Die wohl aufsehenerregendste Impfaktion in der Geschichte des Landes wurde live übertragen.

Foto: APA / GEORG HOCHMUTH

Einer der Risikopatienten, die am Sonntag in Wien geimpft wurden.

Foto: APA/HANS PUNZ/APA-POOL

So richtig dabei waren die meisten Medien bei der ersten Impfung nicht. Vielmehr saßen sie, wie auch DER STANDARD, in einem Festsaal der Medizinischen Universtität Wien, etwa eine Viertelstunde zu Fuß von der Spezialambulanz entfernt, in der hochoffiziell die ersten Patienten und -patientinnen den lang ersehnten Corona-Impfstoff verabreicht bekamen. Dort konnten sie – wie auch alle anderen Interessierten – via Livestream das beobachten, was der Bundeskanzler als den "Anfang für den Sieg gegen die Pandemie" bezeichnete.

Im langgezogenen Festsaal der MedUni waren vier Bildschirme platziert, am Ende des Raumes noch eine große Leinwand. Darauf zu sehen war für die Medienvertreter und -vertreterinnen das, was auch von zu Hause aus zu sehen war: Eine Liege und das Logo der Meduni, alles in blau und weiß. "Der Herr Bundesminister und der Kanzler kommen gleich in diesen Raum rein", erklärt ein Mediensprecher im Van-Swieten-Saal, in dem die Medienleute sind.

"Es ist gleicht so weit"

Im Stream ist nun eine Aufnahme, die dank eines Bullauges irgendwie nach U-Boot aussieht. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) steht dort und unterhält sich mit Herren in weiß. Schnitt zum Raum, wo Ursula Wiedermann-Schmid, Vorsitzende des nationalen Impfgremiums, letzte Vorbereitungen trifft. Sie wird gemeinsam mit Thomas Szekeres, Präsident der Österreichischen Ärztekammer, die ersten offiziellen Covid-19-Impfungen durchführen.

Um kurz nach neun kommt die erste Patientin, eine sehr freundlich aussehende Frau und eine von mehreren Personen, die sich freiwillig für die Impfung gemeldet haben. Der Rest des Landes kommt in einem Stufenplan dran. Sie krempelt ihr Strickweste hoch, noch ein Blick zu Szekeres. "Es ist gleich so weit", sagt Wiedermann-Schmid und desinfiziert ihre Hände. Die Patientin, sie trägt wie alle FFP2-Maske, schaut geradeaus, als ihr der Oberarm desinfiziert wird. Die letzten Impfungen habe sie ja gut vertragen, sagt Wiedermann-Schmidt, und dass die Impfstelle – das sei normal – ein bisschen rot sein wird. "Ich bin fertig?", fragt die Frau ganz überrascht, als es vorbei ist.

Im unweit entfernten Medienraum ist es ungewöhnlich unruhig für eine Presseveranstaltung, Kameraleute und Redakteurinnen und Redakteure stehen, gehen, wuseln herum, während die zweite Probandin, ebenfalls eine ältere Frau sich auf die Liege im Livestream sitzt. Selbes Prozedere: Ärmel frei, Kühlschrank auf, Impfstoff raus, im Medienraum dreht ein Kollege derweil einen Live-Einstieg. "Hat's wehgetan?", fragt Wiedermann-Schmid im Stream. Die Patientin verneint entschieden. Szekeres hört interessiert zu.

Von der Impfkammer vor die Kameras

Auch im Stream schaut es aus, als wäre die Situation eine wuselige, durch die offene Tür, durch die die Impflinge ein- und ausgehen, sieht man Leute herumstehen, man hört sie plaudern und lachen. Der nächste Proband krempelt sein Hemd hoch, schnell wirkt das Prozedere vertraut: Nadel rein, fertig. Alle Patientinnen und Pateinten werden angewiesen, noch eine Weile vor Ort zu bleiben. Sollte die Einstichstelle sehr weh tun, empfiehlt Wiedermann-Schmid das Medikament Mexalen. Szekeres hilft dem Herrn in sein Sakko, während Wiedermann-Schmid ihm seinen Impfpass zurück gibt. Eigentlich läuft die Impfung wie alle anderen Impfungen auch, nur halt mit Fernsehen. Bei der vierten Probandin meint einer im Medienraum: "Ich will auch".

Schon diese Probandin sah deutlich jünger aus, als die angekündigten fünf Impflinge über 80 Jahren, nun kommt auch ein Herr, der wohl eher halb so alt ist. Bei ersterer handelt es sich um, Bernadette Kralik, sie ist Direktorin in einem Pflegeheim und wird später ebenfalls vor die Rednerpulte treten, um zu erzählen, dass sie sich in dem Moment, als in ihrem Heim zwei Personen mit Corona verstorben sind, entschied, sich zu impfen lassen, sobald das möglich ist. Der fünfte Patient ist Bernhard Rössler, er arbeitet auf einer Covid-Intensivstation. Er wolle seinen Beitrag leisten, seine Familie und die Gesellschaft schützen, wird er später, beim dritten Termin in diesem Raum sagen.

