Gewessler fürchtet keine Abwanderung der Industrie durch höhere Klimaschutzziele. Einen Klimarechnungshof hält die grüne Politikerin für eine spannende Idee.

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Die grüne Ministerin Leonore Gewessler zieht nach einem Jahr im Amt eine positive Bilanz über den bisherigen Fortschritt in Sachen Klimaschutz – auch wenn einige geplante Punkte auf der Strecke geblieben sind. Die Einführung eines Plastikpfands dürfte auch 2021 schwierig werden.

STANDARD: "Jede künftige Regierung wird am Klimaschutz gemessen werden", haben Sie vor rund einem Jahr gesagt. Welche Note hätten Sie als Oppositionspolitikerin oder NGO-Chefin dem ersten Jahr türkis-grüner Klimapolitik gegeben?

Gewessler: Wenn ich mich in mein NGO-Selbst zurückversetze, hätte ich mich sicher über die Klimaschutzmilliarde gefreut, die ich selbst jahrelang eingefordert habe. Ich hätte als NGO-Chefin aber auch mehr Tempo gefordert und gesagt, das könnte noch viel schneller gehen. Beides sage ich heute noch genauso wie auch vor einem Jahr. Wir haben eine gute Reise begonnen, aber der Weg geht weiter. Weil Sie nach einer Schulnote gefragt haben: Ich würde mir eine Zwei geben.

STANDARD: Was wäre für einen Einser notwendig gewesen?

Gewessler: Es war ein außergewöhnliches Jahr, dadurch sind einige Aufgaben dazu gekommen. Wir hatten eine Pandemie zu bewältigen, die auch unsere Arbeit im Ministerium betroffen hat. Wir mussten etwa Konjunkturpakete gestalten und das, ohne die Fehler der Vergangenheit zu wiederholen.

Gewessler hält das Klimabudget für "außergewöhnlich".
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STANDARD: Seit Corona ist ein ausgeglichenes Budget kein Thema mehr. Ist da die Klimamilliarde im Vergleich nicht zu wenig?

Gewessler: Wir haben im Jahr der Pandemie das größte Klimaschutzbudget verabschiedet, das Österreich je gesehen hat. Heuer gibt es ein noch größeres Budget, den größten Bahnausbauplan und so viel Geld wie nie in der erneuerbaren Energie. Wenn man das zusammenzählt, haben wir mehrere Klimamilliarden, nicht nur eine. Das ist außergewöhnlich.

STANDARD: Sechs Punkte der Ökosteuerreform waren für 2020 geplant, nur rund die Hälfte wurde umgesetzt. Die Ökologisierung des Dienstwagenprivilegs und der Lkw-Maut fehlt, und vom Kampf gegen den Tanktourismus ist wenig zu sehen. Warum wurde nicht mehr umgesetzt?

Gewessler: Wie gesagt, es war ein Ausnahmejahr. Wir haben immer gesagt, wir setzen die Reform schrittweise um, und werden das natürlich bis hin zur CO2-Bepreisung im Jahr 2022 auch machen.

STANDARD: Im Vorjahr sagten Sie, Sie wollen "tabulos" über die Abschaffung des Dieselprivilegs diskutieren. Ist das passiert?

Gewessler: Für die Situation am Brenner ist das Dieselprivileg einer der Magneten. Wir haben dort mehr Transitquerungen als auf allen Alpenstraßen zusammen. Da haben wir einen Handlungsauftrag für die Menschen vor Ort. Es ist klar, dass, wenn wir über Maßnahmen gegen den Tanktourismus und über die CO2-Bepreisung reden, das Dieselprivileg Thema ist.

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"Für die Situation am Brenner ist das Dieselprivileg einer der Magneten", meint die Klimaschutzministerin.
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STANDARD: Wird das Dieselprivileg also mit der Steuerreform bis 2022 abgeschafft?

Gewessler: Wir werden das in das Gesamtkonzept der CO2-Bepreisung einbetten. Diese wird fossiler Energie einen gerechten Preis geben und klimafreundliches Verhalten begünstigen.

