Die Pandemie wird die Zukunft der Kulturszene beeinflussen. Positives wie Hybridität steht Negativem wie Angst und Überwachung gegenüber.

Foto: Fatih Aydogdu

Die Zukunft wird hybrid – auch als Kunstvermittlung

Vor Corona hat bei Kulturangeboten kaum jemand von einem physisch anwesenden Publikum gesprochen. Wie sollte man sich ein solches schließlich sonst vorstellen? Aufgrund des monatelangen Veranstaltungsverbots und vieler Absagen wurde man in den einzelnen Sparten kreativ. Wie kann man Menschen trotz aller Einschränkungen Kunst, Film und Musik vermitteln? Anfangs waren viele zaghaft mit virtuellen Angeboten (manche sind es immer noch), andere sprangen ad hoc in die Bresche.

Und siehe da, es klappt! Die Kanäle variieren je nach Zielgruppe, Format und Inhalt, die Message ist die gleiche: Kunstvermittlung kann niederschwellig, kostenlos und für alle ? stattfinden. Führungen durch Ausstellungen im Belvedere oder Kunsthistorischen Museum funktionieren als Live-Stream problemlos. Live-Übertragungen aus der Staatsoper sind im ORF beliebt geworden, und auch im Porgy & Bess groovt man fast täglich online weiter. Theatergruppen wie Nesterval haben ihren Auftritt gänzlich als Zoom-Besuch umgestaltet, und Filmfestivals von Linz bis Toronto haben ihr Programm zumindest teilweise virtuell vermittelt.

Auch wenn die Freude, zumindest über Streams an Kultur teilhaben zu können, mit der Zeit wieder abgeflaut ist: Hybride Veranstaltungsformate werden bleiben, ja sich wohl zügig weiterentwickeln, physisches und virtuelles Programm wechselseitig befruchten. Streamings muss man nicht als Alternative, sondern vielmehr als Ergänzung der etablierten Anwesenheitsformate sehen. Sie können das kollektive Erlebnis im Theater, Kino und Konzertraum nicht ersetzen, werden aber die Öffentlichkeit und längerfristig die Form selbst verändern. (kam, kr)

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Bewusst erlebte Verwundbarkeit schafft neue lokale Solidarität

Fast hatte man schon vergessen, auf welch tönernen Füßen alles steht. Die Tatsache, dass Kunstschaffende in den meisten europäischen Wohlfahrtsstaaten relativ befreit von ökonomischem Druck ihrer Arbeit nachgehen können, soll nicht darüber hinwegtäuschen, wie wichtig nach wie vor zahlendes Publikum ist. Nicht nur für jene, die ohne staatliche Zuschüsse auskommen (müssen), auch in hoch subventionierten Bereichen wie der Oper oder den Kunstmuseen muss das Angebot drastisch reduziert werden, wenn Touristenströme wegbrechen.

Auf der Angebotsseite wiederum hängen u. a. Großveranstalter im Musikgeschäft existenziell vom globalen Tourneezirkus ab. Die Reaktion darauf könnte in einem Umdenken bestehen, stärker auf lokale Künstler und heimisches Publikum zu setzen. Die alten Schlagworte von "Small is beautiful" und "Think global, act local" könnten Auftrieb erfahren.

Die Krise, die wie im Brennglas alle bestehenden Probleme vergrößert sichtbar macht, rief zudem Politikern wie Künstlern in Erinnerung, wie viel Prekarität in der Branche herrscht. Abseits des Rampenlichts wird daher über Arbeitsverträge, Subventionen und faire Bezahlung neu verhandelt werden. Dass dabei mehr erreicht wird, wenn man organisiert auftritt (hallo Gewerkschaft!), ist eine der Lehren, die der hoch individualisierte Kulturbetrieb gemacht hat. Die Gründung neuer Interessengemeinschaften zeugt davon. (stew)

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Personalisierter Kartenverkauf als Kontrollinstrument

Der personalisierte Kartenverkauf ist nicht neu, hat mit der Pandemie aber neue Relevanz erhalten. Erstmals ging es um den Schutz der Volksgesundheit. Eintrittskarten für Theater, Kino und Konzerte wurden heuer nur gegen Hinterlegung persönlicher Kontaktdaten ausgegeben – beim Eintritt wurden diese kontrolliert. Vorreiter waren die Salzburger Festspiele, die bereits angekündigt haben, dieses Ausgabesystem beibehalten zu wollen, zunächst einmal fix für 2021. Da das entsprechende digitale Abwicklungssystem inklusive kostenfreier Umpersonalisierungsoption nun aber entwickelt und erprobt ist, scheint es nicht unwahrscheinlich, dass es bleiben wird.

