Jüngst postulierte hier im STANDARD Christian Fridrich von der Pädagogischen Hochschule Wien, dass ein eigenes Schulfach Wirtschaft, losgelöst vom Schwesterfach Geografie, nicht notwendig sei. Sein zentrales Argument: Erst durch den Zusammenschluss mit Geografie kann die gesellschaftliche Komponente in das Thema Wirtschaft eingebracht werden. Dem entschieden entgegengetreten ist Bettina Fuhrmann von der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihr zufolge sprechen gerade das mangelnde wirtschaftliche Wissen großer Teile der Bevölkerung und auch die Verknüpfung mit vielen anderen Fächern wie Psychologie und Mathematik für ein eigenes Fach Wirtschaft.

Tatsächlich läuft, wie von Fuhrmann und Martin Halla von der Universität Linz angesprochen, Wirtschaft nicht als Schwesterfach, sondern häufig als Unterfach zu Geografie. Bei der Ausbildung der Lehrer für Geografie und Wirtschaftskunde (GWK) an den Unis sind wirtschaftliche Kurse im Curriculum in der Minderheit. An der Universität Wien werden Diplomarbeiten der angehenden GWK-Lehrer zu wirtschaftlichen Themen aus einem trivialen Grund kaum verfasst: Externe Lektoren werden zwar zur Wissensüberbrückung bei wirtschaftlichen Themen an den geografischen Fakultäten herangezogen, dürfen gemäß Satzung aber keine Diplomarbeiten betreuen.

Wir sind schon im Jahr 2020

Das Ergebnis kann uns nicht zufriedenstellen. Trotz rekordverdächtiger Ausgaben im Bereich der Bildung und wichtiger zusätzlichen Initiativen rangiert Österreich beim wichtigen Teilgebiet der Financial Literacy nur im Mittelfeld der OECD-Länder. Aber zumindest gibt es Hinweise auf jüngste Verbesserungen und auch weitere Anstrengungen.

Doch während die Frage nach der besten Organisation des Wirtschaftsunterrichts Bedeutung hat, verblasst diese Thematik doch in der Wichtigkeit der Frage wie auch in der Eindeutigkeit der Antwort gegenüber einem anderen Missstand im Bildungsbereich, der auch große wirtschaftspolitische Bedeutung hat: jenem der digitalen Fähigkeiten. Dazu eine kurze Schilderung: Im Rahmen einer Seminararbeit in meiner Lehrveranstaltung sind die angehenden GWK-Lehrer gefordert, Daten zum Außenhandel eines Landes in einem Tabellenverarbeitungsprogramm aufzubereiten, darzustellen und zu interpretieren. Ein Student empört sich: "Ich habe noch nie mit so was gearbeitet! Wieso muss ich mich damit beschäftigen, wenn ich doch weiß, dass ich meine restliche berufliche Laufbahn so was nicht aufdrehen werde? Maximal Powerpoint werde ich brauchen!" Er ist vielleicht 22 Jahre alt, und wir schreiben das Jahr 2020.

Dieses Jahr hat den schwersten Wirtschaftseinbruch in Friedenszeiten zu verzeichnen. Die Zeitreihe des Vereinigten Königreichs geht bis in das Jahr 1700 zurück. Nur während des Spanischen Erbfolgekriegs zu Anfang des 18. Jahrhunderts gab es höhere Rückgänge der Produktion, als für das Jahr 2020 erwartet werden. Die Corona-Krise zeigt die Bedeutung der Digitalisierung in zweierlei Hinsicht. Wo möglich, wird das Leben auf Digital umgestellt: beim Kaufen, Arbeiten und bei den sozialen Kontakten. Aber digitale Technik hilft nicht nur, trotz des Virus soziale Prozesse stattfinden zu lassen, sie ist auch eine wesentliche Waffe gegen das Virus selbst. Der verblüffende Erfolg asiatischer Staaten quer über unterschiedliche Wohlstandsniveaus (Vietnam und Taiwan) und quer über gesellschaftliche Freiheiten (China und Japan) hat mehrere Gründe, aber die breite Anwendung und Akzeptanz von digitaler Technik ist wohl der wichtigste.

