von Kraftfahrzeugen.

Allerdings führt die Software dazu, dass unter Prüfbedingungen für die Zulassung im Labor ebenfalls die vollständige Abgasreinigung läuft. Die Prüfung erfolgte schließlich bei Raumtemperatur zwischen 20 und 30 Grad. Damit werden Autos zugelassen, die in der Praxis viel mehr verschmutzen, als sie eigentlich dürften.

Die Richter halten fest, dass die Autobauer mit ihrer Rechtfertigung, die Software schütze den Motor, die entsprechenden EU-Vorgaben zu großzügig auslegen. Dazu müsste die Software den Motor vor "plötzlichen und außergewöhnlichen Schäden" schützen, die eine konkrete Gefahr während der Fahrt darstellen, heißt es in der Pressemitteilung des EuGH zum Urteil. Der schnellere Verschleiß oder die Verschmutzung des Motors dürfen nicht als Freibrief für die Abschaltsoftware dienen.

Der EuGH hat somit allgemein definiert, wie der Verordnungstext der EU zu verstehen ist. Es ist nun Sache der nationalen Gerichte, im Einzelnen festzustellen, ob solche Thermofenster unter die Ausnahmeregelung fallen. Ausgangspunkt ist der konkrete Fall eines französischen VW-Besitzers, den das Höchstgericht in Paris dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt hatte.

Mögliche Klagewelle

Nach über fünf Jahren hole der Abgasskandal nun fast alle großen Autobauer ein, ist Rechtsanwalt Claus Goldenstein überzeugt. Er vertritt tausende Mandanten in Sammelklagen gegen die Dieselautohersteller. "Der Automobilindustrie droht eine Rekordrückruf- und -klagewelle", erwartet der Jurist.

Ähnlich sehen das Konsumentenschützer in Österreich: "Wir haben schon sehnlichst auf diese Entscheidung des EuGH gewartet, weil damit die Verteidigung durch die Autoindustrie in sich zusammenbricht", sagt Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereins (VSV). Nun müssten viele weitere Fahrzeuge zurückgerufen werden, und die Eigentümer haben gegenüber den Konzernen Anspruch auf Schadenersatz, ist Kolba überzeugt.

Die Entscheidung, die Steuerungssoftware grundsätzlich als illegal einzustufen, trifft nun Autobauer, die vom Dieselskandal bisher verschont geblieben waren. Fast alle hätten die Abschaltsoftware genutzt, sagt AK-Verkehrsexperte Franz Greil. Für die betroffenen Autobesitzer, allein in Österreich seien es über eine Million, müsse jetzt eine Lösung her. Denn Autos mit einer nichtlegalen Abgastechnik dürften eigentlich nicht zugelassen werden. "Die Autobesitzer brauchen deshalb eine Lösung. Und die sollte für alle in Europa gleich sein", so Greil.

Mit Softwareupdates dürften die Verstöße gegen die Abgasgrenzen nicht mehr behoben werden, schätzen Experten. Der VCÖ etwa fordert, dass betroffene Fahrzeuge rasch zurückgerufen werden und eine funktionierende Abgasreinigung erhalten. (slp, 17.12.2020)