Am 6. Dezember wurde in Rumänien ein neues Parlament gewählt. Präsident Klaus Iohannis stellte die Wahl im Vorhinein als eine Art Schicksalswahl für die sozialdemokratische PSD dar. Diese war aus der Wahl 2016 als Siegerin hervorgegangen und leistete sich seitdem immer wieder Auseinandersetzungen mit Iohannis. Die PSD stand in den letzten Jahren nach den Protesten von 2017 und besonders seit der Inhaftierung des ehemaligen Parteivorsitzenden Liviu Dragnea vermehrt unter Druck. Die von Iohannis am 24. November geäußerte Erklärung, dass „das Entfernen der PSD von den Knöpfen der Macht endlich endgültig sein könnte“, trat zur Überraschung vieler allerdings nicht ein.

Die PSD wurde mit 28,90 Prozent stärkste Partei, die vom Präsidenten im Wahlkampf unterstützte National-Liberale Partei (PNL) mit 25,19 Prozent erreichte lediglich den zweiten Platz. Neben den beiden großen Parteien sind noch die Allianz USR-PLUS mit 15,37 Prozent, die Demokratische Union der Ungarn in Rumänien (UDMR) mit 5,74 Prozent und die rechtspopulistische Allianz für die Vereinigung der Rumänen mit 9,08 Prozent ins Parlament eingezogen. Präsident Iohannis hat die PNL mit der Regierungsbildung beauftragt. Eine Koalition aus PNL, USR-PLUS und UDMR (die seit 1996 an fast allen Regierungen beteiligt war oder diese wenigstens toleriert hat) würde auf 169 von 303 Sitzen in der Abgeordnetenkammer und auf 75 von 136 im Senat kommen. Bei der Verteilung der Ministerposten sind sich die drei Parteien allerdings noch uneinig.

Überraschungen am Wahlabend

Die Wahlbeteiligung fiel niedriger als ohnehin schon erwartet aus. Mit nur 31,84 Prozent der Wahlberechtigten, die den Gang zur Urne angetreten haben (2016: 39,5 Prozent), ist Rumänien, zugegebenermaßen unter Corona-Bedingungen, Schlusslicht im europäischen Vergleich bei Parlamentswahlen. Während einige Kommentatoren die Pandemie-bedingten Beschränkungen und Ängste für die niedrige Wahlbeteiligung verantwortlich machen, wiesen andere auf die Abwesenheit eines tatsächlichen Wahlkampfes hin, besonders was die schwerwiegenden Probleme Rumäniens angeht. Bezeichnenderweise belegt das Land auch im Zusammenhang mit Ausgaben für das Gesundheitswesen gemessen am Bruttoinlandsprodukt den letzten Platz.

Bezüglich des Wahlausgangs lagen die meisten Prognosen erheblich daneben. Die Meinungsforschungsindustrie ist in den letzten Jahren massiv unter Druck geraten. Nicht nur die amerikanischen Präsidentschaftswahlen haben gezeigt, dass es zunehmend schwerer wird, verlässliche Prognosen zu stellen. Hoffen und Bangen auf Seiten der politischen Parteien, Unverständnis und Ungläubigkeit auf Seiten der politischen Kommentatoren hielten bis spät am Wahlabend an. Die Parteien von zwei ehemaligen Ministerpräsidenten und eines ehemaligen Präsidenten schafften den Sprung ins Parlament entgegen aller Erwartungen nicht. Pro Romania, die von Victor Ponta (Ministerpräsident von 2012-2015) gegründete und im Oktober 2020 mit Călin Popescu-Tăriceanus, (Ministerpräsident von 2004-2008) Partei ALDE fusionierte neue sozialdemokratische Partei landete mit etwa vier Prozent unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde. PMP. Die Partei des ehemaligen rumänischen Präsidenten Băsescu (2004-2014), der noch während des Wahlabends überzeugt war, dass seine Partei über sechs Prozent erreichen würde, scheiterte knapp mit 4,84 Prozent. Hingegen schaffte eine Partei den Einzug ins Parlament, mit der so gut wie niemand gerechnet hatte: die rechtspopulistische Partei Allianz für die Vereinigung der Rumänen (AUR) erreichte etwa 9,08 Prozent der Stimmen.

