Jubel und Freudentaumel bei den Aktivistinnen vor dem Senat in Buenos Aires. Grün war in den vergangenen Jahren zum Symbol der Bewegung geworden.

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Grün, die Farbe der Hoffnung, wurde am Mittwoch in Argentinien zur Farbe der Freude. Zahlreiche Frauen feierten in den frühen Morgenstunden vor dem Senat in Buenos Aires mit dieser Farbe das Ende eines Kampfes: Abtreibungen sind künftig in den ersten 14 Schwangerschaftswochen legal, danach gibt es ebenfalls Möglichkeiten zu einem Schwangerschaftsabbruch – etwa nach einer Vergewaltigung oder wenn das Leben der Mutter in Gefahr ist.

Grüne Tücher waren zum Symbol für die Sache der Aktivistinnen geworden – in Anlehnung an die weißen Kopftücher der Mütter des Plaza de Mayo, die sich Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre öffentlich gegen die Diktatur im Land stellten und Informationen zum Verbleib ihrer Kinder forderten.

Zweite Hürde

Zwölf Stunden hatten die Debatte und die Abstimmung über die Legalisierung der Abtreibung in der zweiten Kammer gedauert. Das Ergebnis fiel mit 38 zu 29 Stimmen deutlicher als erwartet aus. Die Hürde in der ersten Kammer hatte das Gesetz nicht nur Anfang des Monats genommen, sondern auch bereits zwei Jahre davor. Zu dem Zeitpunkt scheiterte es am Widerstand im Senat. Der damalige Präsident Mauricio Macri hatte sich zwar persönlich gegen eine Legalisierung ausgesprochen, doch versichert, seine Unterschrift nicht zu verweigern, sollte das Gesetz angenommen werden.

Der nun amtierende Präsident Alberto Fernández lobbyierte hingegen offen für Abtreibungsrechte in dem katholischen Land. Er musste quasi, denn im Wahlkampf wurde er von einer Plattform unterstützt, die sich für Abtreibungslegalisierung, Gleichberechtigung der Geschlechter sowie Homosexuellen- und Transgender-Rechte einsetzte.

Meinung geändert

Auch Vizepräsidentin Cristina Fernández de Kirchner trat schlussendlich für die Legalisierung von Abtreibungen ein. Während ihrer Präsidentschaft in den Jahren 2007 bis 2015 war sie noch dagegen gewesen. Doch die Demonstrationen von zehntausenden Frauen 2018 und Gespräche mit ihrer Tochter hätten ihre Meinung geändert, wie sie sagt.

Argentinien ist somit nach Uruguay und Guyana das dritte südamerikanische Land, das Abtreibungen erlaubt. Senatorin Norma Durango eröffnete die Debatte am Dienstag: "Ich sitze heute für alle Frauen hier, die während heimlicher Abtreibungen gestorben sind. Abtreibungen sind Realität und finden seit Menschengedenken statt."

Laut Statistiken der nationalen Behörden starben mehr als 3000 Frauen seit 1983 an illegalen Abtreibungen. Allein im Jahr 2016 – den letzten aktuellen Zahlen des Gesundheitsministeriums – mussten rund 40.000 Frauen wegen Komplikationen bei solchen Eingriffen ins Krankenhaus, zwischen 2016 und 2018 starben 65 Frauen laut Schätzungen der Organisation "Argentiniens Netzwerk für Zugang zu sicheren Abtreibungen".

Kampf in Lateinamerika

Deshalb feiern Befürworter der Legalisierung, dass die Praxis aus dem Schatten geholt und mit medizinischer Expertise ausgeführt werden kann. Denn bereits seit Jahren ist bekannt, dass vor allem in Ländern, in denen Abtreibungen verboten sind, mehr stattfinden, da meist auch der Zugang zu Empfängnisverhütung bzw. sexueller Aufklärung eingeschränkt ist. Laut Schätzungen brechen jährlich hunderttausende Argentinierinnen ihre Schwangerschaft ab.

Die Aktivistinnen hoffen nun, dass die Bewegung auch in anderen lateinamerikanischen Ländern Fuß fassen und für Veränderungen sorgen kann. Frauen in Brasilien, Chile und Kolumbien befinden sich im Moment in einem ähnlichen Kampf. In Kolumbien wurde vor kurzem eine Klage beim Verfassungsgericht gegen das Abtreibungsverbot eingereicht, und die Chileninnen hoffen überhaupt auf mehr Frauenrechte in einer neuen Verfassung.

Rückschlag für Kirche

Mit der neuen Gesetzgebung in Argentinien erfuhr vor allem auch die einflussreiche katholische Kirche einen schweren Rückschlag. Papst Franziskus hat sich selbst in die Debatte in seinem Heimatland eingeschaltet und am Vorabend der Abstimmung eine Frauengruppierung gelobt, die sich gegen Abtreibungen engagiert. Und auch auf Twitter postete der Pontifex am Dienstag – offenbar als Nachricht an jene Senatoren, die sich noch unsicher waren: "Der Sohn Gottes wurde als Ausgestoßener geboren, damit er uns berichten kann, dass jeder Ausgestoßene ein Kind Gottes ist."

(Bianca Blei, 30.12.2020)