Wohlgefühlt haben sich die grünen Abgeordneten nicht, als sie am Montag mit Rechts (ÖVP) und Rechts-außen (FPÖ) den roten Antrag für eine Aufnahme von Flüchtlingskindern niedergestimmt haben. Wieder einmal haben die Grünen gegen ihre Prinzipien gehandelt; gegen alles, wofür sie stehen und jahrelang gekämpft haben. Es war nicht das erste Mal, es war nicht das letzte Mal. Vom Beschneiden des U-Ausschusses bis hin zur Präventivhaft für verurteilte Radikale reicht der Katalog der grünen "Sünden"; so sehen es zumindest viele ihrer linken (Ex?-)Wähler und auch so manche ihrer ehemaligen und aktuellen Abgeordneten.

Das Flüchtlingslager Kara Tepe auf Lesbos.
Foto: AFP/ANTHI PAZIANOU

Auf die Grünen einzuprügeln ist allerdings das einfachste Mittel für Linke, ihren Frust loszuwerden. Die Erzählung des Verrats, um an der Macht zu bleiben, hat schon biblisches Alter; man kann sie nun wunderbar auf Figuren wie Klubobfrau Sigrid Maurer, Vizekanzler Werner Kogler oder Justizministerin Alma Zadić projizieren. "Hätten die Grünen doch nicht mit der ÖVP koaliert, dann ...", ist immer häufiger zu hören. Aber: Was dann?

Fakt ist, dass es in Österreich noch nie eine rot-grüne Stimmenmehrheit gegeben hat. Linkes Regieren war zuletzt vor rund 40 Jahren als rote Absolute möglich. Seit damals ist die ÖVP an der Regierung, mal als Kanzlerpartei, mal als Juniorpartner. Seit der Nationalratswahl 2019 weisen ihr die Umfragen auch keine Verluste aus, im Gegenteil.

Grund- und Menschenrechte

In seiner Gesamtheit steht dieses Land politisch rechts; und zwar dermaßen rechts, dass die FPÖ selbst vier Monate nach Ausstrahlung des Ibiza-Videos noch auf 16 Prozent der Stimmen kam. In den meisten Meinungsumfragen lehnt eine klare Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher die Aufnahme von Flüchtlingskindern ab. Man habe "schon genug getan" und solle "vor Ort helfen". Hans Peter Doskozil, burgenländischer Landeshauptmann und heimliche Hoffnung der Bundes-SPÖ, sieht das genauso.

Demzufolge ergibt das Argument der Grünen natürlich Sinn: Brechen sie die Koalitionsräson, indem sie für eine Aufnahme von Kindern stimmen, ändert sich rein gar nichts. Außer dass die Grünen wohl nicht mehr in der Bundesregierung sitzen.

Gleichzeitig bleibt den Grünen nun ein Kainsmal, sie sind keine "Alternative" mehr, die kompromisslos für Menschenrechte kämpft. Wenn, dann sind sie aus linker Perspektive die Partei, die eine ÖVP-Regierung ein bisschen weniger schlimm und das Land ein bisschen besser gemacht hat. Ob das als grüner Erfolg reicht?

Für die Verfechter von Grund- und Menschenrechten, ob links, christlich oder anders geprägt, lässt sich aus dem Fall Moria / Kara Tepe mindestens eine wichtige Lehre ziehen: Man kann sich nicht auf Parteipolitik verlassen, solange die Österreicher so rechts wählen. Viel wichtiger ist es, breite gesellschaftliche Bündnisse zu schmieden. Wer sich um die Geflüchteten auf Lesbos schert – und das sollten wir alle –, der muss rausgehen, zu seinen Freunden und seiner Familie, und Mitbürger davon überzeugen, dass die Zustände dort unhaltbar sind. Das gilt genauso für viele andere linke Positionen: Man muss argumentieren, diskutieren und streiten.

Denn gesellschaftliche Veränderung muss von unten stattfinden – selbst wenn ganz oben jetzt ein Hauch von Grün mitregiert. (Fabian Schmid, 22.12.2020)