Asylsuchende sind meist dem Krieg oder anderen unmenschlichen Umständen entkommen. Kompetente Rechtsberatung soll ihnen helfen, den Schutz zu erhalten, den sie brauchen.

Foto: corn

Wien – Stephan Klammer hat er den wohl umstrittensten Job im österreichischen Flüchtlingswesen. Der 35-Jährige ist der Chef der verstaatlichten Asylrechtsberatung in der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU). Damit soll er innerhalb des behördlichen Systems umsetzen, was er bisher für NGOs wie die Deserteursberatung und die Diakonie tat. Die Absicherungen, damit das gelingen kann, seien stark genug, sagt er.

STANDARD: Sie waren jahrelang Leiter der Asylrechtsberatung der Diakonie und damit Teil der Arge Rechtsberatung der NGOs, die diese Aufgabe vom Justiz- und Innenministerium überantwortet bekommen hatte. Die Arge hat sich vehement gegen die Verstaatlichung dieser Rechtsberatung gewehrt. Jetzt sind Sie der Leiter der verstaatlichten BBU-Beratung. Was hat Sie dazu bewogen?

Klammer: Als die gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Asylrechtsberatung der BBU geschaffen wurden, hat Justizministerin Alma Zadić gleichzeitig sehr glaubhaft vermittelt, dass sie auch in Zukunft eine qualitätsvolle Rechtsberatung anbieten will. Daran wollte ich mit meinem bisherigen Wissen und mit meinen Erfahrungen teilnehmen.

STANDARD: Der Plan, die Asylrechtsberatung zu verstaatlichen, stammt aus der Zeit von Türkis-Blau. Der damalige Innenminister Herbert Kickl wetterte gegen die sogenannte Asylindustrie und meinte, Asylsuchende müssten auf ihre oft schlechten Aussichten, