An der schlecht zugänglichen Datenlage wird auch das geplante Covid-Intensivregister nichts ändern, sagen die beiden Professoren für Volkswirtschaftslehre Martin Halla und Harald Oberhofer im Gastkommentar.

Stellen Sie sich vor, unser Staat hätte das Monopol auf Mehl und alle Bäcker wären auf staatliche Lieferungen angewiesen. Und obwohl das Ministerium für Mehl auf vollen Speichern sitzt, bekommt jeder Bäcker nur einen kleinen Sack Mehl, der nicht einmal für einen Laib Brot reicht. Die Regale bleiben leer, und es gibt im ganzen Land kein Brot zu kaufen. Klingt absurd? Ist es auch! Dennoch ist es eine treffliche Metapher für den Umgang mit forschungsrelevanten Daten in Österreich. Der Staat monopolisiert de facto alle relevanten Informationen. Die Gebietskörperschaften erheben täglich eine große Menge wertvoller Daten und legen diese in Registern ab. Unsere Datenspeicher sind voll – jedoch gut versperrt. So liegt diese Ressource brach und kann von den Forscherinnen und Forschern dieses Landes nicht genutzt werden. Die Leidtragenden sind wir alle.

Eine Kerze für jeden an den Folgen einer Corona-Infektion verstorbenen Menschen. 5127 Kerzen brannten am Freitag auf dem Stephansplatz in Wien, am Montag wären es schon 5435 gewesen. Die Aktion der Caritas sollte die Zahlen verdeutlichen. Die Wissenschaft will die Auswirkungen der Pandemie analysieren und wünscht sich bessere Daten.
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Sprechen wir konkret über das, was uns alle derzeit bewegt. Zur Erforschung von Sars-CoV-2 und Covid-19 hat der Gesundheitsminister eine Plattform zur wissenschaftlichen Nutzung von Daten des Epidemiologischen Meldesystems (EMS) geschaffen. Das sieht auf den ersten Blick gut aus, man darf sich allerdings nicht von Oberflächlichkeiten blenden lassen.

Isoliertes Datensilo

Werfen wir also einen Blick auf den bereitgestellten Datensatz. Er enthält sechs Variable: Alter, Geschlecht, Region, Diagnosedatum, Todesdatum und das Datum der Genesung. Damit lassen sich nur sehr kleine Brötchen backen: einfachste deskriptive Auswertungen, die man ohnehin auch auf dem Dashboard Covid-19 der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) findet. Die Datenplattform bietet keine Information zu den Krankheitsverläufen, zu etwaigen Hospitalisierungen oder zu Vorerkrankungen. Über den sozioökonomischen Hintergrund, wie etwa den Beruf der Patientinnen und Patienten, ist nichts bekannt. Welche relevanten Forschungsfragen kann man mit solchen Daten seriös wissenschaftlich beantworten? Die Antwort lautet: Keine!

Forscherinnen und Forscher in anderen Ländern, allen voran in Skandinavien, haben Zugriff auf pseudonymisierte Register- und Statistikdaten. Dies erlaubt es ihnen, Daten aus den epidemiologischen Meldesystemen mit anderen Datenquellen zu verknüpfen, ohne dass dabei die Identität der erfassten Personen aufgedeckt würde. Diese Möglichkeit der pseudonymisierten Verknüpfung potenziert die Analysemöglichkeiten und erlaubt es den Forscherinnen und Forschern, so gut wie alle relevanten Fragen zu untersuchen, zum Beispiel den Einfluss des sozioökonomischen Hintergrundes und der Vorerkrankungen auf die Wahrscheinlichkeit und den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung. In Österreich ist das unmöglich!

Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat angekündigt, ein Covid-Intensivregister zu schaffen, das zumindest die Krankheitsverläufe von Intensivpatienten dokumentiert. Anstatt des längst überfälligen Schrittes zu einer modernen Registerforschung – insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens –, stellen wir nun ein weiteres kleines, isoliertes Datensilo auf, dessen Mehrwert gegen null tendiert. Die dort bereitgestellten Informationen ermöglichen genauso wenig eine seriöse Forschung zu Covid-19 wie die Daten aus dem EMS.

Keine Priorität

Diese Situation ist extrem unbefriedigend. Aus der Sicht der österreichischen Wissenschaft kann man nur froh sein, dass derzeit keine wissenschaftlichen Kongresse stattfinden. Mit den österreichischen Covid-19-Daten würden wir uns lächerlich machen. Die wirklich Leidtragende ist aber die Bevölkerung, die nicht von der Analyse ohnehin vorhandener Datenbestände profitieren kann, wenn wichtige Forschungsarbeiten zu Ausbreitung und Verlauf von Covid-19 mangels Datenzugangs der Wissenschaft unterbleiben. Für dieses Versäumnis bezahlen Menschen mit ihrem Leben.

Warum während einer akuten Gesundheitskrise die Schaffung von Datenzugängen für die Wissenschaft keine politische Priorität einnimmt, ist für uns nicht nachvollziehbar. Nicht einmal die bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten werden voll ausgeschöpft. Stattdessen demonstrieren hohe Funktionsträger des Gesundheitsministeriums vor laufender Kamera ihr Unverständnis für moderne wissenschaftliche Arbeit und deren Voraussetzungen. Covid-19 sollte uns gelehrt haben, dass das Horten von Daten zur Generierung von ausschließlichem Herrschaftswissen ein für alle Mal vorbei sein muss. (Martin Halla, Harald Oberhofer, 22.12.2020)