Anna Jermolaewa führt auf den ersten Blick auf eine falsche Fährte. Ihre Arbeit "The Penultimate" ist politisch statt romantisch.

Foto: Pascal Petignat

Es ist der Fotospot in der Ausstellung When Gesture Becomes Event der Künstlerhaus-Vereinigung: Anna Artakers Stoffinstallation The Cloth of State an der Decke des zentralen Stiegenhauses. Leuchtend orange, gelb und rot ziehen sich die fünf Tuchbahnen der Wienerin, die mit ihren auf traditionelles afrikanisches Kente-Tuch zurückgehenden Mustern einerseits auf Widerstand gegen den Kolonialismus, mit ihrer Drapierung andererseits auf Kaisermacht anspielen, durch den Raum. Absicht oder nicht, sie nehmen damit dem Zugang zu den Sälen der Albertina Modern im Erdgeschoß das Licht. Sie stellen sie im wahrsten Sinn des Wortes in den Schatten. Sehr keck!

Die Geste wird hier tatsächlich zum Ereignis, wie der Ausstellungstitel verspricht. Zwei Umstände der Schau selbst lassen sich aber zudem als Gesten deuten: Erstens versammelt sie ausschließlich Künstlerinnen (ohne Binnen-i), zweitens steht sie in der hauseigenen 150 Jahre alten Tradition der Länderausstellungen. So begegnet man nebst Renate Bertlmann und Dorit Margreiter (beiden geht es um feministische Solidarität in der Kunstszene) vielen neuen Namen aus der zeitgenössischen slowenischen Kunstszene.

Staubwedel und Blümchen

Etwa Polonca Lovšin. Die zwei Meter hohen Papiercollagen der aus Ljubljana stammenden Künstlerin gehören zu den optisch knalligsten Beiträgen. Menschen mit buntem Federschmuck auf dem Kopf und Staubwedeln in Händen bevölkern sie. Ihre Hände stecken in Handschuhen, an denen lange Stecken mit Federbüscheln kleben. Vor grauen Großstadtskylines passieren diese Leute bunt blühende Felder. In einer zerstörten Umwelt haben sie die Aufgabe der Bienen übernommen und bestäuben in gemeinsamer Arbeit die Pflanzen. Das ist so gewitzt wie hübsch anzuschauen.

Passenderweise zeigt Anna Jermolaewa im selben Raum Blumen. Rosen, Tulpen, Nelken – alle Blumen welken? Wer meint, er hätte diese Geste schon durchschaut, irrt nun aber gewaltig. Es geht weder um Liebe noch um Vergänglichkeit, sind die Sträuße doch obendrein alle aus Plastik. Sie stehen stattdessen für Revolutionen, die seit 1974 weltweit unter dem Namen von Blumen stattgefunden haben. Ein Orangenbäumchen? Meint die Ukraine 2004.

Das die 15 gezeigten Kunstwerke erklärende Booklet tut also not! Man kann sich beim Spaziergang durch die Säle aber jedenfalls an die Faustregel halten, dass alles, was gezeigt wird, zum friedlicheren und faireren Zusammenleben aufruft.

Allerlei Kontaktaufrufe

Marjetica Potrč, ebenfalls aus Ljubljana, hat für ihr raumhohes House of Social Engagement folglich dünne Holzstämme mit Seilen zum Gerüst einer Hütte zusammengebunden. Ein Mensch allein hätte das nicht geschafft, so die Botschaft. Roberta Lima (nach Zwischenstopp in Wien in Helsinki ansässig) schlägt in eine ähnliche Kerbe: Kabelbündel imitieren Baumwurzelgeflechte.

Man kann diese Sehnsucht nach Kontakt in Zeiten von Corona besonders mitfühlen. Es gibt hier mit einem Video von Constanze Ruhm, das an Murmelspiele erinnert, dabei aber von demokratischer Diversität handelt, und Maruša Sagadins freundlichen Bänken für öffentliche Orte aber noch mehr, das eines Blickes und einer Überlegung wert ist. (Michael Wurmitzer, 21.12.2020)