Anders als in anderen Lebensbereichen waren die Pflegeheime während dieser gesamten Zeit nie auch nur einen Tag im Normalzustand, sondern arbeiteten seither durchgehend unter hohen Sicherheitsauflagen – für alle Beteiligten eine wahre Mammutaufgabe.

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Es ist wahrlich eine Gratwanderung: Einerseits sollte es das oberste Gebot der Stunde sein, die Risikogruppen vor einer Infektion mit Covid-19 zu schützen. Andererseits gilt es aber auch, unsere Lieben vor Vereinsamung zu bewahren.

Gerade Pflege- und Altenheime standen in den vergangenen Monaten im Fokus der Aufmerksamkeit. Cluster in Seniorenheimen hier, eine Häufung unerwarteter Todesfälle dort. Und immer wird das Virus von außen eingeschleppt – von Familienmitgliedern, Freunden oder dem Pflegepersonal. Doch wie sieht es in den Pflegeheimen wirklich aus? Wie nehmen Bewohner die derzeitige Situation wahr? Fühlen sie sich unsicher, einsam, vergessen?

Gefühlt sicher

Untersucht hat das nun die Karl-Landsteiner-Privatuniversität im Auftrag der Senecura-Gruppe. Der Anbieter von Pflege- und Gesundheitsdienstleistungen im privaten Sektor betreibt in Österreich 62 Einrichtungen mit rund 7.500 Betten und Pflegeplätzen. Von August bis September wurden 259 Bewohnerinnen und Bewohnern befragt, mit dem Hauptaugenmerk auf die Auswirkungen der im Frühjahr 2020 gesetzten Maßnahmen auf die Lebens- und Pflegesituation in den österreichischen Einrichtungen.

"Die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die Lebenszufriedenheit der Bewohnerinnen und Bewohner in den Sozialzentren von Senecura stabil ist", erklärt Studienleiter Franz Kolland. "Es lässt sich daher sagen, dass die gesetzten Sicherheitsmaßnahmen keinen erheblichen negativen Einfluss hatten", fasst er zusammen. 73 Prozent der Befragten gaben an, dass ihre Zufriedenheit während der Einschränkungen aufgrund der Pandemie ungefähr gleichblieb, 22 Prozent waren sogar zufriedener als sonst, und nur fünf Prozent bewerteten ihre Lebenszufriedenheit als schlechter.

Kolland ist es wichtig, festzuhalten, dass es nicht dem Befund der Studie entspricht, wenn medienwirksam immer wieder von eingesperrten und fremdbestimmten Lebensverhältnissen in Pflegeheimen berichtet wird. "Da wird medial ein Eindruck erzeugt, der sich nicht mit der subjektiven Wahrnehmung der großen Mehrheit der Bewohnerinnen und Bewohnern deckt," analysiert der Soziologe und Gerontologe. 94 Prozent fühlten sich vom Pflegepersonal beschützt, nur fünf Prozent bevormundet.

Eine Gratwanderung

Zu gelegentlichen Vorwürfen, die Pflegeheime wären zu wenig geschützt, kontert Markus Schwarz, Geschäftsführer der Senecura-Gruppe: "Wir leben nun seit neun Monaten mit der Bedrohung durch Covid-19. Anders als in anderen Lebensbereichen waren die Pflegeheime während dieser gesamten Zeit nie auch nur einen Tag im Normalzustand, sondern arbeiten seither durchgehend unter hohen Sicherheitsauflagen." Für alle Beteiligten eine wahre Mammutaufgabe.

Besonders hervorzuheben sei deshalb auch das hohe Sicherheitsgefühl in der Langzeitpflege. 95 Prozent der Bewohner gaben an, sich im Haus sicher gefühlt zu haben. Bemerkenswert ist, dass sie sich subjektiv deutlich weniger der Gefahr einer Covid-Infektion ausgesetzt fühlen als gleichaltrige Menschen, die zu Hause leben. Während beispielsweise bei einer Befragung der Gesamtbevölkerung über 80 Jahren in Niederösterreich 64 Prozent angaben, dass sie von einem hohen Risiko ausgehen, an Covid-19 zu erkranken, waren es im Zuge der Pflegeheim-Untersuchung nur 24 Prozent.

Neben dem Sicherheitsgefühl hat im ersten Lockdown auch das Gemeinschaftsgefühl in den Pflegeheimen etwas zugenommen (plus 13 Prozent). Wohl auch, weil Besuche von Angehörigen zeitweise nur eingeschränkt oder gar nicht möglich waren. "Wie in vielen Teilen der Gesellschaft lässt sich auch in einem Mikrokosmos wie der Pflegeeinrichtung die Beobachtung machen, dass die Beschränkungen der Pandemie dazu beigetragen haben, dass sich soziale Strukturen und Gewohnheiten neu sortieren mussten", interpretiert Kolland die Diagnose.

Verbindung zur Außenwelt

Die Studie zeigt aber auch, dass der Kontakt mit den Angehörigen zwar über längere Zeit physisch nicht möglich war, aber dennoch stattgefunden hat. Mehr als 30 Prozent gaben an, öfter als sonst von ihren Angehörigen aufgemuntert worden zu sein. Kolland spricht sogar von einem "super Geschäft für Mobilfunkanbieter": "Auf Basis der älteren Menschen sehen wir, dass ganz besonders viel telefoniert wurde. Das Telefon ist in dieser Generation die beste Möglichkeit, um mit anderen in Kontakt zu treten", betont er.

