Kinder in Kara Tepe, dem Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos.

Foto: imago images/ANE Edition

Alle Jahre wieder wird es in den Kommentarspalten der Zeitungen und den Beiträgen in den sozialen Medien so richtig besinnlich, christlich, vorweihnachtlich. Die Bilder aus den griechischen Flüchtlingslagern tun uns im Herzen weh und drücken auf die Feiertagsstimmung. Die Wohlmeinenden bemühen dann gerne die Metapher der Herbergssuche, appellieren an die Nächstenliebe, lasst uns jetzt helfen, gerade jetzt, in der Weihnachtszeit! Rettet zumindest die Kinder!

Wie unpassend, verlogen und zynisch die alljährlichen Vergleiche mit der biblischen Geschichte sind, zeigte nicht zuletzt ein Kurier-Gastkommentar der Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP, Bettina Rausch. Sie leitet ihn mit Weihnachten ein: "Die Tragödien in griechischen Lagern lassen niemanden kalt. Schon gar nicht in der Weihnachtszeit. Unsere Herzen zerreißt es, unser Bauch verlangt nach Hilfe." Um uns geht es also, um unsere Weihnachtsstimmung, die da durch die schrecklichen Bilder irritiert wird, um unsere Schuldgefühle und unser Gewissen.

Den Flüchtlingen ist Weihnachten egal

Den Menschen, die gerade kniehoch im Wasser stehen, kalten Reis essen und ihre Kinder nachts anbinden, damit sie sich nicht ins Meer stürzen, ist Weihnachten egal. Der Dezember ist für sie wie jeder andere Monat, den sie in Elend und Ungewissheit verbringen müssen. Katholiken oder überhaupt Christen sind die meisten von ihnen auch nicht. Wenn Weihnachten vorbei ist und es für uns alles wieder ganz ohne Besinnlichkeit in der neuen Normalität weitergeht, werden die Menschen auf Lesbos und Samos weiterhin frieren und von Ratten gebissen werden.

Ein Skandal und keine Weihnachtsgeschichte

Anstatt auf ein Weihnachtswunder zu hoffen und abgedroschene christliche Metaphern zu bemühen, darf im Dezember, im Jänner und an jedem Tag des Jahres nicht vergessen werden, dass sich Europa und die EU das Menschenrecht auf die Fahnen geschrieben haben. Diese Rechte werden im Dezember, im Jänner und an jedem Tag des Jahres an den EU-Außengrenzen mit Füßen getreten. Für eine menschenwürdige Behandlung von Flüchtenden braucht es keine abgenutzten Weihnachtsgeschichten, keine herzergreifenden, frömmelnden Plädoyers. Die Zustände auf den griechischen Inseln und an der bosnisch-kroatischen Grenze sollten als das, was sie sind, benannt werden: ein Skandal und eine Schande für die EU – vor und nach Weihnachten.

Die Präsidentin der Politischen Akademie der ÖVP plädiert im Rest ihres Textes übrigens dafür, den Menschen auf den griechischen Inseln nicht zu helfen. Sehr unweihnachtlich. (Olivera Stajić, 23.12.2020)