Anfangs wollte Marlene Streeruwitz nicht zum Massentest gehen. Dann entschied sie sich doch anders und will seitdem jeden Tag gehen, sagt die Schriftstellerin.
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Ich wollte nicht hingehen. "Massentest." Was für ein schreckliches Wort. Was für ein schreckliches, in die Geschichte zurückversetzendes Wort. Worte sind das, die die Personen voneinander trennen und dadurch entrechtet, in die Masse zurückwerfen können. Freitesten. Einschleppen. Impfzwang. Die uns Nächsten werden zu unseren größten Feinden erklärt, und militärische Metaphern invadieren unsere privatesten Räume. Die Terminologie des Hygienestaats führt zum Verlust der Grundrechte. Vorübergehend, heißt es. Aber das war genau das, was die Nürnberger Rassengesetze erzielten: der Entzug der Bürgerrechte. Jetzt einmal werden hinter den Hygienemaßnahmen der österreichischen Regierung nur die Verschärfung der Studienbedingungen oder die Abschaffung der Autonomie der Universitäten herbeiregiert. Eine neoliberale Regierung rechnet ja mit der Selbstzurichtung ihrer Regierten. Aber was haben wir noch zu erwarten. Die staatliche Übernahme unserer Körper im Impfzwang?

Und deshalb wollte ich nicht hingehen. Ich wollte nicht diesem Gebot zur Selbstzurichtung folgend meinen Test abliefern. Ich wollte nicht gehorsam sein.

Weil es dann aber doch nicht anders ging. Ich war da. Wir hatten im Austria Center einen Termin bekommen. Ich war da, und seither möchte ich jeden Tag testen gehen.

Schon am Anfang. Die Auto zufahrt hinunter. Die vermummten Sanitätsmitarbeiterinnen fragen, ob sie einer helfen können. Es haben sich zwei Schlangen von Personen diese Autozufahrt hinunter gebildet. Einzelne Personen stehen da. Paare. Familien. Immer ist der Sicherheitsabstand eingehalten.

Alle warten, niemand drängelt

Alle tragen Masken. Beim Eingang zu Halle muss die Maske gewechselt werden. Die FFP2-Maske wird übergeben. Wortlos. Selbstverständlich. In der Halle. "Können wir Ihnen helfen?" Wir werden an einen Schalter verwiesen. "Das haben wir gleich." Wir werden in eine der Warteschlangen verwiesen. Ruhig. Selbstverständlich. "Haben Sie das schon einmal gemacht?" Ein kleines Kind will nicht. Es schreit und strampelt. Eine der vermummten Mitarbeiterinnen hockt sich vor das Kind und spricht leise auf das Kind ein. Das hilft nichts. Die Mutter kann das Kind nicht beruhigen. Aber. Niemand hat etwas gesagt. Keine Person hat eine dieser abfälligen Bemerkungen gemacht, die wir immer gehört haben, wenn ein Kind seinen Willen kundgetan hat. Dann gibt die Sanitäterin dem Kind das Wattestäbchen zum Selbermachen, und auf einmal geht es. Wie ja überhaupt alles dann selber gemacht werden muss. Nur das Nasenbohren bleibt den Mitarbeiterinnen. Den Test muss eine derer dann selber fertig machen. Das Umrühren des Wattebauschens in der Flüssigkeit in der Phiole. Es soll gründlich sein. Alle rühren. Dann der Stöpsel drauf und ein Tropfen auf das Testgerät. Schwangerschaftstestgeübt ist das ganz einfach. Dann warten.

Alle warten. Niemand drängelt. Alle gehen langsam so vor sich hin. Reden leise. Schauen wieder aufs Handy. Ruhig. Gelassen ist das. Dann sind die zehn Minuten vorbei. Am Schalter. Der Test ist negativ. Ich werfe den Test dann selber in die Mülltonne. Niemand sonst kommt mit meinem Test in Berührung. Auch das ist beruhigend. Wir sind alle in dieser Situation, sagt die Stimmung. Das leise Summen gedämpften Redens. Rücksichtsvoll ist das.

Wir sind gemeinsam da, erzählt das. Wir machen das für uns und füreinander. Wir nehmen das ernst. Das Gemeinsame. Wir nehmen einander ernst. Wir bleiben ruhig dabei. Ein freundliches Strömen war das in dieser Teststraße. Die Freiwilligkeit jeder einzelnen Person ein Beitrag und zu spüren. Keine und keiner ging schneller weg. Verließ den Ort. Flüchtete. Das war ja auch nicht notwendig. Dieser Test war ein Akt der Selbstbestimmung in der Gemeinsamkeit mit den anderen, die sich testen ließen. Wir waren auch keine Konsumenten, die mit Verkaufsfreundlichkeit zu etwas überredet werden mussten. Niemand musste uns angrinsen. Die reine Sachlichkeit war genug. Und was für eine Erholung das war. Ohne sich erklären zu müssen, einen Beitrag leisten. Einen Augenblick. Es war möglich, sich als dieses Verantwortungssubjekt inmitten aller anderen Verantwortungssubjekte wahrnehmen zu können. Und weil es keiner weltanschaulichen Deklaration bedurfte, teilnehmen zu können. Es war wohl ein winziger Augenblick Demokratie, der da stattfand. Unaufgeregt. Relaxt. Das war die beste Bezeichnung für die Stimmung. Ich würde das mit total entspannt übersetzen. Also das genaue Gegenteil der Regierungsauftritte: total drohend.