Ingrid Korosec, Präsidentin des Österreichischen Seniorenrats, sieht das sogar als wahren Booster für die Digitalisierung innerhalb der älteren Generation. "Die Digitalisierung als Tür zur Welt hat sich für viele geöffnet, denn es ist die Verbindung zu den Angehörigen – das wird sich positiv weiterentwickeln und auswirken", resümiert Korosec. "Skype, Facebook, Bilder versenden – damit wollten sich viele ältere Menschen bisher nicht auseinandersetzen. Jetzt sehen sie den Vorteil und machen mit."

Die Ergebnisse der Studie decken sich stark mit den Erkenntnissen einer von Ende Mai bis Mitte Juni durchgeführten Online-Umfrage der Senecura-Gruppe unter den Angehörigen. Die große Mehrheit der Betroffenen zeigen sich zufrieden mit den gesetzten Maßnahmen. 97 Prozent der über 1000 befragten Angehörigen hielten die getroffenen Maßnahmen sowie übermittelten Informationen für ausreichend, um die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner zu gewährleisten. Auch die Häufigkeit der Kommunikation über E-Mail oder Telefon in der Zeit der Besuchsverbote war für 93 Prozent der Befragten zufriedenstellend.

Emotionale Komponente leidet

Auch die Bewohnerinnen und Bewohner selbst stellten der Qualität der Pflege ein gutes Zeugnis aus: 90 Prozent der Befragten fanden, die Heimleitung habe sehr gut oder gut auf die Krise reagiert. 96 Prozent hatten das Gefühl, die Situation sei gut im Griff. Allerdings kam die emotionale Komponente unter dem erhöhten Aufwand für Hygiene- und Schutzmaßnahmen einerseits, aber wohl auch andererseits unter der hohen persönlichen emotionalen Belastung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter die Räder.

"Insgesamt ist diese Generation, die heute in den Pflegeheimen lebt, aber deutlich robuster und resilienter, als man das gemeinhin vermutet", fasst Studienleiter Kolland die Befunde zusammen. Der Mund-Nasen-Schutz, die somit fehlende Mimik oder Gestik und die reduzierten Ressourcen würden aber sicherlich zu einem gewissen Manko auf der emotionalen Ebene beitragen.

Spiegelbild

Pflegeheime spiegeln die Gesamtbevölkerung, betont auch Manager Markus Schwarz. Aufgrund der raschen Reaktion und umfassende Schutzmaßnahmen gab es hierzulande während des Lockdowns im Frühjahr vergleichsweise wenige Todesfälle in Pflegeheimen. Die Zahlen von Ages und Gesundheit Österreich belegen, dass das Virus während der ersten Welle die stationäre Pflege in Österreich vergleichsweise wenig getroffen hat – nur 0,3 Prozent der Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeheimen sind im Frühjahr 2020 hierzulande an oder mit Covid-19 verstorben. In Belgien waren es im Vergleich dazu im gleichen Zeitraum 3,7 Prozent.

Analog zu den deutlich höheren Infektionszahlen in der Gesamtbevölkerung ist nun im Zuge der zweiten Welle auch die Zahl der Infektionen in Pflegeheimen deutlich höher, ebenso leider auch die der Todesopfer. Die aktuellen Daten der Statistik Austria zeigen, dass sich die Zahl der Verstorbenen in Pflegeheimen im gleichen Ausmaß erhöht hat wie die Sterbefälle in der Gesamtbevölkerung über 65 Jahre.

Testen, testen, testen?

Dass diese erhöhte Zahl an Todesfällen eine natürliche Folge der Verbreitung des Virus in der Gesamtbevölkerung ist, davon ist Markus Schwarz überzeugt: "Die Infektionsraten lagen zuletzt um das mehr als Zehnfache über dem Niveau des Frühjahrs, das dürfen wir nicht vergessen." Dass diese alarmierende Entwicklung auch vor den noch so gut geschützten Pflegeheimen nicht haltmacht, dürfe dabei niemanden verwundern. "Abgesehen davon wird nun deutlich mehr getestet als im Frühjahr. Auch das ist zu berücksichtigen", sagt Schwarz.

Bei Senecura wurden mit aller Vorsicht und auf Basis der Erfahrungen des Frühjahrs in allen Einrichtungen Möglichkeiten geschaffen, dass Angehörigenkontakte geregelt und sicher stattfinden können. Nur im Einzelfall müssen Häuser für wenige Tage für Besuche geschlossen bleiben. Für die Weihnachtsfeiertage gilt deshalb: "Es gibt eine Besucherregel, die der aktuellen Verordnung entspricht. Innerhalb einer Woche dürfen je zwei Besucher kommen", erklärt Schwarz. Er hofft, dass sich die Besuche auf die gesamten Feiertage verteilen – weil er die Bewohner und Bewohnerinnen gesund durch die Feiertage bringen will. (Julia Palmai, 25.12.2020)