Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am Donnerstag klargestellt, was im Prinzip längst unstrittig war: Autohersteller dürfen die Abgasreinigung nicht nach Gutdünken außer Kraft setzen, sondern nur in Ausnahmefällen, wenn unmittelbare Beschädigungsrisiken vorliegen, die zu einer konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen. Das gilt nicht nur für Pkws mit manipulierter Steuerungssoftware von Volkswagen, also Audi, VW, Škoda, Seat und Porsche. Das gilt für alle Hersteller. Nur um den Motor vor Versottung zu schützen, ist eine Abschalteinrichtung unzulässig, erst recht eine, die dazu führt, dass Abgasfilter nur zwischen 15 und 30 Grad arbeiten, den Rest des Jahres aber nicht.

Volkswagen hatte die – von fast allen namhaften Autokonzernen praktizierte – im Zuge des VW-Dieselskandals aufgeflogene Praxis auf die Spitze getrieben. Der Wolfsburger Konzern hatte neben der verharmlosend als Thermofenster bezeichneten Software auch noch Steuerungsinstrumente eingebaut, die erkannten, ob das Fahrzeug eine Testfahrt auf dem Prüfstand absolviert oder im Straßenverkehr unterwegs ist, und die Abgasreinigung entsprechend ein- oder ausschalteten. Sozusagen Schummelsoftware vom Feinsten.

Schummelei

Es ist gut, dass das Höchstgericht in Luxemburg diese Thermofenster und sonstige Hintertüren nun geschlossen hat. Für geschädigte Fahrzeughalter wie jene beim Verein für Konsumenteninformation versammelten kommt das Erkenntnis reichlich spät. Sie schlagen sich seit Jahren mit Heerscharen von Anwälten herum, um für die wohlorganisierte und von Zulassungsbehörden wie dem deutschen Kraftfahrtbundesamt geduldete Schummelei halbwegs entschädigt zu werden.

Die Chancen, vor Gericht erfolgreich Ansprüche bis hin zur Fahrzeugrückgabe durchzusetzen, sind durch den Spruch des EuGH deutlich gestiegen. Das betrifft bis Ende 2018 zugelassene Fahrzeuge, denn die Verschönerung der Abgaswerte auf dem Papier ging nach Auffliegen des VW-Dieselskandals munter weiter und führte dazu, dass modernere, vorgeblich "saubere" Fahrzeuge der Abgasklassen Euro 6 von den vorgeschriebenen Emissionswerten meilenweit entfernt sind. Sie kurven noch Jahre auf Europas Straßen und belasten Gesundheit und Umwelt – weil sich die Hersteller den Einbau größerer Harnstofftanks ersparen wollten.

Genau deshalb ist neben Gerichten und Fahrzeugherstellern nun die Politik am Zug. Meint sie es ernst mit der geforderten Senkung der gesundheitsbelastenden Emissionen, muss sie dafür sorgen, dass die Abgasreinigungssysteme tausender Fahrzeuge nachgerüstet werden. Das ist technisch möglich und kostet nicht die Welt, wird aber nicht ohne Druck gehen. Der stärkste Hebel wäre der Entzug der Fahrzeugzulassung, die von den Autoherstellern mithilfe von Schummelsoftware erschummelt wurde. Denn eines ist auch klar: Die Fahrzeughalter sieht der deutsche Bundesgerichtshof dabei nicht in der Pflicht, sie wurden arglistig getäuscht. (Luise Ungerboeck, 17.12.2020)