Das waren die ersten fünf, erklärt Wiedemann-Schmidt den Medienleuten vor Ort, nun würde sie weiterimpfen. "Es ist unspektakulär", sagt Szekeres, "wollt ihr das alles filmen?". Der Kameramann oder die Kamerafrau, der oder die die interessierte Öffentlichkeit mit den Bildern zum Live-Stream versorgt, verlässt den Raum, man blickt in ein enges Zimmer, in dem Anschober zwischen den beiden älteren Patientinnen sitzt. "Aufregend, oder?", sagt er zu einer. Kurz streift im Raum herum, spricht ebenfalls die Patientinnen und Patienten an, man hört, wie er das Wort "Aussicht" sagt.

Kurz schließt Impfpflicht aus

Nur wenige Minuten später stehen Wiedermann-Schmid, Szekeres und die beiden Regierungsmitglieder im Medienraum an ihren Pulten, die erstgenannten haben Kittel gegen förmliches Outfit getauscht. Es sei ein historischer Tag, sagt Kurz, "wir kämpfen das ganze Jahr lang schon mit einer Pandemie, die von heute auf morgen fast alles verändert hat", er spricht von massiven Eingriffen in die Grund- und Freiheitsrechte. Mittlerweile ist es noch voller im Medienraum. Man wisse, das die Pandemie mit dem heutigen Tag nicht vorbei sein werde, sagt Kurz, "aber die Impfung ist der Gamechanger". Kurz wiederholt seinen "Licht am Ende des Tunnels"-Sager, er wolle im Sommer zurück zur Normalität kehren. Eine Impfpflicht schließt der Kanzler erneut aus, auf Medienfragen, ob es denn etwa für Geimpfte Vorteile geben könnte – ähnlich wie im Jänner auch bei Getesteten – sagt er nur: "Heute ist nicht der Tag um darüber zu philosophieren".

Anschober ist nach Kurz am Wort, auch er spricht von einem "sehr sehr besonderen" Tag. Auch, wenn die Auseinandersetzung noch nicht gewonnen sei, sei die Impfung "der entscheidende Schlüssel". Nächste Woche soll es einen erneute Lieferung geben, und in der ersten Jännerwoche soll es "so richtig losgehen", sagt Anschober. Man habe "jetzt akut" auch noch eine Option von Pfizer bezogen mit 1,962 Millionen Impfdosen, man habe damit die verfügbaren Dosen von Pfizer auf über vier Millionen gesteigert. Kommendes Jahr solle die nächste Marktzulassung erfolgen.

Impfstoff schützt auch vor Mutationen

Wiedermann-Schmid, sie ist diejenige, die heute die ersten Impfungen verabreichte, ist danach am Wort; froh, glücklich, stolz und erleichtert sei sie, sagt sie. Noch im Sommer sei sie "nicht so sicher" gewesen, dass man Ende des Jahres tatsächlich einen Impfstoff bekäme. Alle der heutigen Patientinnen und Patienten hätten die Impfung sehr gut vertragen, sagt sie. Das waren übrigens nicht nur die fünf angekündigten betagten Hochrisikopatienten und – Patientinnen, sondern auch Personen in besonders exponierten Berufen. Wiedermann-Schmid sagt auch, dass die aktuell verfügbaren Impfstoffe nach jetzigem Wissensstand auch gegen Mutationen des Virus wirken würden. Ob sie nur vor Erkrankung, oder auch vor Ansteckung schützen würden, sei unklar, vor Erkrankung jedenfalls schütze die Impfung sehr gut.

Auch Szekeres lässt im Anschluss das letzte Jahr Revue passieren und meint, die Pressekonferenzen von Kurz und Anschober seien nicht besonders lustig gewesen. Er selbst konnte teilweise die Nachrichten nicht mehr hören, sagt er. Nun könne man endlich etwas "extrem Positives" kommunizieren, wieder Fallen Worte wie "besonderer Tag", "froh", und "stolz". Er vertraue dem Chef der Zulassungsbehörde, dem Ex-Rektor der MedUni Wien, betont er, wohl mit Blick auf jene Personen, die der Impfung noch recht skeptisch gegenüberstehen würden. Er hoffe, dass auch er bald dran komme, sagt Szekeres.

Weitere Termine in mehreren Bundesländern

In Österreich wird heute noch munter weiter geimpft, die Covid-Station in der Klinik Favoriten ist in Wien dann am Sonntag in den Mittagsstunden die nächste Station. Christoph Wenisch, der Leiter der Infektionsabteilung, bekommt dort als Erster das Mittel verabreicht. Um 14 Uhr dann wird in einem Pflegeheim in der Leopoldau geimpft. Bis auf Kärnten wollen auch die anderen Bundesländer am Sonntag die ersten Menschen immunisieren. (Gabriele Scherndl, 27.12.2020)