"Zuerst hat er geredet wie ein Pfarrer. Aber jetzt ist er nicht einmal mehr ein Ministrant", sagt der katholische Freund am Telefon, und wir sind uns einig. "Die Leut" sind vernünftig und ruhig und verantwortungsvoll, also einsichtig. Deshalb funktioniert es. Die Regierung hält das Volk dagegen für unvernünftig, widerspenstig und dumm. Deshalb greift die Regierung auf autoritäres und angsterregendes Sprechen zurück. Aber diese Regierung will ja auch regieren und nicht den Staat führen. Regieren, das heißt die Herrschaft innehaben. Und Herrschaft. Die darf nichts von den Regierten wissen. In doppelter Weise ist eine solche Regierungsform von den Regierten entfernt. Das Herrschen-Wollen setzt ein Nicht-Wissen über die Beherrschten voraus. Einfühlung und Verständnis für die Regierten ist das Demokratische, das die Regierten zu Bürgerinnen und Bürgern macht. Einfühlung und Verständnis sind die Voraussetzung für demokratisches Gleichheitsdenken. Das politische Sprechen in unbewusster Erinnerung an autoritäre Lösungen bringt es an den Tag. Dieser Regierung geht es um die kalte Ordnung des Staatlichen. Aber. Darum geht es in Österreich von jeher, und Kafka erzählt uns immer noch die Wahrheit darüber.

Demgegenüber. Die Situation beim freiwilligen Corona-Test. Das ist die eigentliche Realität, und in dieser Realität sind wir gut aufgehoben. Also. So sollte unsere Lebenswirklichkeit aussehen. Gemeinsam und gut aufgehoben.

Sich Klarheit verschaffen!

Nun. Das war ein Moment. Und ja. Es ist jetzt wirklich genug. Genug mit der Festungshaft. Ich werde das nächste Jahr nicht in der Düsternis versprochenen Ablebens verbringen. Nein. Ich werde aufwachen. Mit der Erinnerung an die Möglichkeit dieser Testsituation wird mir noch einmal mehr klar, dass ich aufwachen will. Dass ich wacher werden muss, um nicht in dieser induzierten Betrübnis unterzugehen. Und wach werden. Sich Klarheit verschaffen. Wie schon immer und bisher. Es ist mühevoll. Es braucht viele und lange nächtliche Rundgänge, der Unruhe des Gefangenseins Herrin zu werden. Diese Unruhe. Sie ist die Erinnerung an die Lebendigkeit früher, als staatlicher Zwang eine Befürchtung war.

Diese Unruhe ist das übriggebliebene Leben von früher und ist lebendig. Diese Unruhe pulsiert. Sie lässt den Körper in Zittern verfallen. Schwanken. Sie fällt aber auch von außen über eine her. Steht vor einer. Verdunkelt den Blick. Aber. Meine Unruhe ist die ungenaue Antwort auf die Situation. Oder besser. Meine Unruhe war die formlose Antwort. Sie war Ausdruck der Verwundbarkeit des Körpers und der Verletzlichkeit des Herzens und der Verlorenheit im Geistigen. Der Verlust des urbanen Lebens hat in sinnlos erscheinende Bewegungslosigkeit geführt. Aber da müssen wir heraus. Wir können uns nicht länger diesen reaktionären Formulierungen ausgeliefert lassen.

Wir müssen diesen Staat selbst in die Hand nehmen. Dieses Parlament weiß nichts von uns, und das müssen wir ändern. Diesmal muss die Revolution aber quer gehen. Wir müssen uns im Gemeinsamen miteinander verständigen. Von oben nach unten haben wir nur Zwängliches zu erwarten. Das wissen wir jetzt. Das konnten wir 2020 lernen. Und die ganze Revolution ist nichts anderes, als jede Handlung politisch zu sehen und das zu vermitteln.

Und nein. Das ist nicht Jungschar. Oder "bleeding heart liberalism". Die Querrevolution bedeutete die vollkommen coole Anerkennung der anderen Personen. Und ziemlich pragmatisch so. In der Einhaltung des Sicherheitsabstands allein ist das schon enthalten. Was dazu kommen muss, das ist das Bewusstsein beider Seiten, dass das eine Gemeinsamkeit herstellt. Die abstandhaltenden Personen. Sie müssten einander nicht einmal freundlich zunicken. Es zu tun, das ist der politische Schritt, der ja auch eine Kontrollfunktion hat. Denn darum geht es vor allem. Wir haben in dieser Krise gesehen, wie wichtig unsere Beteiligung am Ganzen sein wird, wenn es um die Bewältigung der Klimafragen gehen wird. Und.

