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Mancherorts ist die Pandemie offenbar aus den Augen, aus dem Sinn. Sie hat in der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt allerdings die Einkommensungleichheit verschärft.
Foto: Reuters

Der Weihnachtskitsch hat in den großen chinesischen Metropolen längst Einzug gehalten. Anfang Dezember ist die Nanjing Lu in Schanghai, eine der größten Einkaufsstraßen der 23-Millionen-Einwohner-Stadt, mit beleuchteten Bäumen und Weihnachtsschmuck behängt.

In den gigantischen Shoppingmalls dudeln dieselben nervtötenden Schlager (Jingle Bells, Rudolph the Rednosed Reindeer) wie im Westen. Nur christliche Symbolik hat keinen Platz, schließlich ist man Volksrepublik. Viele Chinesen haben eine pittoreske Bewunderung für die Art und Weise, wie man im Westen das Jahr beschließt. Über Folklore aber geht das normalerweise nicht hinaus. Die Weihnachtsdekoration mag allenfalls einen kleinen Extra-Shoppinganreiz bieten.

Angst vor zweiter Welle

Das ist auch dieses Jahr nicht anders. Zwar wächst die Angst vor einer zweiten Welle; gerade erst hat man in Peking eine strikte Ausgangssperre über mehrere Viertel verhängt, nachdem es zu ein paar Neuinfektionen gekommen war. Ansonsten aber spürte man in den vergangenen Monaten wenig von einer Pandemie: Die Cafés und Restaurants in der ehemaligen Französischen Konzession in Schanghai sind gut gefüllt. In den kleinen Nudelsuppenläden sitzen die Menschen dicht gedrängt.

Was im Kleinen zu sehen ist, bestätigt sich im Großen: China wächst, nicht zuletzt, weil die Chinesen konsumieren. Zwar ist der Konsum mit 36 Prozent der Wirtschaftsleistung für entwickelte Volkswirtschaften niedrig, aber er wird Jahr für Jahr wichtiger.

Unabhängig vom Export

Während die westlichen Volkswirtschaften die wohl stärkste Rezession seit dem Zweiten Weltkrieg erfahren haben, ist China 2020 rund zwei Prozent gewachsen. Mit bis zu acht Prozent Wirtschaftswachstum rechnen Analysten für 2021. Bis spätestens 2028 dürfte China die USA als größte Volkswirtschaft der Welt überholt haben. Um das Ziel zu erreichen, will sich Peking unabhängiger vom Export machen.

Dass der Binnenkonsum der wichtigste Wachstumstreiber werden soll, ist schon seit Jahren ausgemachtes Ziel der Kader in Peking. Dieses Jahr wurde der Plan allerdings nochmals neu verschlagwortet. "Dual Circulation" heißt das Konzept, mit dem Peking einerseits den Konsum stärken und sich andererseits von der Weltwirtschaft unabhängiger machen will. Zwei Kreisläufe, ein innerer, der weitgehend unabhängig von der globalen Wirtschaft ist, und ein äußerer, in dem Peking Außenhandel betreibt, sollen die chinesische Wirtschaft kennzeichnen.

Konsum ankurbeln

Dafür will Peking den Konsum weiter ankurbeln. Zu einem immer größeren Problem wird dabei allerdings die Ungleichheit im Land. Zwar hat Xi Jinping dieses Jahr stolz verkündet, China sei es – wie geplant – gelungen, die Armut im Land auszurotten. Die Pandemie allerdings hat bestehende Einkommensungleichheiten weiter verschärft. In Wuhan, das sich zwei Monate in einer totalen Ausgangssperre befunden hatte, wurde die Wirtschaft im April zwar mit Konsumgutscheinen wieder angekurbelt. Es sind aber vor allem einfache Leute wie Taxifahrer und Restaurantbesitzer, die von Einkommenseinbußen berichten. Von den rund 100 Millionen Wanderarbeitern tauchen die allerwenigsten in einer Statistik auf.

Auch bei den Autoverkäufen dieses Jahr zeigt sich, dass die Pandemie vor allem die unteren Einkommensschichten getroffen hat. Während es im Premiumsegment ein deutliches Plus gibt, liegt das Minus bei günstigeren Pkws bei bis zu 35 Prozent.

Sinkende Einkommen

"Daran sieht man, dass die Stimuluspakete vor allem den oberen Einkommensschichten zugutekommen", sagt Jochen Siebert von der Unternehmensberatung JSC aus Schanghai und Singapur. "In der Mittelschicht und darunter aber sind die verfügbaren Einkommen durch die Pandemie gesunken, oder zumindest die Lohnzuwächse."

Wie robust die Chinesen trotz der Pandemie konsumieren, wird sich erst im Februar zeigen. Am 12. Februar beginnt das Jahr des Büffels. Neben der Goldenen Woche im Oktober ist dies traditionell die Hauptreisezeit der Chinesen. Die sieben Tage gelten als die größte Wanderbewegung auf dem Planeten: Rund 800 Millionen Menschen machen sich mit Geschenken bepackt auf, ihre Familie zu besuchen. Anschließend steht das Land für einige Tage komplett still.

Sollte das Land anschließend nicht von einer zweiten Corona-Welle heimgesucht werden, stehen die Chancen gut, dass die Chinesen 2021 mehr denn je kaufen werden. Der Büffel steht immerhin für Fleiß und Ausdauer. (Philipp Mattheis, 2.1.2021)