STANDARD: Können Sie skizzieren, in welche Richtung das CO2-Preis-Modell gehen wird?

Gewessler: Es gibt gute internationale Beispiele, wie Schweden. Ich bin dazu auch im Austausch mit der deutschen Umweltministerin über die Einführung des neuen Systems in Deutschland. Das werden wir uns im Frühjahr genau anschauen und in die Umsetzung für ein Modell kommen, das für Österreich ökologisch und sozial passt.

STANDARD: Welches Modell bevorzugen Sie?

Gewessler: Es gibt gute Inputs vom Wirtschaftsforschungsinstitut oder von NGOs. Ich habe noch kein Lieblingsmodell. Wir werden uns anschauen, wie wir mit den regionalen Unterschieden in sterreich umgehen und wie wir eine Entlastung gut hinbekommen.

STANDARD: Wie hoch soll der CO2-Preis sein?

Gewessler: Internationale Modelle zeigen, dass es einen Einstiegspreis und eine Perspektive braucht. Das ist enorm wichtig. Den Steigerungspfad müssen wir gut gestalten, damit die Wirtschaft Planungssicherheit hat.

STANDARD: Das Energie-Effizienz-Gesetz lief mit Jahresende ersatzlos aus, die Novelle des Klimaschutzgesetzes hätte bis Ende Dezember fertig sein sollen. Wo bleibt beides?

Gewessler: Wir sind beim Energie-Effizienz-Gesetz in der finalen Ausarbeitung, die Novelle kommt heuer. Wir haben im Ministerium zuerst eine ausführliche Analyse des alten Gesetzes gemacht und geschaut, wieso das nicht erfolgreich war und was wir besser machen müssen. Beim Klimaschutzgesetz sind wir mit dem hausinternen Entwurf sehr weit fort geschritten. Das Gesetz ist für mich sehr, sehr wichtig. Wir müssen in Österreich die unterschiedlichen Ebenen des Klimaschutzes gemeinsam an einen Tisch bringen und auch die Stimme der Wissenschaft stärken.

STANDARD: Laut Regierungsprogramm hätte auch der nationale Klima- und Energieplan "unmittelbar nachgebessert" werden sollen. Ist das geschehen?

Gewessler: Das ist noch nicht passiert. Wir werden das parallel zu den Arbeiten zum Klimaschutzgesetz mitnehmen. Mir war es jetzt wichtig, Maßnahmen zu setzen, die Emissionen reduzieren. Wir sind auf einer Aufholjagd, Österreich hat sich ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Aber das Ziel ist nur so gut wie die Maßnahmen, die sie umsetzen – und an denen arbeiten wir intensiv.

STANDARD: Nach wie vor fehlt auch die Liste klimaschädlicher Subventionen.

Gewessler: Wir werden im Klimaschutz -Ministerium unsere Arbeiten beschleunigen, damit wir rasch in weiteren Sektoren einen guten Überblick bekommen. Klar ist, dass wir da zusammenarbeiten müssen. Wir haben einen engen Zeitplan, auch bei der Steuer reform. Wir dürfen uns dabei aber nicht nur mit einer Liste beschäftigen, sondern müssen konkrete Maßnahmen in Angriff nehmen, die wir schon identifiziert haben.

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In Österreich fließen derzeit mehrere Milliarden Euro pro Jahr in klimaschädliche Subventionen und Förderungen.
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STANDARD: Wissenschafter sind sich weitgehend einig, dass klimaschädliche Subventionen abgeschafft werden müssen. Wenn deren Identifizierung schon so lange dauert, wie lange wird es brauchen, um sie abzuschaffen?

Gewessler: Es ist klar, dass wir unser Steuersystem umbauen und unser Geld weise investieren müssen. Wir gehen das Schritt für Schritt an, im vergangenen Jahr und auch heuer.

STANDARD: Österreich hätte laut Regierungsprogramm eine Vorreiterrolle bei der Abstimmung der neuen EU-Klimaziele einnehmen müssen, andere Länder sind aber weiter gegangen. Wurde die Vereinbarung im Koalitionsabkommen gebrochen?

