Die Meldung, die am 1. Jänner 2020 um 17.48 auf derStandard.at online ging, verhieß nichts Gutes: "Lungenkrankheit in China ausgebrochen, Regierung dementiert Sars-Gerüchte". Wie schlimm es tatsächlich werden sollte, konnte damals natürlich noch niemand ahnen, auch nicht die STANDARD-Leser: Warum wird über so etwas Lächerliches überhaupt berichtet?", lautete einer der Kommentare, der eher nicht in Würde alterte. Ein anderer Kommentar traf es aus heutiger Sicht besser, auch wenn das Posting ironisch gemeint gewesen sein dürfte: "Da kriegst echt Panik!"

In dem überarbeiteten Agenturbericht wurde der Verdacht geäußert, dass es sich um einen neuen Ausbruch des Schweren Akuten Respiratorischen Syndroms (Sars) handeln könnte. Viele der neuen Infektionen wurden in der Meldung mit dem Besuch des Huanan-Fischmarktes von Wuhan in Verbindung gebracht, der an diesem 1. Jänner auch prompt geschlossen wurde.

Rasche Sequenzierung

Dann war im Westen einige Tage lang Sendepause. Am 8. Jänner 2020 kamen dann neue Informationen, die rund um den Globus die Alarmglocken schrillen ließen: Das "Wall Street Journal" berichtete, dass ein neues Coronavirus die Quelle für den Ausbruch der Krankheit sei.Am 10. Jänner 2020 wurde dann auf der Seite virological.org die genetische Sequenz jenes Virus veröffentlicht, das wir heute als Sars-CoV-2 kennen.

Bereits drei Tage später hatte die US-Pharmafirma Moderna die Formel für ihren Impfstoff fertig, der kommende Woche in der EU zugelassen werden dürfte. Und Christian Drosten hatte ebenfalls bald nach Veröffentlichung der Genomsequenz seinen Test auf das Virus entwickelt, der viele Leben retten sollte.

CoV-2-Nadel im Virus-Heuhaufen

Aber das sind andere Geschichten. Hier soll es noch einmal um andere Fragen gehen: Wie und wann war dieses neue Coronavirus auf den Menschen übergesprungen? Und wo geschah diese fatale Übertragung, die zu schwersten Pandemie seit der Spanischen Grippe vor hundert Jahren führte?

Auch wenn im Jahr 2020 rund 250.000 (mehr oder weniger) wissenschaftliche Publikationen jede Menge über das neue Coronavirus herausfanden, so gibt dessen Ursprung weiterhin zahlreiche Rätsel auf. Aus diesem Grund wird die WHO vermutlich noch im Jänner eine internationale Fachdelegation nach China schicken, um sich auf die Suche nach der Sars-CoV-2-Nadel im Viren-Heuhaufen zu machen.

Die Mission ist nicht nur schwierig, sondern auch politisch delikat: Denn das offizielle China hat zuletzt wieder verstärkt versucht, den Ursprung des Virus außer Landes zu verlagern. Zum einen verwies man darauf, dass Sars-CoV-2 nachträglich bereits im November 2019 bei einem Buben in Italien diagnostiziert wurde. Zum anderen fand sich das Virus in China ein Jahr später auf importierter Tiefkühlkost aus Deutschland. Also streute man in Staatsmedien die Behauptung, dass Sars-CoV-2 auf diese Weise im Herbst 2019 ins Land der Mitte gelangt sein könnte.

Hufeisennasen auf Viruswirte

Das gilt aber als höchst unwahrscheinlich, auch wenn das Fachblatt "Nature" Ende November darüber berichtete, dass Forscher in Japan und in Kambodscha Verwandte von Sars-CoV-2 in alten Blut- und Kotproben von Fledertieren gefunden haben. In beiden Fällen waren sogenannte Hufeisennasen – eine Fledertiergattung mit charakteristischer Nasenform – die Träger der beiden Virusvarianten. Doch das bestätigt eher nur die Vermutungen, dass eine chinesische Fledertierart die Quelle von Sars-CoV-2 gewesen sein dürfte.

