Es ist kein gutes Gefühl, heute unter dem Christbaum zu stehen und zu singen "Ihr Kinderlein, kommet", wenn die eigentliche Weihnachtsbotschaft unseres Landes lautet "Ihr Kinderlein, kommet nicht". Bleibt, wo ihr seid.

Was ist von Weihnachten übrig geblieben, nachdem die allermeisten äußeren Merkmale des Festes verschwunden sind? Einkaufsrummel. Christkindlmärkte. Festliches Treiben auf den Straßen. Eine große und keineswegs kitschige Weihnachtsgeschichte hätte sich angeboten, aber die haben wir verworfen: die Beherbergung der Kinder von Lesbos.

Die Herbergsuche der Heiligen Familie und die Geburt des Christkindes im Stall von Bethlehem samt der Begrüßung durch die Hirten sind die Essenz der biblischen Weihnachtserzählung. Seit jeher ist sie in der christlichen Tradition "nachgespielt" worden in der Beherbergung und Beschenkung von armen Kindern. Nicht bei uns.

Das Flüchtlingslager Kara Tepe auf der griechischen Insel Lesbos.
Foto: AFP/ANTHI PAZIANOU

Unsere türkis-grüne Regierung ist bei ihrem strikten Nein zur Aufnahme der Lesbos-Kinder geblieben, einem Erbstück aus türkis-blauen Zeiten. Den christlichen Touch, den man vor Weihnachten ja auch haben wollte, hat im offiziellen Österreich das aus evangelikalen US-Kreisen entliehene "Prayer Breakfast" im Parlament liefern müssen.

Hoffnungslosigkeit

Wer hundert Kinder aus den unmenschlichen Bedingungen im Flüchtlingslager Kara Tepe herausholt, so lautet die Begründung, riskiert einen "Pull-Effekt", der andere Flüchtlinge zur Reise nach Österreich ermutigen könnte. Viele Experten bestreiten das. In jedem Fall lässt das Thema an einen Sinnspruch denken, der laut Golo Mann, dem Sohn des berühmten Thomas Mann, das Lebensmotto des Nobelpreisträgers war. "Der eine fragt: Was wird daraus? Der andere fragt nur: Ist es recht? Und also unterscheidet sich der Freie von dem Knecht."

Nach dieser Logik wären wir alle Knechte. Oder nein, nicht alle. Sämtliche Hilfsorganisationen, viele schwarze Gemeinden, Bürgermeister, Landespolitiker haben sich bereiterklärt, jederzeit Kinder aufnehmen zu können und zu wollen. Deutschland hat es längst getan. Auch die öffentliche Meinung in Österreich tendiert inzwischen in diese Richtung, inklusive der "Kronen Zeitung". Der Bundespräsident, der Wiener Kardinal, der evangelische Bischof und die österreichische katholische Bischofskonferenz haben an die Regierung appelliert. Der Innsbrucker Bischof Hermann Gletler ist selbst nach Kara Tepe gefahren und hat sich die Zustände dort angeschaut. Sein Bericht war erschütternd: Kälte, Nässe, Dreck, Gewalt, Hoffnungslosigkeit.

Will Sebastian Kurz wirklich das Sprachrohr des unsympathischsten Teils unserer Gesellschaft sein? Und würde es der Regierung und dem Bundeskanzler als Zeichen der Schwäche ausgelegt werden, wenn sie diese ihre Entscheidung noch einmal überdächten? Wohl kaum. Es ist keine Schande, einen Fehler zuzugeben und sich eines Besseren belehren zu lassen.

Das neue Jahr zu beginnen, indem man eine Anzahl verzweifelter und traumatisierter Kinder aufnimmt und ihnen eine Zukunft ermöglicht, wäre ein guter Neustart. Auf christlich nennt man so etwas Umkehr. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 24.12.2020)