Exakt 99 Jahre nachdem Gründervater Ambros Strolz in Lech seine Schuhmacherwerkstatt eröffnet und Skischuhe aus Leder für die Pioniere des Wintersports gefertigt hat, kommt es zum harten Schnitt. Strolzens haben ein kleines Imperium aus Mode und Sport aufgebaut, mit sieben Filialen in Lech, Zürs und Stuben. Mitte Dezember meldete das Traditionshaus Insolvenz an – mit zwölf Millionen Euro überschuldet. Strolzens werden nach einem Sanierungsverfahren und teilweisem Gläubigerverzicht weitermachen und wieder kleinere Brötchen backen.

Wenn sich ein gestandener Betrieb wie Sport Strolz in den Konkurs verabschiedet – und das, obwohl der Staat zahlreiche Hilfen bereitstellt –, kann man daraus Schlüsse für die Zukunft ziehen? Viele tun das. Roland Murauer, Geschäftsführer des Rieder Beratungsunternehmens CIMA, ist einer davon. Murauer klopft Standorte auf ihre Tauglichkeit ab, analysiert die Kaufkraft und überlegt, wie etwas besser laufen könnte. Derzeit hat er viel nachzudenken.

Strukturwandel

Im Einzelhandel wird die Pandemie den Strukturwandel beschleunigen, da sind sich alle einig. Wie dick es kommt, darüber gehen die Meinungen auseinander. Wird es so deftig wie zwischen 2003 und 2018? In diesem Zeitraum sind hierzulande rund 11.000 Geschäfte von der Bildfläche verschwunden.

Einkaufen vor Ort war heuer alles andere als unbeschwert. Das könnte die Handelsbranche auf den Kopf stellen.
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Dass viele die Krise nicht überleben werden, ist Branchenvertretern wie Beratern klar. Interessenvertreter wie der Handelsverband halten 6500 der rund 60.000 Betriebe für existenzgefährdet, 60.000 Jobs stünden auf dem Spiel. Murauer denkt in Quadratmetern – und hat auch da extreme Zahlen bereit. Mit zehn bis 15 Prozent mehr Leerstand rechnet Murauer in den nächsten Monaten, das wären 1,5 bis zwei Millionen Quadratmeter, die jetzt noch als Verkaufsflächen genutzt werden. Für manche Städte kursieren Zahlen von bis zu 25 Prozent – gewiss gewagte Schätzungen.

Aber auch der Markt- und Standortberater Hannes Linder hält es in den Citys mittlerer Städte mit über 20.000 Einwohnern "bei ungünstigen Rahmenbedingungen für durchaus denkbar, dass hier die Rate über zehn Prozent ansteigt". Arbeitslosigkeit, Sparneigung, Kaufkraft – und die Frage, wie rasch eine Impfung die Rückkehr zur Normalität erlaubt – sind Faktoren, die Einfluss nehmen werden. Margarete Gumprecht, Handelsobfrau in der Wiener Wirtschaftskammer, lässt dennoch keinen Pessimismus aufkommen. "Den Konsumenten ist klar geworden, dass sie, wenn sie Geschäfte erhalten wollen, auch hingehen müssen. Der Handel muss sich spezialisieren und tut dies auch."

Weg vom Einheitsbrei, das sei für die, die überleben eine Chance, sagen Experten.
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Das sieht auch Berater Murauer so und berichtet von einer lebendigen Gründerszene, die sich auch von der Krise nicht abhalten lässt, mit neuen Ideen an den Start zu gehen. Start-ups, die neue Dinge umsetzen, die Alteingesessene nicht mehr ausprobieren wollen oder können. Vielerorts würde das gut funktionieren. Städte kämen unterschiedlich gut durch die Krise, sagt er.

