Im Jahr 2009, Barack Obama war gerade im ersten vollen Jahr seiner Amtszeit, sprach die Biotechnologin Angela Belcher vom renommierten MIT beim damaligen US-Präsidenten vor. Sie präsentierte eine kleine Lithium-Ionen-Knopfzelle, dessen großes Geheimnis in seiner Herstellung lag. Die beiden Elektroden, zwischen denen die Energie floss, waren nicht von Maschinen hergestellt worden, sondern von Viren.

Elf Jahre später ist Belchers Forschung weit voran geschritten. Mittlerweile hat sie Viren erzeugt, die mit über 150 verschiedenen Materialien umgehen können. Sie lassen sich sogar für die Herstellung von Solarzellen einsetzen. Die Technologie steht nun vor dem Sprung aus dem Labor in die praktische Welt, berichtet Wired.

Viren lassen Nanodrähte wachsen

Belcher nutzt den Bakteriophagen-Stamm M13, längliche Viren, die sich in Bakterien vermehren. Ihr genetisches Material ist laut der Forscherin besonders einfach manipulierbar. Durch solcherlei Veränderung oder spontane Mutation "lernen" die Viren, ein bestimmtes Material "anzuziehen". Mit ihnen werden dann Bakterien infiziert, in denen dann Millionen idente Kopien entstehen.

TED

Im Verbund können Viren, die beispielsweise darauf getrimmt wurden, über ein bestimmtes Protein an ihrer Hülle Kobalt-Oxid-Partikel haften zu lassen, Nanodrähte bilden, die in einer Akkuelektrode verwendet werden. Man lässt also Materialien "wachsen", die in der Natur organisch nicht gedeihen. Dieser Prozess verspricht nicht nur leistungsfähigere Akkus, sondern auch die Vermeidung des Einsatzes mancher giftiger Chemikalien und somit weniger Umweltschäden bei der Herstellung von Energiespeichern.

Zudem erlaubt es das einfache Experimentieren mit unterschiedlichen Elektroden, was für Belcher ein wichtiges Anliegen ist. Es gehe um die Entwicklung neuer Akkus und nicht darum, mit den Herstellern von Lithium-Ionen-Batterien zu konkurrieren, deren Fertigungsverfahren bereits extrem ausgereift sind.

Die größte Hürde: Skalierbarkeit

Die Wissenschaftlerin stieß zu Beginn ihrer Forschung auf viel Skepsis. Einigen erschien die Idee zu gewagt. Das Bild hat sich geändert, nun soll die Technologie langsam das Labor verlassen. Doch bis sie für die Praxis bereit ist, gilt es noch einige Hürden zu nehmen. In der üblichen Akkuherstellung werden billige Materialien und erprobte, industrielle Fertigungsprozesse verwendet. Den Prozess der Viren-basierten Herstellung zu skalieren dürfte noch einige Jahre an Forschung benötigen und gilt als das größte Hindernis für einen etwaigen Durchbruch. Insbesondere den Output der Viren selbst zu steigern ist eine zentrale Aufgabe.

Massachusetts Institute of Technology (MIT)

Belcher hat bereits zwei Firmen mitgegründet. Eine davon, Siluria Technologies, setzt Viren ein, um um Methan in Ethylen umzuwandeln, das in vielen Fertigungsprozessen genutzt wird. Auch an der Herstellung von Solarzellen hat man sich versucht, es mangelt aber noch an der Effizienz, um mit neueren, etablierten Herstellungsverfahren zu konkurrieren.

Großes Potenzial auch in der Medizin

Auch abseits von Elektronik gilt die Herstellung von Materialien durch modifizierte Viren als ein großer Hoffnungsträger der Wissenschaft. Am MIT werkt die Forscherin mit ihrem Team daran, auf diesem Wege Partikel zu produzieren, mit denen sich Tumore aufspüren lassen, die zu klein sind, um mit herkömmlichen Methoden entdeckt zu werden.

Denkbar ist in fernerer Zukunft auch, an diese Partikel wiederum Stoffe anzuhaften, mit denen Krebszellen abgetötet werden, um Krebs schon in einem sehr frühen Stadium zu bekämpfen. (red, 30.12.2020)