Es gibt meist Gründe, warum eine Erkrankung einfach verschwindet. Oft war sie auch überhaupt nie da.

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Peregrinus Laziosi war wohl noch keine 60 Jahre alt, als er gegen Ende des 13. Jahrhunderts an einem seiner Beine eine Schwellung beobachtete, die immer größer wurde. Ein Knochentumor, wie Wissenschafter heute vermuten. Durch Bakterien entzündete sich die Stelle zusätzlich und begann stark zu eitern. Eine Amputation schien der einzige Ausweg, doch als die Chirurgen kamen, hatte sich der Tumor bereits verkleinert und verschwand mit der Zeit schließlich ganz. Der Krebs kam nie mehr zurück, und Peregrinus starb erst im biblischen Alter von 85 Jahren. Noch heute gilt er als Schutzpatron der Krebskranken.

Doch wie glaubhaft sind solche Überlieferungen von Spontanheilungen? Ähnliche Schilderungen gibt es auch heutzutage viele. Nicht nur zu Krebs, sondern auch zu nahezu allen anderen Erkrankungen der Haut, der Psyche, des Herz-Kreislauf-Systems, des Skeletts, des Verdauungstrakts oder zu chronischen Leiden. Meist beschreiben die Geheilten anekdotisch, wie sie die Erkrankung mit eisernem Willen, Gebeten oder Diäten niedergekämpft haben. Dafür mangelt es häufig an konkreten Angaben, die Medizinern eine korrekte Einschätzung erlauben, ob es tatsächlich eine Spontanheilung war und wie sie zustande kam. Oft werden in den Schilderungen wichtige Details wie frühere Behandlungen vergessen oder sind durch Arztwechsel verloren gegangen. Und flammt die Erkrankung nach Jahren trotzdem wieder auf, dann wird darüber fast nie erneut berichtet.

Zwischenzeitliche Rückbildung

Eine Spontanheilung, also eine totale Gesundung ohne Therapie, kann daher fast nie schlüssig nachgewiesen werden. Medizinerinnen und Mediziner sprechen in solchen Fällen vielmehr von einer spontanen Remission. "Darunter versteht man eine Rückbildung, die beispielsweise eine Krankheit zwischenzeitlich stoppt oder zurückfährt oder einen Tumor schrumpfen lässt, ohne dass eine Therapie stattgefunden hätte", erklärt Michael Micksche, ehemaliger Leiter des Instituts für Krebsforschung der Medizinischen Universität Wien.

Denn auch wenn es Schilderungen suggerieren, hat eine Spontanheilung fast nie etwas mit einem Wunder zu tun. "Häufig ist es bei Krebs so, dass diese Personen gar keinen Tumor hatten, sondern vielleicht nur eine Vorstufe, was niemals zu einer Erkrankung geführt hätte", sagt der Onkologe Beat Thürlimann vom Brustzentrum des Kantonsspitals St. Gallen. Und ob bei einer geschilderten Spontanheilung dann der Krebs tatsächlich verschwunden ist und damit geheilt wurde, nur weil er auf dem Röntgenbild oder im CT nicht mehr zu sehen ist, sei ohne Biopsie gar nicht feststellbar – meist bleiben einige Krebszellen zurück, die später eine Erkrankung erneut aufflammen lassen können. Andere Krebsarten wie das Prostatakarzinom wachsen so langsam, dass viele im Alter eher an etwas anderem sterben. "Auch beim Brustkrebsscreening verschwinden etwa 20 Prozent der positiven Befunde mit der Zeit, werden kleiner oder nie zur Krankheit", sagt Thürlimann.

Häufige Fehldiagnosen

Auch Fehldiagnosen sind häufig: 2017 untersuchten kanadische Forscherinnen und Forscher um Shawn Aaron von der Universität Ottawa im Fachblatt "JAMA" rund 600 Patientinnen und Patienten, bei denen in den letzten fünf Jahren Asthma diagnostiziert worden war, erneut und stellten fest: Jeder dritte davon hatte gar kein Asthma. In vielen Fällen lag eine Fehldiagnose vor, weil der Arzt oder die Ärztin allein aufgrund der Symptome und ohne weitere Tests auf Asthma geschlossen hatte.

Doch auch trotz der geringen Zahl an gut dokumentierten Fällen konnten Forscherinnen und Forscher über die Jahrzehnte ihre Schlüsse ziehen und sind sich mittlerweile einig, daß bei spontanen Heilungen oder Rückbildungen wohl immer das Immunsystem die zentrale Rolle gespielt hat.

