"Einen Gemahl verlieren, heißt Profit machen." So spricht das Kammermädchen Rosa in Friedrich Schillers Stück "Die Verschwörung des Fiesco zu Genua". Und drückt damit aus, was sie von den Vorstellungen der Gattin des Fiesco – Eleonore – hält, die ganz im Sinne der diese Epoche prägenden Empfindsamkeit Idealen wie dem reinen Gefühl oder der wahren Liebe anhängt.

Der 1783 erschienene Text spielt zwar in der frühen Neuzeit, bildet aber deutlich den einsetzenden Kulturwandel seiner Entstehungszeit ab, in der die feudale Ständeordnung bald von der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft abgelöst wird. So wie das Kammermädchen Rosa sind zahlreiche andere Figuren in dem Stück vom neuen monetären Geist beseelt.

Unsere Vorstellungen von der Liebe folgen vielfach fiktionalen Lebensentwürfen – hier die heile Weihnachtswelt der Familie Trapp im Film von 1956.
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Mit dieser Haltung, die nicht mehr die eigene Emotion absolut setzt, sondern vielmehr rational berechnend agiert, verkörpern sie somit jenen Homo oeconomicus, den man erst in ein paar Jahrzehnten häufiger antreffen wird. "Die Antworten des Kammermädchens zeugen von einem nutzenkalkulatorischen Pragmatismus, der dazu anhält, nicht sogleich jeder empfindsamen Wallung nachzugeben, sondern sich in die Ereignisse zu fügen – vor allem, wenn sie sich umgekehrt verwerten lassen zu einem argumentativen oder eben ökonomischen Vorteil", sagt Viktoria Walter, Germanistin von der Universität Klagenfurt.

Walter beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Liebe und Ökonomie und damit, wie diese Wechselbeziehungen in der Literatur ausgehandelt werden. Im November hat sie gemeinsam mit Kollegen und Kolleginnen vom Institut für Germanistik eine Tagung zum Thema organisiert. "In einer Gegenwart, die zunehmend von ökonomischen Strategien geprägt wird, ist es spannend, sich damit auseinanderzusetzen, wie Liebe und Ökonomie auch in der Literatur verzahnt werden", sagt Walter.

Glücksversprechen

Seit Niklas Luhmann, der die These formuliert hat, dass die Liebe eine Erfindung der Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts gewesen sei, die unsere Vorstellungen von Sexualität und Lust, Beziehung und Familie präge, stützt sich gerade die Soziologie der Liebe immer wieder auch auf die Literatur.

"Die Verstricktheit von Liebe und Ökonomie ist für jeden spürbar, der mit offenen Augen durch die Welt geht", sagt Walters Kollege Paul Keckeis. "Nehmen Sie das Beispiel Onlinedating: Da ist die Partnersuche keine schicksalhafte Begegnung mehr, sondern der Algorithmus trifft die Entscheidung mit." Die verbreitete und vermarktete Idee von der Liebe als rauschhaftem Glückszustand aber, in dem der Verstand aussetzt, sei vor allem eher das Produkt unseres kollektiven Medienkonsums: "Unser aller Vorstellung vom Leben folgt fiktiven Lebensentwürfen. Wenn wir etwa einen Liebesfilm sehen, macht das etwas mit unserer eigenen Vorstellung von Beziehung. Und ein primäres Medium für die Verbreitung von Fiktion war lange Zeit nun einmal die Literatur."

Dass dieser Stoff vor allem gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine Konjunktur erlebt, etwa in Form von Goethes "Werther" oder der Literatur der Romantik wie Friedrich Schlegels "Lucinde", erklärt Keckeis so: "Um 1800 wird die Gesellschaft massiv umgebaut: Im Kapitalismus ist das Zusammenleben im Gegensatz zum Ständestaat nicht mehr durch unveränderliche soziale Hierarchien strukturiert, sondern durch funktionale Differenzierung."

Dadurch gingen für die Menschen viele Orientierungen verloren – ebenso bei der Partnerwahl: Dafür gab es nun keine klaren Kriterien mehr, wie etwa den sozialen Status. Somit zerbrachen sich auch die Dichter die Köpfe, wie und warum Menschen eigentlich zusammenkommen: "Man fragt sich nun, was die Grundlagen sind, um so eine Lebensentscheidung zu treffen."

Pornografie light

Und wie eine solche Beziehung ausgestaltet wird, ist durchaus auch eine ökonomische Frage, betont die Kulturwissenschafterin Gerda Moser und verweist dabei auf die Etymologie: Der Begriff "Ökonomie" stammt nämlich von "oikos", dem griechischen Wort für "Haushalt". Moser: "Somit kann der Begriff im Kontext der Liebe auch für den Aufbau und die Sicherung der gemeinsamen Existenz im umfassenden Sinn stehen. Das muss nicht automatisch in kapitalistische Verhältnisse eingebettet sein, sondern steht allgemein für einen sparsamen Umgang mit Ressourcen." Und auf den komme es eben auch in einer Beziehung an: Liebe werde ja nicht nur von brennender Leidenschaft bestimmt – für eine langfristig funktionierende Beziehung braucht es manchmal auch die gebotene Nüchternheit.

Das ist die eher reifere Perspektive. Moser beschäftigt sich aber auch mit der jugendlichen Liebe in der Literatur: Zuletzt hat sie sich dafür mit dem derzeit populären Genre der "Young Adult"-Romane beschäftigt. Diese Bücher für ältere Jugendliche unterscheiden sich von romantischen Groschenheften der Vergangenheit vor allem in der expliziten Darstellung von Sexualität. "Spießigkeit war lange ein Vorwurf an die Trivialliteratur. Das hat sich massiv gelockert. Das ist nun Pornografie light, aber eingekleidet in klassische Vorstellungen von Treue, Zweisamkeit und Familiengründung."

Romantisches Jammertal

Aber warum erleben diese Bücher, die die traditionelle Zweierbeziehung märchenhaft verklären, derzeit einen Boom, während wiederum Feuilletonlieblinge wie Elfriede Jelinek dieses Konzept zum Scheitern verurteilen? "Wahrscheinlich gibt es in der Literatur zu wenige Beispiele für gelingende Alternativmodelle", vermutet Moser. Der durch Genmanipulation geschlechtslose Mensch etwa, den Michel Houellebecq als Ausweg aus dem romantischen Jammertal weist, erscheint vielen vermutlich wenig attraktiv.

Die Liebe ist ein komplexes Phänomen – und das habe sich laut Moser über die Jahrhunderte noch verstärkt: Gesellschaftliche Veränderungen wie die Auflösung der Standesschranken, die massive Erweiterung des Informationsangebots und die sexuelle Emanzipation haben die Liebe zu einer viel differenzierteren Angelegenheit gemacht. Diese zahlreichen sich überlappenden Vorstellungen sind aber auch eine Herausforderung, weil sich dadurch die Erwartungshaltung erhöht: "Die Liebe hat ihre externen Gegner verloren. Wenn die Liebe heute scheitert, dann an sich selbst." (Johannes Lau, 23.12.2020)