Gewessler: Ganz im Gegenteil: Wir haben uns sehr früh, sehr klar gemeinsam mit den Ländern positioniert, die etwas im Klimaschutz weiterbringen wollen. Wir bringen ein Gesetz mit einem CO2-Reduktionsziel auf den Weg, das bis vor einem Jahr undenkbar gewesen wäre. Es reicht aber nicht, wenn alle nur für das Ziel an Bord sind. Es müssen alle auch für die Maßnahmen an Bord sein.

STANDARD: Das sind aber nicht alle: Der Wirtschaftskammer und der Industriellenvereinigung ist das bisherige Ziel schon zu hoch, viele heimische Betriebe fordern hingegen noch höhere Ziele. Ist bei den Vertretern ein Umdenken nötig?

Gewessler: Wenn wir aus der Corona-Krise eines mitnehmen können, dann, dass es auf einem kranken Planeten keine gesunde Wirtschaft gibt. Das gilt für die Klimakrise umso mehr. Der Wettbewerb der Zukunft wird um grüne Produkte, Dienstleistungen und Produktionsprozesse gehen.

STANDARD: Industrie und Wirtschaft fürchten eine Abwanderung von Produktionsbetrieben. Sie nicht?

Gewessler: Nein. Wir müssen uns rechtzeitig zukunftsfit machen. Das ist ohne Zweifel eine große Herausforderung, und deshalb schauen wir uns an, was an Rahmenbedingungen und Unterstützungen notwendig ist. Wir diskutieren auf europäischer Ebene zum Beispiel über einen CO2-Grenzausgleich. Wir wollen, dass die Industrie sich wandelt, dass Produktionsprozesse emissionsfrei werden.

Bis 2030 sollen die Emissionen EU-weit um mindestens 55 Prozent gesenkt werden.
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STANDARD: Die EU hat sich auf ein neues Klimaziel geeinigt. Was heißt das für Österreich?

Gewessler: Was das rechtlich verbindliche Ziel auf EU-Ebene sein wird, ist noch Gegenstand von Verhandlungen. Angesichts von Klimaneutralität 2040 sagt uns die Wissenschaft klar, dass wir jedenfalls bei minus 50 Prozent landen müssen.

STANDARD: Aus dem Plastikpfand wurde nichts, obwohl dieses groß angekündigt wurde. Hat sich die Wirtschaft hier durchgesetzt?

Gewessler: Ich habe immer gesagt, wir arbeiten bis Ende 2020 ein konkretes Modell aus. Das werden wir zu Jahresbeginn vorstellen.

STANDARD: Kommt ein Pfand noch 2021?

Gewessler: Jedes Modell braucht eine Umsetzungsphase, bis es implementiert werden kann. Beispiele aus dem Ausland haben gezeigt, dass das im Normalfall ein bis eineinhalb Jahre dauert.

STANDARD: Sie haben das Klimavolksbegehren unterzeichnet. Darin wird ein Klimarechnungshof gefordert. Ist so etwas geplant?

Gewessler: Den Vorschlag finde ich sehr spannend. Das Umweltbundesamt macht aktuell die Bilanz und gibt Empfehlungen; die laufende Interaktion und weisungsfreie Beratung eines Rechnungshofes haben wir im Klimaschutz aktuell noch nicht.

STANDARD: Es ist zu hören, dass die ÖVP beim Klimaschutz immer wieder blockiert. Gibt es für die Grünen eine rote Linie in der Koalition – etwa beim CO2-Preis?

Gewessler: Wir haben uns viel vorgenommen und haben im ersten Jahr viel geliefert – vom Budget bis zu den Konjunkturprogrammen. Das erste Jahr gab keinen Grund, daran zu zweifeln, dass es nicht so weiter gehen würde. Wir arbeiten gemeinsam das Regierungsprogramm ab, und dazu gehört auch der CO2-Preis. 2021 wird sicher ein Klimaschutzjahr. (Nora Laufer, 1.1.2021)