Ist die Pandemie dann hoffentlich irgendwann vorbei, fallen neue Argumente ins Gewicht. Denn personalisierte Karten sind auch ein zweckmäßiges Instrument gegen den Wucher mit Ticketpreisen am Schwarzmarkt. Bei Sportveranstaltungen sollen sie Vandalismus vorbeugen. Rechtlich ist die Personalisierung jedenfalls gedeckt. (afze)

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Angst vor der Masse trotz Nachholbedarfs

Was der Terror in den letzten Jahren auch auf europäischem Boden vermehrt tat, übernahm 2020 vollends ein Virus: Den Menschen die Angst vor Ansammlungen Ihresgleichen einzuimpfen. Das betrifft nicht nur Demos oder Sportvevents, sondern auch massiv Kulturveranstaltungen. Vor allem jene, die Festivalcharakterhaben oder bei denen zumindest in nächster Nähe zueinander geschwitzt, geschmust, gehustet wird. Viele vermissen diese Körperlichkeit und freuen sich auf die ersten Großevents, die regelrecht orgiastisch sein werden. Trotzdem wird es nicht wie früher sein. Längst hat sich die Angst in den Köpfen festgesetzt. (abs)

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Der pandemische Zwang zur "neuen Innerlichkeit"

Alles Unglück der Menschen rührt aus einem einzigen Umstand, nämlich dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können. Der weltberühmte Satz des Philosophen Blaise Pascal (1623–1662) darf als einigermaßen widerlegt gelten. Aufgrund zahlreicher Ausgangsbeschränkungen sahen sich die Menschen im vergangenen Jahr – von Spaziergängen und Lockerungsübungen in freier Natur abgesehen – auf die Vermessung der eigenen vier Wände angewiesen. Die Gelegenheit für viele, außerhalb nervtötender Alltagsroutinen sich selbst etwas Gutes zu tun, wurde als Geschenk wenn nicht des Himmels, so doch des Corona-Virus betrachtet.

Endlich schien der Zeitpunkt gekommen, eine indogermanische Sprache neu zu erlernen, James Joyces "Ulysses" zu lesen oder die eigene, um so vieles wohlschmeckendere Quittenmarmelade einzukochen. Das Versprechen der Freiheit entspricht dem Appell, aus einer schwer erträglichen Situation "noch das Beste zu machen". Der Mensch wird von der Pandemie angeregt, in ihm schlummernde Potenziale zu wecken. Nur so lasse sich dem Virus ein Schnippchen schlagen.

Mensch, werde wesentlich: Der Auftrag zur Selbstoptimierung – ohnehin ein Reflex auf Marktanforderungen – wird uns auch nach der Durchimpfung erhalten bleiben. Die Illusion gleicht derjenigen, die schon Karl Marx formuliert hat. Sei erst einmal die "allgemeine Produktion" zufriedenstellend geregelt, kann man nachmittags fischen, abends Viehzucht treiben und nach dem Essen kritisieren – ohne darum von Berufs wegen schon Fischer, Viehbauer oder Kritiker zu sein. Für die meisten produziert der Blick ins eigene Innere freilich Stress – der durch die gespannte soziale Lage noch erhöht werden wird. (poh)

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Bitte nicht den Brotberuf aufgeben!

Eine Erkenntnis wird nach dieser Krise mit Sicherheit bleiben: Kunst ist ein schönes Hobby, man sollte dafür aber nicht seinen Brotberuf aufgeben – wenn man denn nächstes Jahr noch einen hat. Das freut jetzt ganze Generationen verzweifelter Eltern, die immer darauf gesetzt haben, dass die Kinder eine ordentliche Ausbildung erhalten. Wie wichtig Kultur als in diesem Land auch zentraler wirtschaftlicher Faktor grundsätzlich genommen wird, kann man sich ins kommende Jahr hinein ja in der Schlange vor den Skiliften überlegen.

Die Öffnung von Theatern, Konzerthäusern oder Clubs hin zu mediokren Streamingformaten wird kein Ersatz für Livekultur bleiben. Live kommt in drastisch reduzierter Form wieder – an jenen Orten, die die Krise finanziell überleben. Kultur bedeutet auch "Gemeinschaft". Selbst wenn uns diese gerade auf die Nerven geht. (schach, 30.12.2020)