Für die WM trainierte Suljović wochenlang täglich vier bis sechs Stunden. Das klingt aufwendig, ist es auch. "Für mich ist Darts kein Spaß mehr. Das ist meine Arbeit."
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Geht es nach Mensur Suljović, könnte alles so bleiben. "Am liebsten spiele ich ohne Zuschauer", sagt er. Obwohl der gebürtige Serbe, der seit Anfang der 1990er in Wien lebt, schon seit Jahren zu den besten Dartsspieler der Welt zählt, ist er bei großen Turnieren "wahnsinnig nervös". Er lasse sich von zu vielen Dingen ablenken, vor allem vom Publikum.

Um das zu ändern, arbeitet der 48-Jährige mit einem Sportpsychologen. Als er den STANDARD zum Gespräch in seine Trainingsstätte in Wien-Brigittenau lädt, hat er gerade ein Mentaltraining hinter sich. Die Lehre aus der Einheit: "Ich darf nicht nur hoffen, dass ich gut spiele. Ich muss gut spielen."

Die Form ist wichtiger denn je, am Ende des Jahres steht die Weltmeisterschaft in London an. Das Turnier im legendären Alexandra Palace läuft seit 15. Dezember. 2019 verlor Suljović in der zweiten Runde gegen Fallon Sherrock, die als erste Frau bei einer WM des Profiverbands PDC siegte. In diesem Jahr hatte Suljović zum Auftakt als 20. der Geldrangliste ein Freilos. Am Mittwoch bekommt er seinen ersten Auftritt gegen Matthew Edgar aus England, die Nummer 66 – eine machbare Aufgabe. Suljović ist überzeugt davon, "dass ich in diesem Jahr in einer besseren Form bin. Bei der WM bin ich aber immer skeptisch. Schau ma mal." Immerhin: Zuschauer sind im Corona-Hotspot London diesmal doch keine erlaubt.

Die grölenden, verkleideten Fans muss man sich in diesem Jahr dazudenken. Hören kann man sie – nicht immer zum richtigen Zeitpunkt.
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Kein Spaß

Suljović begann vor mehr als 25 Jahren mit dem Darts. Er spielte in Kaffeehäusern, meist auf Automaten mit Pfeilen mit Plastikspitzen. Nach und nach konzentrierte er sich auf Steel-Darts, das Spiel auf eine Sisalscheibe, bei dem man selbst den Spielstand nachrechnen muss.

Seit etwas mehr als vier Jahren kann Suljović vom Sport leben. Er schlug namhafte Gegner, 2017 gelang ihm der erste Sieg in der Champions League of Darts, einem der großen Major-Turniere. Neben dem Preisgeld waren lukrative Sponsorenverträge die Folge. "Davor war es ein sehr hartes Leben", sagt Suljović. "Wir hatten einige Top-Talente, die haben alle aus finanziellen Gründen aufgehört."

Solche Probleme könnten in Zukunft beseitigt sein. Die Sports Austria hat Darts im Juni 2020 offiziell als Sportart anerkannt. "Ich verstehe jeden, der Spaß hat beim Darts, aber für mich ist es kein Spaß mehr", sagt Suljović. "Das ist meine Arbeit." Deshalb freut er sich, dass man nun erkannt habe, "dass Darts doch auch Sport ist".

Der Dartsverband ist nun assoziiertes Mitglied bei Sport Austria, damit könnten künftig Programme für die Förderung von Jugendlichen entstehen. Suljović selbst spürt, dass Darts mehr und mehr an Popularität gewinnt. "Ich werde am Flughafen oder auf der Straße erkannt, das hat es früher nicht gegeben."

Im persönlichen Gespräch ist Suljović freundlich, höflich und zuvorkommend. Sein Spitzname lautet "The Gentle", der Sanftmütige. Es gibt keine treffendere Beschreibung. Auf der Dartsbühne zeigt er aber ein anderes Gesicht. Befreit er sich in engen Matches aus besonders brenzligen Situationen, bläst er sich auf, klopft sich auf die Brust und deutet eine Kopfnuss an, die er aber nie an den Gegner richtet. "Ich rege mich innerlich sehr oft auf. Das muss dann raus."

Die Körpersprache ist elementarer Teil des Sports. Der Ranglistenerste Michael van Gerwen ist bekannt für seine pantomimischen Explosionen. Beim aufstrebenden Gerwyn Price wirkt alles noch bedrohlicher: Der ehemalige Rugby-Spieler hebt sich mit seinem durchtrainierten Körper merklich von der Konkurrenz ab. Das an sich ist aber noch kein Vorteil.

Sollten Sie an einem Darts spielenden Gerwyn Price vorbeispazieren, wechseln Sie lieber die Straßenseite.
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Kein Problem

"Die mentale Stärke macht es aus", sagt Suljović. "90 Prozent der Spieler versuchen, den anderen aus dem Konzept zu bringen." Suljović trainiert das sogar bewusst. "Wenn der Gegner in seinem Rhythmus spielen will, spiele ich langsamer. Das ist dann nicht mein Problem."

Am Montag reiste Suljović nach London, sein Manager begleitet ihn. Bei der Ankunft wurden sie auf Covid-19 getestet. Am Sonntag gab es den ersten Corona-Fall bei der WM: Der Niederländer Martijn Kleermaker wurde aus dem Turnier genommen.

Im Alexandra Palace waren nur am ersten Turniertag Zuschauer zugelassen. Das bedeutet aber nicht, dass es leise ist: Ein Tontechniker spielt in Echtzeit Fan-Reaktionen ein. Gewinnt ein Spieler einen Satz, grölt es aus den Lautsprechern. Verpasst jemand den entscheidenden Wurf, gibt es vernehmliches Raunen. Suljović spielt am liebsten ohne Zuschauer. Er sagt aber auch: "Darts ohne Zuschauer geht nicht." Denn ab und zu verdrückt sich der Tontechniker. Dann grölen die Lautsprecher, obwohl sie raunen sollten. (Lukas Zahrer, 23.12.2020)

DER STANDARD