Ein Clown lebt vom Kontakt mit dem Publikum. Weil das derzeit nur begrenzt möglich ist, wurden die Shows ins Internet verlegt. Rund 20 Minuten dauert eine Vorstellung.

Foto: Jakob Pallinger

Sie gibt sich nicht sofort zu erkennen. "Haaallo. Bist du der Leo?" Langsam schiebt sie ihren Kopf von der Seite ins Bild. "Ja oder nein?" Ein leises "Ja" tönt aus den Lautsprechern. "Ich bin die Olga." Schon rutscht ihr das Rentiergeweih ins Gesicht. "Geh, mei Rentiergewehr, des mocht mi narrisch." Das Kindergesicht auf ihrem Bildschirm grinst. "Ich zeig dir mein Haustier", sagt Olga. In ihrer rechten Hand führt sie ein kleines Stoffschwein ins Bild. "Weißt du, warum es eine Windel hat?", fragt sie. "Weil’s reinkackt!" Das Kindergrinsen auf dem Bildschirm verwandelt sich in ein fröhliches Lachen. Olga hat ihren Job gut gemacht.

Olga fällt auf der Straße auf: Sie trägt einen roten Rock mit gleichfarbiger Masche, knallrote Stiefel, eine Clownsnase und ein "Rentiergewehr" am Kopf. An diesem Tag ist sie aber vor allem in ihrem Studio: rund 25 Quadratmeter, zwei Couches, eine Stehlampe, zwei weiße Sessel, ein roter Vorhang und eine vertikal aufgestellt Kistenhälfte, auf der ein Laptop steht. Es ist das Homeoffice eines Clowns. Per Videotelefonie verbindet sich Olga mit kranken und gesunden Kindern in Spitälern oder daheim, versucht, sie über Skype oder Zoom zum Lachen zu bringen.

Therapeutische Wirkung

"Um ehrlich zu sein: Live ist es natürlich etwas anderes", sagt Olga, die eigentlich Natascha Shalaby heißt. Live bedeutet: eine Clownshow direkt vor und mit dem Publikum, ohne Internet, Laptop und technische Störungen, dafür mit echten Berührungen und Begegnungen. Seit 26 Jahren ist Shalaby bereits Clown bei den Roten Nasen in Wien – oder, wie sie sagt, "Clowndoctor". "Lachen hat ja auch eine therapeutische Wirkung."

Shalaby besucht Kinder vor Operationen und Untersuchungen, Senioren in Pflegeheimen, demenzkranke Menschen, Kinder und Jugendliche in Palliativ- und Krebsstationen, Frauen in Krisenzentren, die missbraucht und vergewaltigt wurden, und Menschen in Psychiatrien. Wo der Corona-bedingte Lockdown derzeit keine Besuche zulässt, witzelt und blödelt sie vor der Kamera.

Fingerspitzengefühl

Dass es Humor geben kann, wo Menschen schwer krank sind oder kurz vor dem Sterben stehen, wo viele Furchtbares erlebt haben, kann man sich im ersten Moment nur schwer vorstellen. "Das ist natürlich sehr schwierig. Es braucht viel Fingerspitzengefühl, da Humor reinzubringen", sagt Shalaby. Je nach Krankheit und Situation unterscheide sich auch das Clownprogramm. Jugendliche und Erwachsene brauchen oft nur jemanden zum Reden. "Aber Kinder wollen immer spielen. In Palliativstationen sogar bis zum Schluss", sagt sie.

Shalaby wird ernster, wenn sie davon spricht. Verflogen sind das Lachen, die laute Stimme und die Witze, mit denen sie noch wenige Minuten zuvor den sechsjährigen Leo begeisterte. Aber da war Shalaby auch noch Clown Olga, und jetzt ist Shalaby eben wieder Shalaby.

Natascha Shalaby, die vor 57 Jahren in Linz geboren wurde, dort aufwuchs und dann in Graz in die Schauspielschule ging. Deren Vater Diplomingenieur war und wollte, dass sie lieber etwas "studiert". Shalaby ließ sich davon nicht beirren und bekam bald ihre ersten Theatervorstellungen in Graz. Als sie dort zum ersten Mal einen Clown spielte, war sie begeistert, wusste, dass die Rolle wie für sie geschaffen war.

