"Wenn ich als Kind trainiere wie verrückt und dann habe ich plötzlich ein Jahr lang keine Wettkämpfe mehr, frage ich mich, wozu ich mich überhaupt so quäle."

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Bei den Olympischen Spielen 2006 gewann Dorfmeister zwei Goldmedaillen.

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Semmering – Michaela Dorfmeister sorgt sich um den Skirennsport in Österreich. Die Doppel-Olympiasiegerin hofft, dass Corona nicht für verlorene Jahrgänge sorgt. Sie sieht generell das Problem, dass immer weniger Jugendliche die Mühen und Entbehrungen des professionellen Skitrainings auf sich nehmen wollen. "Zumindest die Masse und die Dichte, dass aus einem Jahrgang vier oder fünf Siegläufer hervorgehen, können wir uns abschminken", sagte Dorfmeister.

Auf dem Papier ist Österreich spätestens seit der vergangenen Saison tatsächlich nicht mehr Skination Nummer eins. In diesem Winter rangiert der ÖSV nach dem ersten Weltcup-Viertel sieglos nur auf den Plätzen 3 (Frauen) bzw. 4 (Männer). Bei den Frauen liegen die Schweiz und Italien vor dem ÖSV. Bei den Männern ist ebenfalls die Schweiz voraus, vor Norwegen und Frankreich.

Tausend Kilometer

Dorfmeister ("Es ist traurig") fürchtet, dass vor allem die Schwäche im Riesenslalom die Folge einer vorangegangenen Entwicklung sein könnte. "Aber da will ich mich nicht äußern. Sonst heißt es, es reden alle mit wie sonst im Fußball", sagte die 47-jährige Ex-Rennläuferin, die Präsidiumsmitglied beim SK Rapid Wien ist, wenige Tage vor den Weltcup-Rennen am Semmering.

Als Vizepräsidentin im niederösterreichischen Skiverband hat die frühere Weltcup-Läuferin auch mit regionalen Problemen zu kämpfen. Dem Ski-Nachwuchs im Osten Österreichs fehlen Möglichkeiten. "Es fällt uns immer schwerer, Athleten auf ein gewisses Niveau zu bringen. Unsere Rennläufer sind zuletzt in einer Woche tausend Kilometer gefahren, um ein bissl Skifahren zu können. Man muss viele Strapazen auf sich nehmen." Die Anzahl an A-Kader-Athleten aus Niederösterreich ist nach drei Rücktritten auf zwei geschmolzen.

Extreme Fanaten

Dorfmeister weiß, wovon sie spricht. Sie musste als 1973 in Wien geborene Niederösterreicherin Zehntausende Auto-Kilometer pro Jahr zurücklegen, um es als "Flachländerin" in den ÖSV-Kader zu schaffen. 2006 trat sie nach 14 Jahren und 25 Weltcupsiegen als Doppel- Olympiasiegerin und -Weltmeisterin sowie Gesamt-Weltcupsiegern (2002) zurück. Die Mutter einer Tochter hofft, dass nun – ähnlich wie zuletzt in Lech/Zürs – auch am Hochkar eine Struktur für Skirennsport entsteht. Die aktuellen Pläne hat Corona auf die lange Bank geschoben.

Der Nachwuchs tue sich in Salzburg oder Tirol leichter. Dorfmeister sieht aber ein generelles Problem: "Skifahren war immer schon ein brutaler Sport. Nicht lustig, wenn du ihn professionell betreibst. Aufwendig, teuer, man hat keine Freizeit, kaum eine Gaude. Die drei Hauptthemen sind Trainieren, Essen, Schlafen und dann wieder Trainieren. Das tut sich die Jugend heute leider nicht mehr an. Da braucht es extreme Individualisten und Fanaten."

Und zwar auch im Familienumfeld. "Aber die Eltern, die mit ihren Kindern durch ganz Österreich fahren, kannst du an einer Hand abzählen. Die Bevölkerung ist bequem geworden", sagte die Riesentorlauf-Vierte vom Semmering 2000. In vielen Skigebieten sei zudem im Sommer mehr los als im Winter. Auf die neue ÖSV-Führung komme also einiges zu, glaubt Dorfmeister.

Extreme Auswirkungen

Immerhin: Nachdem mit Kathrin Zettel eine Niederösterreicherin am Semmering zweimal (2006 und 2008) den RTL gewonnen hat, sind mit Katharina Gallhuber (23) und Katharina Huber (25) beim diesjährigen Semmering-Weltcup erneut zwei Niederösterreicherinnen am Start. Bezüglich den Generationen dahinter hofft Dorfmeister, dass das Corona-Jahr kein böses Erwachen im Nachwuchssport bringt.

"Ich habe echt Sorge, dass da wegen Corona vieles wegbrechen könnte", fürchtet sie. "Wenn ich als Kind 12 oder 13 bin und trainiere wie verrückt und dann habe ich plötzlich ein Jahr lang keine Wettkämpfe mehr, frage ich mich natürlich, wozu ich mich überhaupt so quäle." Das, so Dorfmeister, sei mittlerweile schon fast in jeder Sportart so. "Alle sitzen fast nur noch daheim. Aber wenn du gewohnt bist, in einer Mannschaft zu trainieren und dann darfst du das auf einmal nicht mehr, hat das extreme Auswirkungen." (APA, red, 26.12.2020)