Die nächste Krise sollte uns nicht so weit voneinander entfernt vorfinden. Wir müssen voneinander wissen und miteinander die Transparenz im Politischen erkämpfen. Wir dürfen uns nicht regieren lassen. Wir müssen die Führung der Geschäfte des Staats kennen und kontrollieren, und dazu müssen wir unsere Leben politisch nehmen. Nach dieser Krise muss das Politische das Private sein, und nur gemeinsam können wir die Grundrechte behaupten. Und. Vielstimmig muss das sein. Vielstimmiger als die Politik jetzt ist. So vielstimmig, dass keine Verfassungsänderungen möglich sind.

Wir müssen lernen!

Es könnte also weitaus lustiger werden. Und auch das haben wir gelernt. Die politische Elite unseres Landes ist ziemlich monochrom an Posten interessiert. An der Erhaltung dieser Posten. Es wäre zwar ohnehin jetzt der richtige Zeitpunkt gewesen, die bedingungslose Grundsicherung für alle einzuführen. Aber in Hinblick auf die Abhängigkeit von politischer Postenabsicherung wäre diese Einführung besonders sinnvoll. Die politische Elite müsste sich so nicht vor Arbeitslosigkeit fürchten und deshalb willfährig erpressbar der Macht folgen.

Und nein. Es sollte die normale Übung sein, sich in seinem oder ihrem Beruf um die jeweilige Politik zu kümmern und zur Kontrolle des Staats beizutragen. Zum Beispiel die Kontrolle, wie diese neoliberale Asylbehörde vorgeht und die Berichterstattung darüber. Kleine Beiträge. Große Beiträge. Spenden. Mitarbeit in Initiativen. Informationsbeschaffung. Informationsverbreitung. Parteineugründungen. Bürgerinitiativen, zur Durchsetzung von Einzelinteressen, reichen da nicht. Wir Bürgerinnen und Bürger müssen – und das ist das notwendig Neue daran – die Gesamtsituation mitbedenken. Wir müssen lernen, das Gemeinsame zu bedenken und die Kunst der Politik zu lernen. So. Wie wir beim freiwilligen Corona-Test die Gesamtsituation mitbedacht haben.

Es ist genug, wie unsere Fügsamkeit von der gesamten Politik hierzulande als Schwäche ausgelegt wird. Wir haben unsere Unzufriedenheit in Demonstrationen ausgedrückt. Wir waren beständig im Verweis darauf, wie die Regierungen der ÖVP mit ihren Koalitionspartnern immer versuchten, die Verfassung links liegen zu lassen. Wie Demokratie den Maßnahmen nicht zugrunde lag. Wie die Grundrechte nicht eingehalten werden. Wie die Grundrechte nicht selbstverständliche Voraussetzung der Politik sind.

Marlene Streeruwitz, vielfach ausgezeichnete Schriftstellerin. Zuletzt erschien ihr Covid-19-Roman "So ist die Welt geworden" (Bahoe Books).

Wir sind alarmiert. Diese Krise hat an den Tag gebracht, wie viel Autoritäres in unserem Land möglich ist. Das ist auch unsere Schuld. Oder besser. Das sollte unsere Angelegenheit sein. Und. Ich werde mit großer Begeisterung meine Freundinnen in Flüchtlingsinitiativen unterstützen. Unsere Asylgesetze. Sie beschreiben unsere eigene Zukunft. Da ist aller Einsatz notwendig. Und auch. Ich will in keinem Land leben, das Kindern die Hilfe verweigert. Ich werde mich mit der Universitätsautonomie beschäftigen und mit der Frage der Studienbedingungen. Und. Das wird zur Grunddiskussion zurückführen, ob der Mensch einen Bildungstrieb hat, oder ob er ein reines Objekt der Erziehung ist. Diese Diskussion wurde im 18. Jahrhundert geführt und hierzulande mit der Entscheidung für das Erziehungsobjekt beantwortet. Das war damals, aber unsere Bildungsinstitutionen sind immer noch danach ausgerichtet. Alle Institutionen folgen dem. Diese Einstellung war damals reaktionär und ist es heute.

Demokratie formuliert das Grundrecht auf Bildung und meint sicher nicht eine Bildung, die demokratieerstickend autoritär ist. Das sind die Fragen, die in allen Bereichen täglich gestellt werden müssen. Und das im kühlen, sicheren Wissen voneinander, das gute Leben für alle gestalten zu wollen. Gemeinsam. Und aus dem Conatus der Corona-Krise gelernt. Erneut gelernt. (Marlene Streeruwitz, ALBUM, 2.1..2021)