Der Gepatschferner mit der Weißseespitze (ganz rechts) in den Ötztaler Alpen. Einige Generationen vor Ötzi dürften die Menschen hier kein Eis gesehen haben.
Foto: APA/Dr. Joerg Bodenbender

Als Ötzi vor 5.300 Jahren in den Ötztaler Alpen starb, waren die Gletscher anders als heute noch stabil oder sogar im Wachsen. Ginge man dort noch ein paar Jahrhunderte weiter in der Zeit zurück, würde man jedoch auf eisfreie Gipfel blicken: Das ist die Bilanz einer aktuellen Studie von Forschern der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW).

Hintergrund

Das gegenwärtige Eiszeitalter begann vor etwa 2,7 Millionen Jahren und ist von einem steten Wechsel langer Kaltzeiten und deutlich kürzerer Warmzeiten geprägt. Das Holozän, also der derzeitige Abschnitt der Erdgeschichte, ist eine dieser Warmzeiten und begann vor rund 12.000 Jahren.

Aber auch innerhalb der Perioden dieses Großzyklus kam es immer wieder zu Schwankungen. So zeigen etwa Bäume, die vom Eis freigegeben wurden, sowie andere natürliche Klimaarchive ein sogenanntes Klimaoptimum vor etwa 6.000 Jahren. Die neuen Analyseergebnisse, die im Fachjournal "Scientific Reports" veröffentlicht wurden, passen gut zu den bisherigen Daten über diesen Abschnitt.

Die neue Analyse

Pascal Bohleber vom ÖAW-Institut für Interdisziplinäre Gebirgsforschung hat am Gletscher der 3.518 Meter hohen Weißseespitze im Tiroler Kaunertal Bohrungen durchgeführt und zwei Eiskerne analysiert. Durch im Eis eingeschlossenen Kohlenstoff konnten die ältesten Schichten, die sich direkt am felsigen Untergrund befinden, datiert werden. Demnach ist das älteste Eis im Gletscher rund 5.900 Jahre alt, die Schwankungsbreite liegt bei rund 700 Jahren.

"Das legt nahe, dass der Gipfel davor eisfrei war", sagt Bohleber. Er und sein Team gehen deshalb davon aus, dass die damaligen klimatischen Verhältnisse auch in hohen Lagen keine dauerhafte Vergletscherung ermöglichten. Erst nach dieser warmen Phase müssen sich wieder Bedingungen eingestellt haben, die Gletscherwachstum zuließen.

Ötzi musste sich warm anziehen

Die Bohrkerne wurden nur rund zwölf Kilometer entfernt von jener Stelle entnommen, an der 1991 Ötzi in rund 3.200 Metern Seehöhe gefunden worden war. Auch wenn die Weißseespitze etwas höher liegt als der Fundort der Gletschermumie und daher früher wieder vereist sein muss, kann man auf zunehmend raue Bedingungen in den Bergen schließen. Bohleber: "Das hieß für die Menschen damals, dass die Überquerung der Alpen wahrscheinlich gefährlicher wurde."

Ob Ötzi tatsächlich im Eis starb oder er erst nach seinem Tod vom Eis eingeschlossen wurde, bleibt aber unklar. Das Eis, in dem der Körper konserviert war, wurde den Forschern zufolge nie datiert und ist heute nicht mehr vorhanden.

Blick auf die Gegenwart

Beim Fortschreiten der aktuellen Klimaerwärmung wird die Weißseespitze schon bald wieder eisfrei sein, wie die Forscher betonen. "Wir haben Glück, überhaupt noch Bohrkerne entnehmen zu können. Die Zeit rennt uns davon. Es gibt nur noch zehn bis zwölf Meter Eis, schon in wenigen Jahren könnte dieses Klimaarchiv verschwunden sein", sagt Bohleber.

Dass die Gipfel um die Weißseespitze im Holozän schon einmal eisfrei waren, bedeute aber nicht, dass es damals wärmer war als heute, betonte der Gletscherforscher. "Wir können auf Basis unserer Daten nur sagen, dass die Gletscher vor etwa 5.900 Jahren wieder zu wachsen begonnen haben. Was davor war, lässt sich aus Eiskernen nicht rekonstruieren".

Die Wissenschafter sehen die Warmphase vor 5.900 Jahren jedenfalls "gut gesichert, jetzt auch regional bis in die Gipfellagen". Oberhalb von 4.000 Metern dürften hingegen die Gipfel der Westalpen vielerorts über das komplette Holozän hinweg vereist gewesen sein. Ob das auch in Zukunft so bleibt, ist ungewiss. "Die Geschwindigkeit, mit der die Gletscher derzeit zurückgehen, ist dramatisch und sollte dringend weiter erforscht werden. Die Gletschervergangenheit des Holozäns ist ein wichtiger Hintergrund dafür", sagt Bohleber. (red, APA, 18. 12. 2020)