Der deutsche Ökonom Jens Südekum widmet sich in seinem Gastbeitrag der Frage, ob die Staaten mit ihren Corona-Hilfen die falschen Firmen stützen.

Am deutschen Arbeitsmarkt scheint die Corona-Krise bisher weitgehend vorbeigezogen zu sein. Weder gab es Massenentlassungen noch einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit. Verantwortlich dafür ist vor allem das Kurzarbeitsgeld. Der Staat übernimmt für Unternehmen, bei denen pandemiebedingt die Einnahmen wegbrechen, einen Großteil der Lohnkosten. Dadurch stabilisiert er Einkommen und Konsumnachfrage, und er erhält existierende Arbeitsplätze.

Von A wie Autoindustrie bis Z wie Zulieferer: Verschleppt das Kurzarbeitsgeld nur den längst nötigen Strukturwandel?
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In der Spitze waren in Deutschland im April fast sechs Millionen Menschen in Kurzarbeit, viermal so viel wie zu Zeiten der Finanzkrise. Aktuell sind es noch rund zwei Millionen, wobei die Zahlen im Dezember noch mal ansteigen könnten. Damit sind rund vier Millionen wieder in Beschäftigung zurückgekehrt. Gleichzeitig sanken im zweiten Quartal, als das Bruttoinlandsprodukt um zehn Prozent einbrach, die Haushaltseinkommen, die für den privaten Konsum zur Verfügung stehen, um weniger als ein Prozent. Der Staat hat wie eine große Versicherung funktioniert, und das ist ein Erfolg. In Österreich war das nicht anders.

Doch allmählich kommen auch Fragen auf. Wie hoch sind eigentlich die Chancen für diejenigen, die weiterhin in Kurzarbeit sind, jemals wieder an den alten Arbeitsplatz zurückzukommen?

Eine Pauschalantwort auf diese Frage gibt es nicht. Bei vielen wird die Rückkehr kein größeres Problem sein. Nehmen wir die Gastronomie: Momentan haben Restaurants und Bars zwar geschlossen. Aber wenn der Winter vorbei ist und der Impfstoff in der Breite angekommen ist, dann werden sie wieder ganz normal öffnen dürfen, und dann kehren auch die Köche und Kellner zurück. Und selbst wenn ein paar Szenelokale und Clubs zwischenzeitlich verschwinden – wir werden auch Comebacks und Neustarts erleben.

Bei anderen Kurzarbeitern wird es schwieriger. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass nach der Pandemie wohl dauerhaft weniger Dienstreisen stattfinden. Dafür wird mehr übers Internet gearbeitet, konferiert und eingekauft. Mit entsprechenden Folgen für die Beschäftigung im Einzelhandel, in Hotels oder bei der Lufthansa.

Strukturelles Problem

Noch komplizierter ist die Situation im verarbeitenden Gewerbe. Etliche Branchen, allen voran die Automobilindustrie, standen in Deutschland schon vor der Krise unter enormem Transformationsdruck hin zu grünen und digitalen Geschäftsmodellen. Als dann Corona kam, haben auch sie Kurzarbeit in erheblichem Ausmaß in Anspruch genommen und tun das weiterhin. Aber im Kern haben sie kein konjunkturelles, sondern ein strukturelles Problem. Der Absatz klassischer Verbrennerfahrzeuge wird sinken und damit die Zahl der Menschen, die diese Autos produzieren. Mit der Pandemie hat das nichts zu tun. Gleichwohl sind viele dieser Beschäftigten weiterhin in Corona-Kurzarbeit geparkt. Doch für solche Herausforderungen war das Instrument eigentlich nie gedacht. Kurzarbeit soll kurzfristige Schwankungen abfedern, keine langfristigen Verschiebungen.

Konserviert das Kurzarbeitergeld also mit zunehmender Dauer bloß überflüssige Jobs, die sowieso keine Zukunft mehr haben? Verschleppt es gar den notwendigen Strukturwandel, weil es produktive Ressourcen künstlich in Zombie-Firmen bindet?

Einige radikale Ökonomen behaupten das und empfehlen einen Umgang nach dem Prinzip der kreativen Zerstörung. Danach soll das Kurzarbeitergeld für die Langfristbezieher lieber heute als morgen auslaufen. Für die Betroffenen bedeutete dies zwar den schmerzhaften Weg in die Arbeitslosigkeit und für viele Firmen die Insolvenz. Doch so bitter dieser kalte Entzug auch sein möge – wettbewerbsfähige Strukturen entstünden letztlich nur, wenn die Beziehungen am Arbeitsmarkt einmal kräftig durchgeschüttelt und alte Zöpfe abgeschnitten würden.

Die moderne Arbeitsmarktforschung gibt andere Antworten. Basierend auf den Erfahrungen mit früheren Episoden des Strukturwandels betont sie gerade den Wert von Stabilität. Wo Arbeitnehmer und Arbeitgeber lange zusammenbleiben, da entsteht gegenseitiges Vertrauen, spezifisches Wissen und letztlich handfeste Produktivitätsvorteile. Die Notwendigkeit zur Anpassung bleibt trotzdem bestehen. Aber Wandel kann auch innerhalb eingespielter Strukturen stattfinden.

Bessere Produkte

Als die deutsche Industrie nach dem Fall des Eisernen Vorhangs unter Druck geriet, weil Verlagerungen nach Osteuropa drohten, fanden Werksleitungen und Betriebsräte gemeinsam Lösungen. Neben Lohnzurückhaltung war das vor allem eine Qualitätsstrategie: Deutsche Produkte wurden besser. Als später die Roboter kamen und viele Produktionsschritte automatisiert wurden, lief es ähnlich. Die allermeisten Beschäftigten wurden gehalten und übernahmen innerhalb des Betriebs neue, oftmals höherwertige Tätigkeiten.

Nach Corona steht der Industrie erneut eine große Transformation bevor. Dabei fallen Jobs weg, aber es entstehen erfahrungsgemäß auch viele neue Tätigkeitsfelder, von denen wir heute noch keine klare Vorstellung haben. Eine Studie der Fraunhofer-Gesellschaft kam jüngst zu dem Schluss, dass es in der Autowelt von morgen zwar andere, aber wohl trotzdem genug Jobs für alle bisherigen Beschäftigten geben wird. Und die zukünftigen Berater für Elektromobilität können auch Mitarbeiter sein, die heute noch Verbrennungsmotoren zusammenschrauben. Gerade in Zeiten des demografischen Wandels, wo junge Fachkräfte knapper werden, erscheint das attraktiv.

Kreative Weiterbildung statt Zerstörung – dafür sollte die Kurzarbeit genutzt werden. Und wo es tatsächlich keine betriebsinternen Lösungen mehr gibt, da kann auch versucht werden, durch Umschulung einen Branchenwechsel vorzubereiten. Die sanfte Tour funktioniert halt manchmal doch besser. (Jens Südekum, 18.12.2020)