"Über allen Gipfeln ist Ruh'" – die wird beim Hochvogel aber nicht ewig halten.
Foto: TU München

Der 2.592 Meter hohe Hochvogel liegt mitten in den Allgäuer Alpen. Und quer über seinen Gipfel verläuft nicht nur die Grenze zwischen Österreich und Deutschland, sondern auch ein gefährlicher Spalt. Fünf Meter breit und 30 Meter lang ist er derzeit – doch er öffnet sich weiter, wie das Deutsche GeoForschungsZentrum (GFZ) berichtet.

Ein Abbröckeln des Gipfels ist auf Dauer unvermeidlich. Der Spalt öffnet sich laut GFZ jeden Monat um knapp einen weiteren Zentimeter. Im Laufe der Jahre ist die südliche Seite des Berges schon um mehrere Meter abgesackt. Irgendwann droht sie ganz in das Hornbachtal auf der Tiroler Seite abzurutschen und 260.000 Kubikmeter Gestein in die Tiefe zu reißen – das entspräche etwa dem Volumen von 260 Eigenheimen.

Schwierige Vorhersage

Aber wann wird es dazu kommen? Große Abbrüche von Felshängen passieren immer wieder und müssen berücksichtigt werden, wenn Landnutzungen geplant und Gefahren eingeschätzt werden. Es ließ sich bisher nur nicht vorhersagen, denn solche Felsstürze treten plötzlich auf und laufen mit hoher Geschwindigkeit ab. Deshalb sind sie schwer zu untersuchen.

Um herauszufinden, wann und warum sich die instabile Felsmasse auf dem Gipfel des Hochvogels bewegt, haben Forscher um Michael Dietze vom GFZ dort im Jahr 2018 ein Netzwerk von sechs Seismometern aufgebaut, jeweils im Abstand von dreißig bis vierzig Metern. Die Geophone zeichneten über drei Monate hinweg auf, mit welcher Frequenz der Berg hin und her schwingt. Wie eine Stimmgabel wird auch massiver Fels durch äußere Anregungen wie Wind und Erschütterungen der Erdkruste in Schwingung versetzt. Dabei hängt seine Frequenz von Faktoren wie Temperatur, Materialbeanspruchung und dem Grad der Zerrüttung des Gesteins ab.

Das Sägezahnmuster in der Frequenz des Berges (oben): Sie steigt mit der Spannung im Gestein und sackt nach Tagen wieder ab. Dabei werden seismische Signale registriert (unten), die beim Aufbrechen von Gesteinsrissen entstehen.
Illustration: GFZ

Während des Sommers 2018 konnten die Forscher einen wiederkehrenden sägezahnartigen Verlauf der Frequenz messen: Immer wieder stieg sie über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen von 26 auf 29 Hertz an, um dann in weniger als zwei Tagen auf den Ursprungswert abzusacken. Dabei ist laut GFZ der Anstieg der Frequenz mit einem Anstieg der Spannung im Gestein gekoppelt. Mit dem Absacken der Frequenz lassen sich vermehrt seismische Signale versagender Felskontakte messen, wie sie beim Aufbrechen von Gesteinsrissen entstehen.

Dieser zyklische Auf- und Abbau von Spannung durch ruckartige Bewegung, auch "stick slip motion" genannt, sei ein typischer Vorbote drohender Massenabbrüche. Entscheidend dabei: Je näher dieses Ereignis kommt, desto kürzer werden die beobachteten Zyklen, sie sind also ein wichtiger Gefahren-Indikator.

"Mithilfe des seismischen Ansatzes können wir dieses zyklische Phänomen nun erstmals kontinuierlich und fast in Echtzeit erfassen und verarbeiten", sagt Dietze. Er schätzt, dass es bis zur robusten Serienanwendung seines Verfahrens noch eine Weile dauert: "Aktuell haben wir sozusagen den 'Proof-of-Concept' erbracht, jetzt müssen die Ergebnisse an anderer Stelle wiederholt werden."

Wasser spielt eine Rolle

Im Laufe ihrer Messungen, die sich – mit Unterbrechungen aufgrund von Blitzeinschlag – von Juli bis Oktober erstreckten, machten die Forscher eine weitere interessante Entdeckung: Während der sägezahnartige Auf- und Abbau von Spannungen in den ersten Monaten nach der Schneeschmelze deutlich sichtbar war, kam er im Spätsommer des Dürrejahres 2018 ganz zum Erliegen. Offenbar ging dem Berg im Verlauf des Sommers das dafür notwendige Schmiermittel aus: Wasser.

Dann spielte nur noch ein Auf und Ab der Frequenzen im Tagesgang eine Rolle: In den kalten Nachtstunden zieht sich der Fels zusammen, Klüfte werden größer und die Verbindung zum Festgestein lockerer, so dass die Frequenz fällt. Durch die Sonnenwärme wiederum dehnt sich der Fels aus, schließt kleine Klüfte und erzeugt so eine höhere Schwingungsfrequenz. Wie diese täglichen und die längerfristigen Zyklen ineinander spielen und welchen Einfluss darüber hinaus die frostigen Winter auf das Wasser in tiefen Felsklüften für den Hochvogelgipfel haben, werden die Forscher nun über zwei weitere Jahre hinweg untersuchen. (red, 3.1. 2021)