Anna Manhart feiert Silvester als eine der ersten Geimpften. Sie hofft, dass ihre Therapieeinheiten bald wieder losgehen.

Foto: Christian Fischer

Noch ist ein bisserl Zeit bis zum Jahreswechsel, aber in Anna Manharts Glas sprudelt schon der Sekt. Die 60-jährige Bewohnerin hat allen Grund zu feiern – und das Café in dem von der Caritas geführten Pflegewohnhaus Barbara hat auch während des Lockdowns geöffnet. Tags zuvor wurde sie geimpft – womit das lästige Kapitel Corona für den an einer Nervenkrankheit leidenden Medienstar (gemeinsam mit ihrer Freundin betreibt sie einen Podcast namens Faltenrock FM) damit hoffentlich bald erledigt ist. "Manche sagen, wir sind Versuchsobjekte, aber das ist mir eigentlich egal. Da hab ich lieber drei Tage Fieber, bevor ich Corona bekomm", erklärt Frau Manhart hinter einer großen Plexiglasscheibe. Doch auch von Fieber ist jetzt keine Spur, nicht einmal den Einstich habe sie gespürt.

Nur sechs der insgesamt 276 Bewohnerinnen und Bewohner haben den Oberarm nicht für die Impfung bereit gehalten. Das Pflegepersonal war da deutlich skeptischer: Nur etwa 40 Prozent der Belegschaft ließ sich bei diesem ersten Termin den Impfstoff injizieren. Claudiu Suditu ist Leiter des Caritas-Pflegehauses hier im 23. Wiener Gemeindebezirk. Er erklärt sich die Zögerlichkeit seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter so: Die Pflegearbeit sei ein Berufsfeld mit relativ niedrigem Durchschnittsalter, und junge Menschen hätten womöglich das Gefühl, dass sie persönlich weniger gefährdet sind. Gleichzeitig hätten viele den Umkehrschluss gezogen: Weil fast alle Bewohnerinnen und Bewohner die erste Teilimpfung gegen Covid-19 erhalten haben, sei damit das wichtigste Ziel ohnehin erreicht. "Aber natürlich gibt es auch eine gewisse Skepsis", räumt Herr Suditu ein. Zu oft habe sich schon eine Meldung in Zusammenhang mit Corona im Nachhinein als falsch erwiesen. Etwa, was die Sinnhaftigkeit von Masken anlangt. Er, seit Dienstag glücklich geimpft, geht also davon aus, dass sich unter den 60 Prozent, die sich vorerst dagegen entschieden haben, "ein beträchtlicher Teil an Beobachtern" befindet, die zu einem späteren Zeitpunkt nachziehen werden."

Hilft’s nix, schadet’s nix"

Bei Frau Manhart im Kaffeehaus überwiegt jedenfalls die Freude. Die vielen Vorschriften, die abgesagten Therapieeinheiten, die reduzierten Besuche von der Familie – das zehrt alles schon ein wenig an den Nerven. Und überhaupt: "Hilft’s nix, schadet’s nix", findet die Pensionistin, die in ihren drei Jahren hier im Haus Barbara auch schon lustigere Zeiten erlebt hat.

Direktor Suditu kann das bestätigen. Die Aktivitäten außerhalb des Hauses sind seit Pandemiebeginn komplett eingestellt, auch die hausübergreifenden Treffen der Wohneinheiten musste man stoppen. Er verstehe, dass sich die Bewohnerinnen und Bewohner wieder auf mehr Freiheiten freuten, wenn er ihnen auch erklärt habe: "Wir dürfen das nicht falsch interpretieren und bereits am Tag nach der Impfung auf alle Vorsichtsmaßnahmen verzichten." Das ginge erstens rein rechtlich gar nicht. Aber auch wenn dann die zweite Teilimpfung erfolgt und die gesetzlichen Regelungen gelockert sind, will Herr Suditu Schritt für Schritt vorgehen. Bei 60 Prozent der Belegschaft ohne Impfung könne er es sich nicht leisten, dass ihm bei einer kompletten Öffnung dann womöglich ein Großteil des Personals krankheitsbedingt ausfällt. Ob er gerne eine Impfpflicht ausgeben würde? "Ja."

Im Frühjahr war hier im Wohnhaus ein regelrechter Corona-Cluster entstanden. Der Schock sitzt tief, bis heute. Dem Direktor fällt auf, dass jene Teams, die Kolleginnen mit schwerem Krankheitsverlauf aus nächster Nähe erlebt haben, beinahe geschlossen zur Impfung angetreten sind. Heute hat man zu einem fast routinierten Umgang mit dem Virus gefunden: Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter absolvieren zweimal pro Woche einen PCR-Gurgeltest, es gibt Beobachtungsstationen für Verdachtsfälle, es wurde im Vorfeld der Impfung viel Aufklärungsarbeit bei den Familien geleistet. Ein Großteil der Seniorinnen und Senioren ist hier an Demenz erkrankt und mit der Entscheidung überfordert.

Anna Manhart freut sich schon, wenn sie ihre beiden jüngeren Brüder, beide Risikopatienten, endlich wieder sehen kann. Ein Griff auf den geimpften Oberarm, ein Prosit aufs neue Jahr. Mitternacht werde sie zwar nicht ganz schaffen, "aber das macht nix". (Karin Riss, 30.12.2020)