Eineinhalb Wochen vor dem Ende der Brexit-Übergangsphase haben sich Spekulationen über einen nahen Durchbruch bei der Frage nach dem künftigen Zugang für EU-Fischkutter zu britischen Gewässern verdichtet.

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London – Die EU sieht einem Insider zufolge den Streit über Fischereien weiter als Hindernis bei den festgefahrenen Brexit-Gesprächen. EU-Chefunterhändler Michel Barnier habe den jüngsten britischen Vorschlag dazu als "völlig inakzeptabel" bezeichnet, sagte ein Diplomat am Dienstag nach einer Unterrichtung der EU-Mitgliedsstaaten hinter verschlossenen Türen in Brüssel. Barnier hatte vor dem Treffen angekündigt, einen "letzten Anlauf" unternehmen zu wollen.

Nach Medienberichten hatte der britische Vorschlag vorgesehen, dass EU-Fischkutter zunächst fünf Jahre unveränderten Zugang zu britischen Gewässern haben, der dann sukzessive um 35 Prozent reduziert würde. Im Gegenzug für die zunächst unveränderte Fangquote sollen die Briten weiterhin die Möglichkeit haben, ihre Fische zollfrei auf den europäischen Markt zu bringen. Flankiert werden soll das mit der Möglichkeit für Brüssel, Zölle einzuführen, für den Fall, dass die Briten den Zugang für Fischer aus der EU weiter einengen – jedoch nur in von unabhängiger Seite festgelegter Höhe.

Fristen, Fristen, Fristen

Der britische Premierminister Boris Johnson und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprachen indes neuerlich über die Lage. Es habe ein vertrauliches Telefonat gegeben, hieß es am Dienstag aus EU-Kreisen. Die Kommission führt derzeit im Namen der EU-Staaten die festgefahrenen Verhandlungen für ein Handelsabkommen mit London. Als neue Deadline wurde indes der 23. Dezember genannt. Sollte ein Verhandlungserfolg am 24. oder 25. Dezember in Reichweite erscheinen, würden die Verhandlungen sicherlich fortgeführt, sagte ein EU-Diplomat. "Unsere Tür bleibt bis zum Jahresende und darüber hinaus offen", sagte Barnier nach Angaben aus übereinstimmenden Quellen.

Führende EU-Parlamentarier forderten unterdessen von Großbritannien, auch wegen der schwierigen Lage inmitten der Corona-Pandemie eine Verlängerung der Übergangsphase zu beantragen. Aus Diplomatenkreisen hieß es allerdings, diese Möglichkeit sei rechtlich ausgeschlossen.

Zukunft des Warenverkehrs

Großbritannien scheidet nach dem EU-Austritt im Jänner mit Jahreswechsel auch aus dem Binnenmarkt und der Zollunion aus. Der anvisierte Vertrag soll Zölle und Handelshemmnisse abwenden. Sollten die Verhandlungen scheitern, drohen Zölle und andere Handelshemmnisse, die das durch die Coronavirus-Pandemie verursachte Chaos in Großbritanniens Häfen noch verschlimmern könnten.

Frankreich hatte am Sonntag überraschend den kompletten Warenverkehr von Großbritannien am Ärmelkanal gestoppt, nachdem die britische Regierung ihre Erkenntnisse über eine neue Variante des Coronavirus mitgeteilt hatte. Manch einer sah in dem Chaos am Ärmelkanal einen Vorgeschmack auf einen möglichen "No Deal".

Brexit gefährdet Gesundheitssektor

Auch der Gesundheitsversorgung in Großbritannien drohen einer neuen Studie zufolge schwere Folgen wegen des Brexits. Neue Einwanderungsregeln würden Pflegepersonal abhalten, der Transport von Medikamenten und Medizintechnik könne gefährdet sein, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Bericht des auf Gesundheit spezialisierten Thinktanks Nuffield Trust. Auch die schwache Konjunktur sowie Hindernisse für Investitionen in die Wissenschaft träfen die Branche.

Vor allem der Pflegesektor werde es schwer haben, so die Autoren. Neue Vorschriften verhinderten die Zuwanderung dringend benötigter Fachkräfte. Bereits wegen der Corona-Pandemie sei die Zuwanderung "dramatisch verlangsamt" worden. Im vierten Quartal 2019 hätten noch mehr als 190.000 Menschen aus der EU und Drittstaaten eine Versicherungsnummer beantragt, die vor allem für eine Arbeitserlaubnis notwendig ist. Im zweiten Quartal 2020 waren es demnach nur noch gut 55.000 Anträge. (APA, red, 22.12.2020)