Scheitern und wieder aufstehen

"Man liebt den Clown. Weil er immer scheitert, aber auch immer wieder aufsteht", sagt sie. Komiker-Berühmtheiten wie Charlie Chaplin, Stan Laurel und Oliver Hardy seien für sie von jeher Vorbilder. In deren Filmen und Shows ging es meist um das Scheitern, um Missgeschicke, Prügeleien, Verfolgungsjagden und Tortenschlachten, um die einfältige und kindliche Figur, die den Besserwisser übers Ohr haut, um die Überspitzung von Ereignissen und Eigenschaften, die doch auf einem wahren Kern beruhen und unsere Schwächen und Fehler aufdecken.

"Die Clownsfigur ist ein Stück weit wie man selbst, nur eben verstärkt und vergrößert", sagt Shalaby. Als Clown ist Shalaby dann Olga. Doktor Olga Oberwichtig. Die, die vorgibt, alles zu können, aber dann am Ende doch nichts schafft. Eine resolute und körperliche Frau, mit entschlossenem Gang, lauter Stimme und sicherem Auftreten. Eine Frau, die wild mit den Händen gestikuliert, wenn sie den Raum betritt, und kreischt, wenn sie stolpert oder sich den Kopf anstößt.

Aber Olga ist auch ein Clown, der weinen kann, tröstet und mitfühlt, sagt Shalaby. "Die Olga hat viele Facetten." Und sie fügt hinzu: "Ich weiß, das klingt ein wenig schizophren, aber mir ist sie schon sehr ans Herz gewachsen. Sobald ich die rote Nase aufsetze, bin ich eben Olga. Das ist quasi die kleinste Maske der Welt."

Vom Aussterben bedroht?

Aber wo steht der Clown in einer Welt, in der Unterhaltung ein Massenprodukt ist? In der Smartphones, Youtube, Tiktok und Talkshows die Geschwindigkeit vorgeben? In der der Clown als verklärte Version seiner selbst noch höchstens als "Joker" im Film auftritt oder als Beschimpfung Politikern wie Donald Trump an den Kopf geworfen wird? Ist der Clown vom Aussterben bedroht?

"Der Clown ist heute weniger präsent als früher", sagt Shalaby. Viele Kinder würden mittlerweile auf andere Dinge stehen. "Deshalb muss sich der Clown die Aufmerksamkeit wieder erkämpfen." Er müsse die Menschen begeistern und miteinbeziehen, sie herausfordern, ihnen Freude dort geben, wo vorher keine war, sagt sie.

Schon oft habe sie es geschafft, Menschen zum Lachen zu bringen, die von Clowns nicht viel hielten und denen gerade nach wenig Humor zumute war. Jugendliche, die nach durchzechter Nacht im Krankenhaus liegen und mit denen Olga am nächsten Morgen "blödelt" und sie aufzieht. Altenheimbewohner, für die sie alte Schlager spielt, bei denen selbst Demenzkranke beginnen mitzusingen, wie Shalaby erzählt. Senioren, mit denen sie "steppt" und denen sie Geschichten aus ihrem Leben erzählt.

Gesellschaft wird einsamer

Shalaby glaubt, dass es den Clown noch länger brauchen wird. "Unsere Gesellschaft wird älter und einsamer. Die Menschen brauchen immer öfter jemanden zum Reden und Lachen." Die aktuelle Krise habe die Bedeutung von Humor noch einmal verstärkt. "In so einer Zeit ist es wichtig, immer wieder aus dem Alltag herausgerissen zu werden."

Bis zum Ende der Lockdowns wird Shalaby noch mit abgesagten Auftritten und Einkommenseinbußen leben müssen. Für die Zeit danach hat sie aber schon einiges vor: Sie will wieder Zirkusse, Schulprogramme und Gartenkonzerte organisieren, wieder als Schauspielerin arbeiten und den Menschen –statt über Kamera – direkt begegnen.

Dem sechsjährigen Leo hat sie, bevor das zwanzigminütige Zoom-Gespräch zu Ende war, gleich noch alles Gute zu Weihnachten, zum Christkind, zum Geburtstag und im "Kinderzoo" gewünscht. Gedanken an die Corona-Krise, gesundheitliche oder andere Sorgen hat Olga keine verschwendet. Denn eines weiß ein Clown aus Erfahrung: dass ein bisschen Optimismus für die Zukunft nicht schaden kann. (Jakob Pallinger, 8.1.2021)