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Wohin führt der Weg am Jobmarkt?
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Ist der Ausblick auf die Chancen und Verwerfungen am heimischen Arbeitsmarkt heuer zum Jahresende so verlässlich wie eine Wetterprognose für die kommenden drei Monate? Oder einfach nur sehr düster, wie die Modellrechnung der Oesterreichischen Nationalbank vermuten lässt? Demnach verhindern Milliardenhilfen aktuell Insolvenzen. Bis 2022 könnten allerdings fast zehn Prozent der heimischen Unternehmen (von 560.000) pleite sein. 29 Prozent davon in Gastronomie und Hotellerie, über 30 Prozent in Kunst- und Freizeitwirtschaft, zehn Prozent in der Industrie. Allein am Tourismus hängen rund 75.000 Arbeitsplätze.

Aktuell – das soll nicht zynisch klingen – ist auch die Arbeitslosigkeit schlimm, aber weniger schlimm, als zu befürchten war im zweiten Lockdown: Registrierte Arbeitssuchende blieben deutlich unter der 500.000er-Marke. Einzelunternehmer scheinen da nicht auf, über 300.000 in Kurzarbeit auch nicht. Zigtausende Schicksale kennt diese Statistik ohnedies nicht, tausende Junge im Warteraum auf einen Einstieg auch nicht. Aber um bei den Zahlen zu bleiben: Wird das dicke Ende auf 2021 verschoben?

Klar ist eine zunehmende Paradoxie. In einigen Bereichen herrscht eklatanter Mangel. Es wird gesucht, gesucht und nicht gefunden. Da setzt auch die in dieser Woche verkündete große Umschulungsinitiative der Regierung via Arbeitsmarktservice an.

Aktuell haben dazu die Berater von EY-Parthenon Österreichs Führungskräfte in Verwaltung, Gesundheit und Sozialwirtschaft repräsentativ nach ihrem Mangel gefragt. Branchenübergreifend sieht demnach fast jede zweite Führungskraft einen Mangel bei IT-Kräften und in der diplomierten Krankenpflege. Das Thema Pflege ist unumgänglich, wenn über Fachkräftemangel gesprochen wird – jeder dritte Befragte (36 Prozent) sieht hier dringenden Bedarf. "Gerade im Gesundheits- und Pflegewesen blinken seit längerem alle Alarmsignale rot – der Sektor ist stark überlastet, viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gelangen an ihre Kapazitätsgrenzen. Das wirft Fragen hinsichtlich der Belastungsgrenzen des Pflege-, Gesundheits- und Verwaltungssystems auf", sagt Martin Bodenstorfer, Geschäftsführer bei EY-Parthenon.

"Der Bewerbungsprozess wird härter, der Auswahlprozess zusätzlich selektiver", sagt Florens Eblinger, Eblinger & Partner
Foto: Andy Urban

Personalmangel verschärft sich

Ein Ende des Fachkräftemangels sei leider nicht in Sicht, ergänzt Christian Horak, Partner bei EY-Parthenon, das Gegenteil sei der Fall: "Der Druck, Personalressourcen effizient zu nutzen, steigt weiter an. Die große Mehrheit, immerhin 92 Prozent, ist der Meinung, dass sich der Personalmangel künftig sogar weiter verschärfen wird." Dies treffe vor allem die diplomierte Krankenpflege (99 Prozent), Ärzte (96 Prozent) sowie Pflegehilfen (94 Prozent) und Techniker (92 Prozent).

Im Durchschnitt bleiben manche Stellen – zum Beispiel Psychologen oder Ärzte – über sieben Monate unbesetzt, was die Überlastung des Systems weiter verschärfen dürfte. Die Befragten klagen zudem über "erschwertes Recruiting", vor allem wenn es um Vollzeitstellen gehe. Für gut jedes vierte Unternehmen sei es deswegen zunehmend schwierig, die aktuellen Leistungen abzurufen – und 16 Prozent können gar keine neuen Leistungen anbieten.

