Der Papst mahnte, Alte und Kranke nicht abzuschieben

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Kurz vor Weihnachten hat man wieder einmal von der Kirche gehört – mit der christlichen Mahnung, Fremde zu beherbergen und dem dezenten Hinweis, dass ja auch Maria und Josef seinerzeit in Bethlehem auf Herbergssuche waren, als das Jesuskind geboren wurde.

Ja, an diese Geburt erinnert das Weihnachtsfest, auch wenn das in all den Diskussionen, wie viele Personen aus wie wenigen Haushalten heuer unter dem Christbaum zusammenkommen dürfen, sehr weit in den Hintergrund getreten ist.

Es scheint den Vertretern der Kirche geradezu peinlich zu sein, die frohe Botschaft zu verkünden, die zu verkünden sie eigentlich berufen sind: Es wurde der Heiland geboren; Gottes Sohn, der durch sein Opfer die Sünden der Welt hinweggenommen hat und die Menschen aus dieser von Mühsal geplagten Welt in die ewige Seligkeit zu führen bereit ist – wenn die Menschen bereit sind, ihm auch zu folgen. "Heiland", "Sünde", "Seligkeit": Das sind unzeitgemäße Begriffe, auch in einem Jahr, das wahrlich von Mühsal gekennzeichnet war.

Man möchte meinen, dass die Corona-Krise genügend Anstoß gegeben hätte, über Leben und Tod nachzudenken.

Zweifel und Verzweiflung

Und sie hat auch Anknüpfungspunkte geboten, die Menschen in ihren Zweifeln und ihrer Verzweiflung anzusprechen und ihnen den Glauben an die Erlösung durch Jesus Christus nahezubringen. Papst Franziskus hat es mit seiner Enzyklika "Fratelli Tutti" im Oktober wenigstens versucht. Die Seuche hat er dabei aber nur ganz kurz angesprochen, nämlich mit dem Hinweis, dass Alte und Kranke nicht aus unserer Gesellschaft abgeschoben werden dürften.

Es war immerhin ein wichtiger Teil des Wirkens jenes Jesus aus Nazareth, dessen Geburtsfest gefeiert wird: Jesus hat die Kranken, die Ausgestoßenen, die "Aussätzigen" in die Gesellschaft zurückgeholt. Und ihnen wie allen anderen den Weg ins Himmelreich gewiesen.

Kirchliches Alleinstellungsmerkmal

Das nämlich ist das Alleinstellungsmerkmal der christlichen Religion: Wer an den dreifaltigen Gott glaubt, seine Sünden bereut und gute Werke tut, der darf im Jenseits ein Leben in Fülle erwarten. An den Mahnungen zu guten Werken fehlt es nicht – aber für diese Mahnungen bedarf es nicht der Kirche; es gibt allerhand weltliche Mahner, die das Öffnen der Herzen, der Kassen und der Herbergen für Arme, Kranke und Flüchtlinge predigen.

Mit den Sünden ist es schon ein bisserl schwieriger – die werden heutzutage in der westlichen Gesellschaft vor allem als Versündigung an Umwelt und Klima verstanden. Auch da fehlt es nicht an Aufrufen zur Umkehr. Die klassischen Todsünden – Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Faulheit – kennt man kaum dem Namen nach. Und wenn es im Zusammenhang mit der Kirche um Sünden geht, dann denkt man vor allem an Missbrauchsfälle. Fälle für das Strafrecht, aber nicht eigentlich für die Kirche.

Missbrauch aufklären reicht nicht

Glaubt irgendjemand, dass die Kirche wieder mehr Zulauf hätte, wenn aller Missbrauch aufgeklärt wäre? Wohl kaum.

Erfolgreich wird sie nur sein, wenn sie ihrer eigentlichen Aufgabe gerecht wird, die Seelen der Menschen zu erreichen. Man hat das einmal Missionsarbeit genannt – und es zeigt sich, dass die innere Mission, das Erreichen der "Taufscheinkatholiken", besonders schwer ist. Aber wenn die Kirche den Auftrag dazu nicht erkennt, wird sie in Europa keine Bedeutung mehr haben. (Conrad Seidl, 24.12.2020)