Was gegen einen Import etwa aus Japan oder Kambodscha spricht: Das japanische Virus, vom dem "Nature" berichtete, zeigt eine genetische Übereinstimmung von nur 81 Prozent mit den 30.000 Basenpaaren von Sars-CoV-2. (Die kambodschanische Variante ist noch nicht vollständig sequenziert.) In der südchinesischen Provinz Yunnan wurde hingegen bereits 2013 in Java-Hufeisennasen ein Coronavirus namens RaTG13 entdeckt, dass zu 96 Prozent mit dem Genom von Sars-CoV-2 übereinstimmt. Bruchstücke von RaTG13 fanden sich 2016 auch bei erkrankten und verstorbenen Minenarbeitern in Yunnan.

Dass die Pandemie mit ziemlicher Sicherheit in China begann, legt auch ein Artikel nahe, der bereits im Februar 2019 im Fachblatt "Virology" erschien. Die Autoren des Texts, der Coronaviren in Fledermäusen zum Thema hatte, meinten darin prophetisch, "dass Interaktionen zwischen Fledermäusen und Tieren sowie zwischen Fledermäusen und Menschen – wie z. B. das Vorhandensein von lebenden Fledermäusen auf Märkten und in Restaurants in Südchina – zu verheerenden globalen Ausbrüchen führen können". Faktum ist jedenfalls, dass in (Süd-)China Fledermäuse zumindest bis vor kurzem von Menschen verspeist wurden.

Zwei plausible Szenarien

96 Prozent Genom-Übereinstimmung sind freilich nicht 100 Prozent, und RaTG13 zeigt zudem im Vergleich zu Sars-CoV-2 die größten Unterschiede im Spike-Protein, mit dem dieses Virus in menschliche Zellen eindringt. Für die restlichen vier Prozent könnte das Schuppentier eine wichtige Rolle gespielt haben. Denn in dieser Säugetierart wurde mit Pan-SL-CoV/GD ein Coronavirus entdeckt, dessen Stacheleiweiß mit dem von Sars-CoV-2 fast identisch ist.

Das Schuppentier (hier die indische Variante) könnte einen Beitrag zu Sars-CoV-2 geleistet haben.
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Das lässt im Moment zwei Szenarien plausibel erscheinen: Sars-CoV-2 könnte entweder aus einer Verschmelzung oder genauer: Rekombination der Coronaviren von Hufeisennase und Schuppentier entstanden sein. Oder ein Schuppentier-Coronavirus mutierte in den letzten gut 100 Jahren in Hufeisennasen zu Sars-CoV-2.

Damit ist aber nach wie vor nicht beantwortet, ob das Virus direkt vom Fleder- oder Schuppentier auf den Menschen übersprang – oder ob das über einen Zwischenwirt geschah. Ein solcher Überträger könnten beispielsweise ein Marderhund gewesen sein, wie Christian Drosten vermutete. Bereits Sars-CoV-1, der Auslöser der Sars-Infektion von 2002/03, wurde nämlich in diesen Tieren gefunden, die zu den Füchsen zählen und die man wegen ihres Fells in China züchtet. Zudem zeigte sich etwa auch in Nerzfarmen in Dänemark, dass sich Sars-CoV-2 unter solchen Tieren rasch ausbreitet und das Virus dort auch mutiert.

Bedeutung der WHO-Recherchemission

Der deutsche Virologe gab schon im Frühjahr den Tipp, dass Recherchen in chinesischen Marderhundfarmen womöglich zum Ziel führen könnten. Ob sich das Expertenteam der WHO daran halten wird, ist unklar, denn Drosten ist nicht mit dabei. Er hatte die WHO-Ausschreibung der Recherchemission leider übersehen, wie er etwas zerknirscht eingestand.

Ob mit oder ohne Drosten: Dem hochkarätig besetzten Expertentrupp kommt große Bedeutung zu. Denn je mehr wir wissen, wie genau Sars-CoV-2 nun wirklich in die (Menschen-)Welt kam, desto eher lassen sich Vorkehrungen für ähnliche Übertragungen eines tierischen Virus auf den Menschen verhindern – egal, ob dieser nun Sars-CoV-3 oder ganz anders heißen wird. (Klaus Taschwer, 2.1.2021)