Catharina Kahane, Gabriella Herberstein und Gabriella Dixon von der NGO Echo 100 Plus leisten Hilfe in Griechenland und kritisieren die österreichische Regierung für deren Einstellung.

Die Situation in den Flüchtlingscamps auf den griechischen Inseln ist katastrophal, angekündigte Hilfe kommt oft nicht an.
Foto: AFP / Anthi Pazianou

"Hilfe vor Ort" ist der gebetsmühlenartig wiederholte Slogan der österreichischen Bundesregierung (und seit ein paar Tagen leider nicht nur ihres türkisen Anteils!), wenn es um die Bewältigung der humanitären Katastrophe in Griechenland geht. Gemeint ist, dass Geflüchteten "vor Ort", das heißt gemäß "Dublin III" im europäischen Erstankunftsland und in diesem konkreten Fall: in Griechenland, geholfen werden soll. Und wenn man dann vor Ort geholfen hat, so die Logik, kann man als Bundesregierung fröhlich und zumindest mit sauber gewaschenen Händen Weihnachten feiern. Trotz aller parlamentarischen Gebetsstunden kommt eines jedenfalls nicht infrage – die Menschen aus dem Elend der griechischen Camps zu erlösen und ins Land aufzunehmen.

Aber wie sieht sie aus, diese österreichische "Hilfe vor Ort"? Vorgesehen ist die Finanzierung und Einrichtung einer Kindertagesstätte in Kara Tepe, dem berüchtigten Nachfolgecamp des ebenso berüchtigten Camps Moria auf Lesbos; eine Kindertagesstätte also, die 500 Kindern im Camp mit Spiel und Spaß Ablenkung von Alltäglichkeiten wie Hunger, Kälte, Ratten und hie und da einer Vergewaltigung bieten soll. Und um vier Uhr nachmittags, wenn alles schließt und damit auch in der Kindertagesstätte die Lichter ausgehen (wenn es denn Strom gibt), dürfen die Kinder dann in ihre Schlammlöcher zurückkehren, so getröstet von der Großmut der österreichischen Bundesregierung, dass sie auch den Mangel an Decken und halbwegs zumutbarem Essen verschmerzen können. – Nur ist nicht einmal die Vision einer solch verbesserten Welt realistisch. Denn diese mit so viel Selbstlob bedachte "Hilfe vor Ort" wird ihren Ort mit großer Wahrscheinlichkeit nicht einmal erreichen.

Höllische Zustände

Seinerzeit, nach dem Brand im Lager Moria – der mit zunehmender Evidenz von lokalen Rechtsextremen gelegt wurde –, fuhr Innenminister Karl Nehammer nach Griechenland, krempelte die Ärmel auf und half, Sachspenden wie Container, beheizbare Zelte und Decken im Wert von einer knappen halben Million Euro zu entladen. Dann fuhr der Minister wieder ab, um vor anderen Kameras sein Image als Macher zu pflegen. Bis heute haben diese Container und Zelte ihr Ziel nicht erreicht, sondern befinden sich – ja, wo genau? – egal, irgendwo "vor Ort" halt.

"Diese ‚Hilfe vor Ort‘ ist nicht mehr als ein Versuch, den Steuerzahlerinnen die weihnachtlich feuchten Augen auszuwischen."

Das hat gewiss auch mit der Unwilligkeit der griechischen Behörden zu tun, die eine solcherart gelagerte "Hilfe vor Ort" gar nicht wollen, insbesondere nicht in den "Reception and Identification Centers" oder sogenannten Hotspot-Camps auf den fünf Inseln – ja, es gibt sie nicht nur auf Lesbos, diese elenden Hotspots. Diese Camps sind für NGOs nämlich gar nicht betretbar. Eine Kindertagesstätte könnte also bestenfalls außerhalb des Kara-Tepe-Hotspots angesiedelt werden, und momentan darf aufgrund der Quarantänemaßnahmen ohnehin niemand aus den Camps raus, was mit einiger Sicherheit auch über das Ende der Pandemie hinaus so bleiben wird; längst schon will die griechische Regierung diese nämlich in "geschlossene" verwandeln.

Und die höllischen Zustände in den Camps sind nun wirklich nichts Neues! Seit nahezu fünf Jahren wird jeder Verbesserungsversuch von NGOs systematisch verhindert, weil genau das Teil der Europäischen Abschreckungspolitik ist; Griechenland fungiert hierfür lediglich als Vollzugsgehilfe.

