Die Regierung gibt den Abgeordneten zu wenig Möglichkeiten, im Gesetzgebungsverfahren konstruktiv oder auch kritisch mitzuwirken

Foto: Matthias Cremer

Das hat gerade noch gefehlt: Am Wochenende war es über Stunden nicht möglich, Stellungnahmen zur neuesten Novelle des Epidemiegesetzes auf der Parlamentshomepage abzurufen oder eine eigene Stellungnahme abzugeben. Das wäre normalerweise keiner Erwähnung wert, wenn es der türkis-grünen Koalition nicht gefallen hätte, ihren Gesetzesentwurf am weitgehend arbeitsfreien 31. Dezember auszuschicken und die Frist für Stellungnahmen mit Sonntag, dem 3. Jänner, festzusetzen.

Was Stellungnahmen de facto unmöglich macht und Wasser auf die Mühlen der Oppositionsparteien ist, die der Regierung eine demokratiegefährdende Verachtung der eigentlich gesetzgebenden Körperschaft vorwirft.

Langsame Gesetzesmaschinerie

Zehn Monate Umgang mit der Pandemie und deren Folgen haben die Regierung und die dahinter stehende Bürokratie offenbar nicht klüger gemacht. Man erwägt Maßnahmen, die in öffentlichen Erklärungen mit hübschen Bezeichnungen wie "Freitesten" versehen werden, braucht aber Tage und Wochen, um diesen politischen Willen in Paragraphen zu gießen. Wenn man dann doch so weit ist, kommen diese Texte unvollständig (wesentliche Inhalte werden ohnehin erst im Verordnungsweg kundgemacht) in die politische Arena.

Man könnte unterstellen, dass es die Regierung auf eine gezielte Provokation angelegt hat – wenn die Oppositionsparteien sich diesen Umgang nicht gefallen lassen und die Gesetzwerdung gar im Bundesrat verhindern, dann bleibt es eben an SPÖ, FPÖ und Neos hängen, dass das mit dem Freitesten nicht hinhaut.: Die freundliche Regierung hätte es ja so gut mit den Leuten gemeint, aber die "böse" Opposition hat nicht gewollt.

Erfahrung muss zugänglich sein

Vielleicht ist es aber auch nur schlichte Überforderung des Apparats: Es ist zugegebenermaßen keine Kleinigkeit, Gesetze so zu formulieren, dass sie alle politisch gewünschten, administrativ bewältigbaren und vor den Augen der Verfassungsrichtern haltbaren Maßnahmen enthalten. Verwaltungsjuristen brauchen viele Jahre Erfahrung, um als Legisten sattelfest zu werden. Nur mit solcher Erfahrung kann man dann quasi auf Knopfdruck am 31. Dezember einen Entwurf fertigstellen, dessen Inhalt der Bundeskanzler am späten Vorabend im ORF vorgestellt hat.

Dem könnte die Regierung vorbeugen, indem sie die Legistikabteilungen ihrer Ministerien schon Monate im Voraus alle denkbaren Varianten ausarbeiten lässt. Gute parlamentarische Tradition wäre es, darüber mit der Opposition schon sehr lange vorher Tuchfühlung zu halten, Bedenken aufzunehmen, Zustimmung auch im Bundesrat zu sichern und dann alles ruhig über die Bühne zu bringen.

Ja, das ist mühsam.

Aber es würde Respekt vor dem Parlament bezeugen. Zu diesem Respekt würde auch gehören, dem Parlament selbst ein entsprechend starkes Team von Legistikexperten an die Hand zu geben, das allen politischen Kräften zur Verfügung steht, damit die Abgeordneten ihrer Rolle gerecht werden können, der Regierung auf Augenhöhe entgegenzutreten. Den Rechts-, Legislativ- und Wissenschaftlichen Dienst der Parlamentsdirektion entsprechend zu stärken, wäre ein wesentliches Zeichen, dass Österreich die parlamentarische Demokratie ernst nimmt.

Sonst kommt die Regierung vielleicht auf den Geschmack und macht auch nach der Corona-Krise mit dem Durchregieren am Parlament vorbei weiter. (Conrad Seidl, 3.1.2020)