Jobchance digitale Kompetenz

Die Bedeutung der Digitalisierung wird durch die Pandemie unterstrichen, war aber bereits zuvor eine Binsenweisheit für jeden, der mit offen Augen durch die Welt gegangen ist. So hat der technologielastige Index Nasdaq seit 1990 eine dreimal höhere Performance als branchenbreitere Indizes wie etwa der S&P 500 verzeichnet. Und so ist der Anteil des Wirtschaftszweigs Informationstechnologie (NACE 62 und 63) an der Gesamtwertschöpfung in jedem Land der EU stetig gewachsen und hat sich in den letzten zwanzig Jahren in etwa verdoppelt. Doch blind wäre, wer die fortschreitende Digitalisierung nur in bestimmten Wirtschaftszweigen vermutet oder zwingend mit den Buzzwords Artificial Intelligence, Big Data oder Distributed Ledgers in Verbindung bringt.

"Sie wollen in der Personalabteilung arbeiten? Bitte finden Sie heraus, welche Abteilung in welchem Monat systematisch Überstunden leisten muss." "Sie wollen im Kulturbereich arbeiten? Können sie uns einen Onlineticketshop programmieren? Eine Kundendatenbank hochziehen?" "Sie wollen Journalistin werden? Wir würden gerne diese 2.600 Gigabyte an Daten zu den Panama-Papers auswerten." "Sie wollen Ökonomin werden und einen Beitrag zur Armutsbekämpfung leisten? Wir haben hier einen Individualdatensatz vom AMS, der dafür geeignet wäre!"

Tote Sprachen wie Latein oder Religion werden häufiger unterrichtet als Informatik.
Foto: FADEL SENNA / AFP

Auch der Germanist will wissen, wie sich ein neues Wort demografisch und geografisch ausgebreitet hat, und verwendet dazu Textanalysen. Dafür greift er auf moderne statistische Software zurück – wie übrigens jeder Wissenschafter außerhalb des kleinen Feldes der reinen Theoretiker. Und auch die Wissenschaft gewinnt zunehmend an Bedeutung. Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im BIP steigen in etwa ebenso schnell wie die der Anteil der Informationstechnologie. Technischer Fortschritt ist nicht nur der wesentliche langfristige Faktor für Wirtschaftswachstum, er bietet auch immer mehr Menschen Arbeit weit oben in der Maslow'schen Bedürfnispyramide und ist obendrein ein wichtiger Hebel in der Bekämpfung der Klimakrise. Aber ohne digitale Kompetenz keine moderne Wissenschaft, ohne Wissenschaft keine Innovationskraft.

Digitale Kompetenz ist nicht nur für den Arbeitsmarkt wichtig, sondern auch persönlich befähigend. Es macht einen mündiger, weil man auf Rohdaten zugreifen und diese auswerten kann, anstatt sich auf die Interpretation anderer verlassen zu müssen, und weil man sich selbst in manchen Fällen eine Lösung coden kann, anstatt sich einer internationalen Datenkrake und ihren Updatezyklen auszuliefern. Kurzum: Coding is the literacy of the 21st century.

Wenig Informatik, viel tote Sprache

Das haben auch die Politikberater erkannt und daher ist eine der drei Hauptprioritäten der EU‑Kommission bis 2024 die EU-Digitalstrategie. Auch die OECD empfiehlt Österreich als eines von drei Kernthemen, bessere Rahmenbedingungen für die digitale Transformation zu schaffen.

Doch wie sieht dieser Rahmen aus, den das Bildungssystem hier entscheidend aufspannt? Die Stundenpläne der Gymnasien sind mittlerweile online zu finden. Eine Auswertung von drei Stichproben in Niederösterreich ergibt: Wählt ein junger Schüler einen altsprachlichen Zweig, so nimmt er im Zuge seiner schulischen Laufbahn an circa zehn Lateinstunden pro einzelner Informatikstunde teil. Die Summe der Stunden für die zweite und dritte (lebende/tote) Fremdsprache entspricht dann der Summe der Stunden aus Biologie, Physik, Chemie und Informatik. Wie war das noch mal mit Corona?

Doch es gibt ja auch das Realgymnasium. Sofern dort ein Informatikschwerpunkt angeboten wird, kommt eine Schülerin auf circa ebenso viele Stunden in Informatik wie in Latein oder Spanisch. Wird dies nicht angeboten und rechnet man die Volksschule mit, so wird diese Schülerin sechsmal so viele Religionsstunden wie Informatikstunden absolvieren – und das bei der Wahl eines Realgymnasiums.

