Vor Spaniens Küste greifen Orcas Schiffe an, an Tasmaniens Küste verenden Wale, Mobilfunkbetreiber bestreiten trotz gegenteiliger Studien, dass zwischen Handystrahlen und Insektensterben ein Zusammenhang besteht, bei Grönland schmelzen Eisriesen und so weiter. Die Nachrichten sind auch abseits von Corona und Dynamo nicht erfreulich.

Im Dezember 2020 fand im Hygienemuseum zu Dresden eine Diskussion über die Stadt der Zukunft statt, Stichwort Nachhaltigkeit. Mir ist der Begriff nachhaltig suspekt. Wenn er im Fischfang, in der Forstwirtschaft oder beim Alkoholkonsum verwendet wird, kann ich mir etwas vorstellen, aber bei Geldanlagen, Kindergärten, Kunst? Plötzlich muss alles nachhaltig sein.

Nachhaltigkeit wird uns nicht erspart bleiben, wenn wir zum Beispiel verhindern wollen, dass es zu weiteren Massenstrandungen von Walen kommt, so der Schriftsteller Franzobel.
Foto: imago images/VWPics

Klima und Politik

Unlängst war eine Freundin ganz begeistert. Endlich ein Kochbuch, jubelte sie, das zeigt, wie man mit Küchenabfällen kocht. Gut, soll sie aus Schalen, Randschnitten und Käserinden Aufläufe und Eintöpfe zaubern, solange tonnenweise Lebensmittel weggeworfen werden, alles in Plastik verschweißt wird, erscheint mir das etwas überambitioniert.

Prinzipiell ist Nachhaltigkeit natürlich etwas Gutes, werden doch Umwelt, Klimaschutz, Soziales und verantwortungsvolle Unternehmensführung berücksichtigt. Aber Nachhaltigkeit ist auch ein Unwort.

Schon die Benennung des entsprechenden Ministeriums zeigt, wie dieselbe Sache immer anders benamst wird, zumindest in Österreich. Was 1972 Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz hieß, wurde bald in BM für Umwelt, Jugend und Familie umbenannt. Dann war es Teil des Ministeriums für Land- und Forstwirtschaft. Kurz hieß es Lebensministerium, später tatsächlich Ministerium für Nachhaltigkeit, nun heißt es wieder anders.

Lassen Sie mich eine kleine Anekdote erzählen. Es gab einmal ein Dorf in Umbrien, das stolz war auf seine Kirche, in der sich ein Fresko von Giotto befand. Diese Sehenswürdigkeit lockte so viele Touristen an, dass sich Greißler, Kaffeehäuser, Hotels und ein paar Restaurants halten konnten.

Das Dorfleben funktionierte. Bis man eines Tages meinte, der Giotto müsse restauriert werden. Bald! Man plünderte also die Gemeindekasse, veranstalte Crowd-Funding-Aktionen und konnte sich schließlich den besten Restaurator leisten.

Die Arbeiten dauerten nur ein paar Wochen. Als die Dorfbewohner ihren Giotto in neuen leuchtenden Farben bewundern wollten, freudig und erwartungsvoll in die Kirche strömten, blieb ihnen das Herz stehen. Die Fresken waren nämlich weg. Verschwunden! Der hochgepriesene Restaurator hatte entschieden, dass der einzig nachhaltige Schutz für das Gemälde sei, es zuzubetonieren. Die Dorfbewohner waren traurig, konnten aber nichts dagegen tun. In weiterer Folge blieben die Besucher aus, das Dorf verkam, die Leute wanderten ab, aber der Giotto war nachhaltig geschützt.

Privilegierte Diskussion

Was ich mit dieser erfundenen Geschichte sagen will? Man kann es auch übertreiben. Allerdings nicht beim Klimaschutz, zumindest behaupten das Menschen, die sich damit beschäftigt: Temperaturanstieg, Polareisschmelze, unbewohnbare Küstenregionen, versteppte Landstriche ... irreversible Kettenreaktionen, Hungersnöte und andere Schreckensszenarien werden angekündigt.

Wir können uns das alles kaum vorstellen? Vielleicht hilft die Fibonacci-Reihe, die das nichtlineare Wachstum der Natur widerspiegelt. Sie beginnt mit zweimal der Eins und setzt sich dann immer aus der Summe der beiden vorigen Zahlen zusammen. Also folgen: 2, 3, 5, 8, 13, 21, 34, 55 … Jeder nächste Schritt bedeutet eine exponentielle Zunahme. Eventuell lässt sich diese Reihe auch auf die Zahl der Corona-Infektionen übertragen? Oder eben auf den Klimawandel? Anfangs passiert fast nichts, aber dann gibt es irgendwann kein Halten mehr.

Zurück zur Diskussion im Hygienemuseum. Schon eine Gastherme, behauptet ein Zukunftsforscher, hinterlasse einen zu großen CO2-Fußabdruck. Ein junger Zuseher meint, man müsse in Dresden Nachhaltigkeitszentren errichten und ein großes Denkmal für den Klimaschutz schaffen, am besten statt dem Stadion.

Es ist eine privilegierte Diskussion, weil wie will man Menschen in Dritte-Welt-Ländern erklären, dass sie weiter auf Konsum verzichten müssen? Schwierig, aber notwendig. Angriffslustige Orcas, aussterbende Bienen, gestrandete Wale – vieles weist uns sachte darauf hin. Nachhaltigkeit, so unschön dieses Wort auch ist, bleibt uns nachhaltig nicht erspart. (Franzobel, ALBUM, 31.12.2020)