Umstrukturierung des Parteienspektrums?

Die AUR verfolgt das Ziel, die ethnischen Rumäninnen und Rumänen über die nationalstaatlichen Grenzen hinaus (wieder-) zu vereinigen, und ähnelt damit stark der 1991 gegründeten Großrumänien-Partei (PRM). Ihrem Selbstverständnis nach strukturieren vier Werte die Politik der Partei: Familie, Nation, christlicher Glaube und Freiheit. Schon mit Blick auf diese Aufzählung lässt sich die AUR relativ gut einordnen. Auf der Parteiliste und im Unterstützungsumfeld finden sich dann noch zahlreiche Persönlichkeiten, die nicht davor zurückschrecken, antisemitische, rassistische oder xenophobe Ressentiments zu bedienen. Mit George Simion und Claudiu Târziu hat die AUR zwei Männer an ihrer Spitze, die durchaus in der Szene bekannt sind. Simion ist der langjährige Anführer der Bewegung „Basarabia e România“ und Gründer der „Aktion 2012“, die das Ziel einer Wiedervereinigung der Republik Moldau mit Rumänien verfolgt. Er ist oft und gern gesehen in Ultras-Fangruppen und rechtsextremistischen Kreisen (wie der Partei der Neuen Rechten [Noua Dreaptă]). Claudiu Târziu hat sich für die Position durch sein langjähriges Engagement gegen gleichgeschlechtliche Ehe im Rahmen eines Verfassungsreferendums zur Neudefinition des Begriffs „Familie“ empfohlen.

Im Laufe des Jahres organisierte AUR zahlreiche unkonventionelle Wahlkampfveranstaltungen und Proteste. Unter anderem rief die Partei im September zu einem Protest auf dem Bukarester Victoria Platz auf. Dabei wurden mit geometrischer Genauigkeit Zelte um einen eindrucksvollen und modernen Wahlkampfbus aufgebaut und die rumänische Nationalhymne und andere patriotische Lieder schallten über den Platz. Die Stimmung glich einem Mix aus 68er-Sit-in und Folklorepolitik mit Lagerfeueratmosphäre. Bei der Veranstaltung kam es jedoch zu mehreren „Zwischenfällen“. Unter anderem fand eines Abends eine angebliche Drogenkontrolle statt, die den Organisatoren – allem voran Simion – die Möglichkeit gab, in den sozialen Medien die Polizei lautstark und live als Erfüllungsgehilfen politischer Machenschaften darzustellen. „Unsere Freiheit ist in Gefahr“ oder „Welche Interessen versuchen unseren Wahlkampf zu stören?“ wurde immer wieder in live in die Kamera gesprochen. Darüber hinaus machte die AUR auch massiv gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen mobil.

Anfang Dezember wurde in Rumänien gewählt.
Foto: AP Photo/Alexandru Dobre

In Entstehungsgeschichte, Repertoire und Rhetorik qualifiziert sich die AUR klar für das Label Post-2010-Bewegungspartei. Wahlkampfmobilisierung basierend auf Themen wie der „Korruption der etablierten Eliten“ und die Rede vom „notwendigen Wandel“ sind jedoch keine exklusive AUR-Politik. Vieles ähnelt in dieser Hinsicht dem Argumentationsmuster der USR-PLUS, einer Allianz aus der „Union Rettet Rumänien“ und der „Freiheit, Einigkeit und Solidarität Partei“. USR baut auf seiner zivilgesellschaftlichen Entstehungsgeschichte auf und hat sich maßgeblich während der Anti-Korruptionsproteste von 2017 bemerkbar gemacht. Mit dem Kampf gegen Korruption als maßgebliches Wahlkampfversprechen, schaffte es die USR 2016 ins Parlament einzuziehen. Während und nach Abklingen der Proteste hat sie sich stark im Rahmen mehrerer Bürgerinitiativen, wie beispielsweise der Kampagne “Neue Menschen in die Politik”, engagiert, die auch der Wählermobilisierung dienten. Beide Parteien, AUR und USR, sind Bewegungsparteien und weisen genau aus diesem Grunde Ähnlichkeiten in ihren Mobilisierungsstrategien auf. Wichtige Unterschiede gibt es aber zweifelsohne nicht nur in Bezug auf die ideologische Richtung aus der ihre Elitenkritik kommt und den tatsächlichen politischen Forderungen.     