So liest sich überraschenderweise in vielen Schilderungen wie bei Pelegrine, dass der Spontanheilung oder Remission eine größere Infektion vorausgegangen war. Krebsforscher Michael Micksche: "Der Zusammenhang zwischen spontaner Remission und Aktivierung des Immunsystem durch Infektionen erscheint daher durchaus relevant." Auch der Brustkrebsspezialist Thürlimann sagt: "Wir beobachten das regelmäßig bei Krebsoperationen, dass Patientinnen und Patienten, die durch die OP nachher eine Infektion durchmachen, eine bessere Prognose haben, dass der Krebs auf Dauer verschwunden ist."

Infektion als Segen

Der Grund: Am Anfang einer starken Infektion geht das Immunsystem ziemlich radikal gegen körperfremde Eiweiße vor und tötet dabei auch Krebszellen ab, die dem Immunsystem im normalen Betrieb häufig entgehen. Je nach Infektion und Tumortyp funktioniert das unterschiedlich gut – oder eben auch gar nicht.

Diesen Effekt, der möglicherweise auch Pelegrinus das Leben rettete, nutzte der amerikanische Knochenkrebschirurg William Coley von 1891 bis in die 1930er-Jahre am New York Memorial Hospital. Dort infizierte er über 1.000 Patientinnen und Patienten Streptokokken-Bakterien direkt in deren inoperablen Knochentumor, und die damit ausgelöste Infektion ließ bestimmte Tumore in Knochen oder Muskelgewebe erfolgreich schrumpfen oder gar verschwinden. Coley gilt als Gründer der Immunotherapie, und auch die moderne Forschung konzentriert sich darauf, mit neuen Medikamenten oder einer Impfung diese Vorgänge, allerdings ohne die unerwünschten Nebenwirkungen und Gefahren einer starken Infektion, zu imitieren. "Ein Beispiel sind die Tumorrückbildungen unter der Therapie mit Checkpoint-Inhibitoren", erklärt Michael Micksche. Sie triggern eine Abwehrreaktion des Immunsystems auf das Tumorgewebe.

Vor allem bei Krebs gibt es noch eine Reihe anderer bekannter Mechanismen, die zu einer spontanen Remission führen können. "Manche Tumore entwickeln dauernd neue Mutationen, da ist auch mal die Chance gegeben, dass dadurch der Tumor für das Immunsystem erkennbar und von ihm eliminiert wird", sagt Thomas Cerny, Präsident der Krebsforschung Schweiz. Bei einigen Leukämiearten reifen unreife Krebszellen noch zu normalen Zellen nach. "Auch hormonelle Faktoren können beteiligt sein, und manchmal schaffen es Tumore einfach nicht, sich an die Blutversorgung des Körpers anzuschließen, und sterben ab", erklärt Michael Micksche.

Verbessertes Hautbild

Auch in der Dermatologie sieht man solche spontanen Phänomene am häufigsten bei immunologisch bedingten Erkrankungen wie Nesselfieber, Knötchenflechte und selten bei Hautlymphomen. Auslöser für eine Remission sind hier jedoch weniger Infektionen, sondern Faktoren wie genetische Veranlagung, Alter und Geschlecht, die Psyche, andere immunrelevante Erkrankungen oder eingenommene Medikamente. Behandelt man die Begleitkrankheiten, reduziert Stress oder setzt die Medikamente ab, dann bessern sich zum Beispiel gewisse Hauterkrankungen wie Schuppenflechte oder Neurodermitis oft spontan von alleine, ohne weitere Therapie. Auch Allergien und Asthma sind extrem abhängig von immunologischen Vorgängen im Körper und kommen und gehen und klingen ab und flammen wieder auf.

Entsprechend vage bleiben denn auch die Empfehlungen für Patienten, die bereits erkrankt sind, und Menschen, die sich vor einer Erkrankung schützen wollen. Weder positives Denken noch eine gezielte Stärkung des Immunsystems haben einen nachgewiesenen Erfolg. "Sicher aber ist es hilfreich, das Immunsystem durch weniger Stress, soziale Kontakte, gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und damit, sich etwas Gutes zu tun, auf einem guten Normalzustand zu halten, damit es reagieren kann, wenn es gefordert wird", sagt Beat Thürlimann. (Andreas Grote, 11.1.2021)