Fehlender Tourismus

Salzburg, wo der touristische Umsatzanteil in der Altstadt bei gut einem Drittel liege, habe es schwerer als Linz mit einem Anteil von acht Prozent. Amstetten, Wels oder St. Johann in Tirol hätten ein großes Einzugsgebiet, auch sie würden leichter durchtauchen. Einkaufsstraßen wie der Graben oder die Tuchlauben in Wien, Sport- und Modehäuser in Tourismushotspots wie Lech oder Agglomerationen wie das Outletcenter in Parndorf hängen zum Gutteil von Touristen ab. Ein Umsatzrückgang von 30 Prozent und mehr ist da leicht vorstellbar – und nicht so schnell aufzuholen.

Die Abhängigkeit von internationalen Gästen ist das eine. Hat man etwa als Reformhändler, einquartiert im Einkaufszentrum, im Lockdown offen und konnte man sich nicht auf einen Mietnachlass einigen, fehlen Kundenfrequenz und damit Einnahmen. Die Kosten bleiben. Bei den Shoppingcenterbetreibern hat das große Zittern schon begonnen. Joachim Will vom deutschen Berater Ecostra ist überzeugt, dass bereits emsig Mieten nachverhandelt werden, auch wenn das niemand offen zugibt. Man hofft, nach der Krise durchstarten zu können – dafür braucht es Mieter, denn die hohen Mieten sind nur bei entsprechender Kundenfrequenz gerechtfertigt. Die Eigentümer, oft Investoren, besichern allerdings etwaige Bankdarlehen mit Mieten. Da könnte einiges ins Wanken geraten.

Einkaufszentren haben einen hohen Anteil an Filialisten. Händler, deren Kundschaft heuer noch stärker in den Onlinehandel abgewandert ist.
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Die Probleme dürften sich auswachsen. Einkaufszentren haben einen hohen Anteil an Filialisten. Händler, deren Kundschaft heuer noch stärker in den Onlinehandel abgewandert ist. "Covid war ein perfektes Umschulungsprogramm für das Konsumentenverhalten", so Standortberater Linder: "Sollte die Bequemlichkeit des neuen Einkaufens mögliche Frustelemente wie zu lange Lieferzeit, Betrug, mühsame Retourenabwicklung überflügeln, müssen wir mit einem weiteren E-Commerce-Wachstum rechnen." Der Anteil am Einzelhandelsumsatz wird heuer erstmals elf Prozent erreichen, anderswo liegt er doppelt so hoch oder höher. Österreich wird nachziehen, der Rückgang der Filialisten in Einkaufszentren und Straßen weitergehen, ist auch Murauer überzeugt. Vor allem die modischen Branchen ziehen sich zurück. Kleine Lokale, die für Lokalkolorit sorgen, machen das Kraut nicht fett.

Transformation

Die Transformation schreitet voran. Standortforscher Lindner hat Zahlen parat, die die Dynamik beschreiben: Lag 2014 der Einzelhandelsflächenanteil an den City-Shopflächen bei 73,5 Prozent, so lag er Ende 2019 bei 70,2 Prozent. Gastronomie, Dienstleister und Fitnesscenter hielten Einzug.

Auch die Fluktuationsrate ist interessant. Sie gibt an, wie viel Prozent der Shops jährlich den Mieter wechseln. Zuletzt lag sie bei 13,8 Prozent. Das Karussell wird sich weiterdrehen. Für freiwerdende Flächen in Fachmärkten und Einkaufsstraßen gibt es bereits neue Ideen: Dienstleister, Bibliotheken, Kindergärten, ja sogar über Wohnungen wird nachgedacht.

In den Einkaufstraßen werden die überleben, die sich dem Einheitsbrei entziehen, ist Berater Murauer überzeugt. Kollege Will hat auch Trost parat: Für jene, die diese Krise überstehen, entspanne sich die Wettbewerbssituation. Was er allerdings auch anmerkt: Der Handel gilt derzeit Geldgebern als Risikobranche. Neue Ideen umzusetzen werde also nicht ganz einfach. (31.12.2020)

Anmerkung: Im Text wurde präzisiert, dass es sich bei dem Insolvenzverfahren von Sport Strolz um ein Sanierungsverfahren handelt.