Die rumänische Diaspora stellt eine bedeutende Wählerbasis für die USR dar. Die Diaspora erschien vielen als modern und pro-europäisch, vor allem da sie immer wieder gegen die PSD wählte. Die USR machte seit ihrer Gründung stets die „Korruption der PSD“ maßgeblich für die Zustände im Lande verantwortlich. Und tatsächlich legte die USR-PLUS bei den Auslandsrumäninnen und -rumänen dieses Jahr noch zu, und verbesserte das Ergebnis der USR bei den Parlamentswahlen 2016 (28,88 Prozent) auf 32,59 Prozent. Die AUR konnte in der Diaspora mit 23,24 Prozent einen Überraschungserfolg verbuchen. In Deutschland (35,33 Prozent), Italien (34,61 Prozent) und Griechenland (30,28 Prozent) war sie die stärkste Kraft.

Da stellt sich die Frage ob Folklore, Tradition, Glaube und Heimatrhetorik vielleicht näher am Leben von denen sind, die fühlen, dass sie von jahrzehntelang misslungener Politik zum Auswandern gezwungen wurden, als markt-liberale Versprechungen, Liberalisierung und Deregulierung.

Rechtsruck in Rumänien?

Einige Kommentatoren, wie Cornel Ban von der Kopenhagener Business School, sehen nun eine Chance für die PSD, sich neu zu orientieren und ein ernsthaft sozial-demokratisches Programm aufzulegen. Es erscheint allerdings mindestens ebenso wahrscheinlich, dass alle etablierten Parteien ihre Basis weiter nach rechts, weiter zu konservativer Rhetorik verlagern werden.

Zwar kann auf Ebene der Inszenierung nationalistischen Gebarens noch einiges zur AUR aufgeholt werden, allerdings verweisen schon lange quasi alle rumänischen Parteien (außer der UDMR) immer wieder auf patriotische Pflichten und bemühen den Nationalstolz als Identitätsstifter. Während der Präsidentschaftswahlen im Jahre 2014 war beispielsweise die Kampagne des Kandidaten der PSD und damaligen Ministerpräsidenten Victor Ponta auf dem Wahlkampfslogan „Stolz Rumäne zu sein“ aufgebaut.

Eine Umstrukturierung des Parteienspektrums scheint jedoch in vollem Gange zu sein. Zwei neuere Bewegungsparteien und drei etablierte Parteien sind im Parlament. Zwei ehemalige Ministerpräsidenten und ein Präsident blieben außen vor. Es gilt nun abzuwarten ob die ein oder andere Partei versuchen wird, die Wählerschaft der AUR abzuholen, und ob sich dabei das komplette Spektrum nach rechts verschiebt oder ob es vielleicht doch Neuorientierungen geben wird, die nicht allein auf nationalistische Rhetorik setzen. (Henry P. Rammelt, 30.12.2020)

Henry P. Rammelt ist promovierter Politikwissenschafter und lehrt an der Nationalen Universität für Politische Studien und Öffentliche Verwaltung in Bukarest. Sein letztes Buch Activistes Protestataires en Hongrie et en Roumanie ist 2018 bei L’Harmattan (Paris) erschienen.

Weitere Beiträge im Eastblog