Kein Wunder also, dass in Österreich nahezu jeder nach der ersten Klasse Volksschule weiß, welches Geschenk jeder der Heiligen Drei Könige dargebracht hat, aber viele selbst nach der 12. Schulstufe nicht, wie man einer Maschine systematisch Befehle gibt. Kein Wunder auch, dass viele Maturanten die "Metamorphosen" des Ovid rezitieren können, aber überrascht und überfordert sind, wenn sie im Beruf oder auf der Universität den Computer für das nutzen sollen, wofür er seinen Namen erhalten hat.

Tatsächlich ist das Problem größer, da nicht nur die Kenntnisse zur Umsetzung fehlen, sondern auch das Wissen darüber, was mit digitalen Technologien möglich ist. Der oben beispielhaft erwähnte Individualdatensatz steht gar nicht zur Verfügung. Nicht weil es ihn nicht gibt, nicht weil er keine Erkenntnisse für Wissenschafterinnen bietet, sondern weil – mangels Kenntnis seiner Potenziale – den Entscheidungsträgern kein demokratischer Druck entsteht und somit diese Daten der Wissenschaft gar nicht zur Verfügung gestellt werden.

Modernisierung des Lehrplans

Die Bildungspolitik hat dennoch reagiert und 2018 einen digitalen Masterplan vorgestellt. Doch während manche wichtige Grundlagen gelegt werden, wie Hard- und Software an den Schulen, gehen die genannten Schwerpunkte im Lehrplan am Ziel vorbei, denn "weniger das Erlernen einzelner Fakten steht im Vordergrund, sondern das Verständnis für große Strukturen, Zusammenhänge, Kritikfähigkeit und Interpretation". So wird in Österreich im Rahmen der "Digitalen Grundbildung" gelehrt, Passwörter und kompromittierende Bilder nicht ins Internet zu stellen und Social-Media-Inhalte auf Fake-News zu hinterfragen, während in Japan die gleiche Altersstufe in einem Klassenprojekt einfach ihr eigenes kleines Social-Media-Netzwerk programmiert und damit diese "Zusammenhänge" zusätzlich zu wertvollen Fähigkeiten erwirbt.

Österreich liegt im Bereich der Finanzbildung im Mittelfeld, ist im Bereich der Programmierkenntnisse aber unter den Schlusslichtern der Schlusslichter. Denn auch unsere europäischen Nachbarn, die uns im Schnitt voraus sind, sind global gesehen Nachzügler. Egal ob man die weltweiten Tech-Giganten per Umsatz oder Kapitalisierung reiht, keiner der Top Ten kommt aus der EU, dafür einige aus dem vergleichsweise winzigen Taiwan, aus Südkorea oder aus Japan. Taiwan hat seit den 1970er-Jahren wirtschaftlich überraschend schnell zu den reichen westlichen Staaten aufschließen können, und viele fragen sich, ob dies bei China auch so sein wird. Tatsächlich aber hat Taiwan gar nicht aufgeschlossen, es war immer schon auf der Überholspur. Heute ist es pro Kopf reicher als Österreich. Die Welt, und China, warten nicht auf uns.

Wenn wir uns nicht immerfort mit ausländischen Tech-Unternehmen und deren Datenhunger herumraufen wollen, nicht immer ängstlich der nächsten Arbeitslosenstatistik entgegenblicken wollen, dann sollten wir die Lehren, die spätestens seit der Corona-Krise nicht mehr zu leugnen sind, ernst nehmen und eine mutige, weil überfällige, Modernisierung unseres Lehrplanes vornehmen. Dann werden wir in Zukunft wieder die Mechanismen verstehen, die den Dingen unseres Alltags zu Grunde liegen, wie Apps, E-Mails oder Webshops. Dann werden wir sogar Marktlücken sehen, wo uns heute Softwareprobleme plagen.

Dann hat sogar der Student aus obigem Beispiel damit recht, dass er in seiner Laufbahn nicht auf Excel angewiesen ist – weil er stattdessen R, Python, C#, Javascript oder eine andere der mächtigen Zaubersprachen des 21. Jahrhunderts spricht. (Stefan Kerbl, 29.12.2020)