"Wir sind mitten in einem strukturellen Wandel, der für viele neue Chancen bietet", sagt Günther Tengel, Amrop Jenewein
Foto: Matthias Cremer

"Das ist eine komplexe Situation: Denn ohne geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kann ein Unternehmen im Gesundheits- und Sozialsektor weder die gewohnten Leistungen erbringen noch sein Portfolio erweitern. Aber finanziell wird es ebenso brenzlig, wenn über einen längeren Zeitraum keine Fachkraft gefunden wird, denn eine unbesetzte Stelle führt letztendlich auch zu entgangenem Umsatz", wie Martin Bodenstorfer erwartet. Allerdings stellt sich hier die Frage, ob nicht auch die Arbeitsbedingungen, die Entlohnung und der Wunsch, keine All-in-Verträge für Vollzeitarbeit zu unterschreiben, mitmischen. Fachleute wünschen sich offenbar auch andere Angebote ihrer Arbeitgeber.

Fahren auf Sicht

Insgesamt erwartet Personalberater Florens Eblinger (Eblinger & Partner) "im ersten Halbjahr den Trend steigender Arbeitslosenzahlen" und kann keine generell positiven Ausblicke trotz vorhergesagter Wirtschaftserholung um rund drei Prozent vermitteln. Firmen würden eher vorsichtig nachbesetzen, mitunter noch zuwarten, bei Schlüsselpositionen aber intensiv investieren. "Das wird aber den Bewerbungsprozess härter und den Auswahlprozess zusätzlich selektiver gestalten."

Ein "Fahren auf Sicht im Nebel" sieht Günther Tengel (Amrop Jenewein) im ersten Halbjahr. Seine Prognose fällt heller aus: "Wenn die Impfungen flächendeckend losgehen, werden Zukunft und Vertrauen wieder einkehren. Für Arbeitgeber heiße das, lange vor sich hergeschobene Personalentscheidungen zu treffen und umzusetzen, "jetzt wo vielen klarer wurde, wer für die künftigen Herausforderungen die Richtigen sind".

"Es kommt zu vielen Neubesetzungen und damit zu Bewegung am Jobmarkt", glaubt Gudrun Heidenreich-Perez, Deloitte
Foto: Deloittte/feelimage

Tengel: "Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bedeutet das, stimmige Ja/Nein-Entscheidungen zu treffen. Entweder mit Engagement und Loyalität im Unternehmen zu bleiben oder dorthin zu wechseln, wo Talent und Potenzial besser eingesetzt werden können." Risiko und Chance seien auch auf der individuellen Ebene neu zu bewerten.

Viele Neubesetzungen

Da sind die Expertinnen und Experten auch Berufsoptimisten und positiv. "Die Krise zeigt auf allen Hierarchieebenen, wer seine Rolle in dieser extremen Ausnahmesituation effektiv wahrnehmen kann", so Gudrun Heidenreich-Perez von Deloitte. Schwachpunkte seien sichtbar geworden, dadurch werde es zu vielen Neubesetzungen und "mehr Bewegung am Jobmarkt kommen". "Wir sehen, dass sich jetzt viele Unternehmen für die Zukunft personell neu aufstellen wollen", verstärkt gehe es um Persönlichkeit und Potenzial, weniger um die Stationen im Lebenslauf, mehr um das "Mindset". Einen Fokus der Suche erkennt Heidenreich-Perez im Personalwesen und im Finanzbereich. Gesundheit, Energie und öffentlicher Dienst seien – das deckt sich mit der Erhebung von EY-Parthenon – besonders heftig auf Personalsuche.

"Für Berufseinsteiger wird es bis in den Herbst 2021 eher schwierig bleiben", sagt Martin Mayer, Iventa
Foto: Ursula Röck

Martin Mayer, Eigentümer des Personaldienstleisters Iventa, befürchtet, dass es für Berufseinsteiger bis in den Herbst 2021 eher schwierig sein werde. Erst wenn Unternehmen aus der Krisendeckung gingen, werde da wieder sichtbar investiert werden. Ob er den in den vergangenen Monaten auch sichtbar gewordenen Rückzug der Frauen aus dem Jobleben 2021 fortschreiten sieht?

"Wir haben vielfach auch eine Selbstrücknahme bemerkt, wenn es finanziell möglich war. Das hängt aber eins zu eins mit der schulischen Betreuung, mit der Notwendigkeit des Homeschoolings, zusammen. Das ist noch kein nachhaltiger Trend." Ebenso wie die Branchenkollegen ist er grundsätzlich zuversichtlich bezüglich seines Geschäfts und damit der Chancen am Jobmarkt. Er sucht selbst gerade Personal für die Iventa. (Karin Bauer, 20.12.2020)