Jeder kennt sie, jeder hatte schon mit ihnen zu tun und kaum einer kann ihnen etwas Positives abgewinnen: Missverständnisse. Jeder, der bereits versucht hat, einem anderen eine Fülle an Information in umfassender, aber dennoch verständlicher Weise näher zu bringen, weiß, welch Anstrengung das sein kann. Vielleicht hat der ein oder andere auch schon einmal mit dem weithin bekannten Legespiel Tangram aus Manager-Seminaren oder Ähnlichem Bekanntschaft gemacht und dies in guter Erinnerung. Dabei handelt es sich oft nicht mal um besonders komplexe Inhalte und von Dingen mit emotionalem Kontext ist man Lichtjahre entfernt, denn wo die vier Ohren des Schulz von Thun mithören (und auch auf der Senderebene mit von der Partie sind), ist Chaos vorprogrammiert. Doch kaum ein Bereich menschlichen Lebens funktioniert ohne Kommunikation und, obwohl es hier und dort dennoch passabel zu funktionieren scheint, tun sich immer wieder große Probleme auf.

Wert der persönlichen Freiheit

Gleichzeitig leben wir heute in einer Gesellschaft, in der großer Wert auf Dinge wie persönliche Freiheit, Entfaltung und Authentizität gelegt wird. Man möchte weg vom Klischeedenken, nicht in einer Geschlechterrolle gefangen sein, keinem Bodyshaming zum Opfer fallen und politisch neue Wege gehen. Die Latte an Erwartungen liegt hoch und es klingt nach ganz schön hartem Tobak für eine Gesellschaft, die an etwas so "Einfachem" wie Kommunikation scheitert. Auf politischer Ebene wird die Unfähigkeit zur Kommunikation besonders gut sichtbar und das, was im Volksmund gemeinhin als Corona bezeichnet wird, legt noch eine Schippe drauf. Dass es kaum eine Situation gibt, in der sich alle einig sind, liegt auf der Hand. Dass man bei neuartigen Herausforderungen selbst erst den eigenen Weg finden muss, auch. Dass man durch Kommunikation eine Nation, deren Werthaltung eher in Richtung persönlicher Freiheit, Selbstbestimmtheit und Vermeidung von Werturteilen über andere geht, derart spaltet, dass mehr bewertet und beurteilt wird, als je zuvor, nicht.

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Interview mit Paul Watzlawik. 

Konflikt und Kommunikation

Meist fällt es einem eher bei anderen als bei sich selbst auf, wenn diese alles und jedes, was Kollegen, Freunde oder Familienmitglieder tun, bewerten und häufig auch kommentieren. Da es sich in diesem Zusammenhang oft nicht um positiven Inhalt handelt, wird es gemeinhin aber als Lästern bezeichnet. Durch diese Titulierung wird die Tätigkeit des Bewertens (oder Abwertens) und Kommentierens jedoch mit einer anderen Bedeutung verschleiert und daher anders abgespeichert. Im Kontext von Corona spricht aber kaum jemand vom Lästern, sondern es werden - je nachdem, zu welcher Seite man gehört - Menschen ganz einfach in Corona-Idioten oder Covidioten einkategorisiert. Dies geht so weit, dass man recht häufig Zeuge wird, wie sich Leute, die ansonsten tolerant und pro Authentizität sind, anpöbeln und ob ihrer unterschiedlichen Meinung öffentlich auf der Straße beflegeln. Diese neue Art der Kommunikation hat nun auch ins Fernsehen Einzug gehalten. Nicht, dass dies nicht bereits früher schon ab und an der Fall gewesen wäre, aber während man dies damals als eine Art parteienspezifische USP verstanden hat, wird in der derzeitigen Situation immer deutlicher, dass etwas anderes gar nicht möglich zu sein scheint, weil, simpel gesagt, die Kompetenzen auf dieser Ebene fehlen.

Jede Diskussion wird zur Bewertung.
Foto: REUTERS/Vincent West

Tunnelblick der Überlegenheit der eigenen Meinung

Eine sinnvolle Diskussion, bei welcher Platz für verschiedene, sachlogisch argumentierte Meinungen ist, findet nicht statt, denn in solcher Weise über Themen zu sprechen und diese ausschließlich sachlich zu diskutieren, erfordert mehr menschliche Größe und Reife in Form von Akzeptanz, Respekt und Offenheit als anderes. Eine ehrliche Diskussion, in der der andere - und damit ist tatsächlich jeder andere gemeint - gehört und verstanden wird, ohne dass sich die Zuhörenden ein Werturteil erlauben, oder gar Diskussionen abbrechen weil man mit so jemandem nicht kommunizieren will, ist heutzutage kaum möglich. Stattdessen bilden sich eigene Communitys, in denen sich kollektive Werthaltungen herausbilden, welche intern gepusht und nach außen bis zum Letzten verteidigt werden. Die Mitglieder zeigen sehr deutlich das jeweils sozial erwünschte Verhalten und fühlen sich anderen Meinungsgruppen gegenüber überlegen. Kommt es letztendlich doch zu Gesprächsrunden, welche vor allem im TV unter dem Deckmantel der objektiven Berichterstattung geführt werden, ist der sozial erwünschte Wertetenor schnell auszumachen und mangels fehlender Argumentationskompetenz der Teilnehmer kommt es rasch zu einer Herabwürdigung, wenn nicht sogar zu einem Lächerlichmachen der Meinungsopposition, die sich mit gleichen Mitteln zur Wehr setzt.

Die Stärke der Ausprägung variiert, aber man merkt deutlich, dass die einen nicht kommunizieren wollen, weil sie ohnehin Recht haben und man schließlich nicht mit jedem können muss und die anderen nicht richtig zuhören und mehr oder weniger geduldig darauf warten, ihre eigene, als überlegen eingestufte Meinung zu präsentieren und sie dem anderen aufzutischen, ohne auch nur den geringsten Teil vom anderen angenommen zu haben. Im schlimmsten Fall wird die Kommunikation, ganz im Sinne des Watzlawick'schen Ausspruches “Man kann nicht nicht kommunizieren“, einfach abgebrochen. Das Ergebnis solcher Runden ist relativ frustrierend, denn niemand konnte von den Fähigkeiten oder dem Wissen des anderen profitieren. In einem solchen Umfeld erscheint es beinahe höhnisch, wenn Menschen dazu ermutigt werden, authentisch zu sein und ihre Meinung zu vertreten, denn wer setzt sich schon gerne einer im Lichtkegel der vorgefertigten Meinung stattfindenden Bewertung anderer aus? (Daniel Witzeling, 28.12.2020)

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