Demonstrative Ignoranz

Diese "Hilfe vor Ort" ist nicht mehr als ein Versuch, den österreichischen Steuerzahlerinnen die weihnachtlich feuchten Augen auszuwischen. Ihre eine Kehrseite ist die eben erwähnte Komplizenschaft bei der Herstellung der menschenunwürdigen Lebensverhältnisse in den Camps; ihre andere die demonstrative Ignoranz gegenüber den massiven Verstößen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention und jedes Menschenrecht durch die griechischen Behörden. Denn dass seit März dieses Jahres so gut wie keine Geflüchteten in den Lagern auf den griechischen Inseln mehr ankommen, hat nichts damit zu tun, dass das Elend in Syrien und andernorts geringer geworden sei, und auch die Lebensbedingungen der Geflüchteten in der Türkei haben sich nicht schlagartig verbessert. Vielmehr vergeht kaum ein Tag, an dem nicht die auf den griechischen Inseln ankommenden Boote samt ihren verzweifelten Insassen wieder in türkische Gewässer zurückgeschleppt werden, wenn diese nicht gleich gezwungen werden, in Rettungsinseln umzusteigen, und dann auf hoher See ausgesetzt werden. Freilich nicht ohne zuvor noch mit einer gehörigen Tracht Prügel versehen worden zu sein, damit das rechte Signal auch wirklich ankommt.

Die rechtskonservative griechische Regierung feiert dieses Vorgehen als Erfolg und Beitrag zur Lösung der sogenannten Flüchtlingskrise; die europäischen Regierungen und auch die österreichische jedoch schweigen, wenn sie an dieser "Hilfe vor Ort" nicht gar in Form von Frontex-Einsätzen beteiligt sind. Aber sie schnüren ein paar Hilfspäckchen, die sie sich mit christlich-sentimentalem Lächeln unter den eigenen Baum legen können – die armen Kinder, wir helfen ihnen!

Sinnvoll helfen

Und noch eine weitere Kehrseite einer solchen Selbstgerechtigkeit existiert und besteht darin, dass viele europäische Regierungen auch bei anderer "Hilfe vor Ort" selten zögern. Sie unterstützen korrupte Regimes, liefern Waffen und nachrichtendienstliche Erkenntnisse, sie schieben ab und kümmern sich nicht darum, wenn die Abgeschobenen noch am Flughafen ihrer Herkunftsländer verhaftet werden und so die Notwendigkeit der Flucht im Nachhinein noch bestätigt wird. Sie tun alles, damit die Fliehenden auf jeder Station ihrer Flucht immer die gleiche Botschaft empfangen: Schleichts euch! Bleibts, wo ihr seid! Ihr seid uns egal, und wie ihr leben müsst, ist uns auch egal! Nicht egal seid ihr uns nur dann, wenn wir ein paar billige Punkte in den Medien machen können – zum Beispiel passend zur Weihnachtszeit.

"Man sollte den Mumm haben, zur eigenen Kaltherzigkeit zu stehen und keine Trostpflaster zu verteilen."

Solange sich hieran nichts ändert und wir uns unsere Mitverantwortung an den Fluchtursachen "vor Ort" und den Zuständen unterwegs nicht eingestehen, sollte jedes halbwegs zivilisierte Land nicht nur vor der Haustür helfen, sondern selbstverständlich auch im eigenen Haus. Und wenn das, wie unsere Bundesregierung behauptet, aufgrund der falschen Signalwirkung nicht möglich ist, dann kann man ihr nur empfehlen, bitte wenigstens mit denen zu sprechen, die sich "vor Ort" auskennen, sodass mit dem ausgegebenen Geld wenigstens sinnvolle Hilfe geleistet werden kann, eine, die auch direkt bei den Notleidenden in den Camps ankommt. Ansonsten sollte man den Mumm haben, zur eigenen Kaltherzigkeit zu stehen und keine Trostpflaster zu verteilen, die im Wesentlichen unserem eigenen Seelenheil und nicht den Notleidenden "vor Ort" dienen.

Existenzielle Not

Wer flieht, wer Heimat, Arbeit, Wohnung und soziale Beziehungen aufgibt, wer sich allein oder mit Familie, mit Kindern aufmacht, wer elende Jobs in der Fremde annimmt, um das Geld für die nächste Etappe zusammenzukratzen, wer in überladenen Lkws durch Wüsten fährt, immer in der Gefahr, ausgesetzt zu werden, wer sich ohne Erfahrung in lecke Boote mit schwachen Motoren begibt, um über eine unbekannte See in ein unbekanntes Land überzusetzen, wer sich so und nicht nur einmal in Lebensgefahr begibt, tut das nicht aus Langeweile oder Abenteuerlust, sondern hat konkrete, existenzielle Gründe dafür. Man stelle sich vor, welche Not man ertragen, welche Zwänge man erdulden würde, ehe man die gewohnte Heimat, Berge, Donau, Stephansdom aufgeben würde; dann möge man urteilen. Und dann erweist sich die von der Regierung eines der reichsten europäischen Länder geplante "Hilfe vor Ort" als das, was sie ist: eine beschämende, unmenschliche, bigotte Peinlichkeit. (Catharina Kahane, Gabriella Herberstein, Gabriella Dixon, 29.12.2020)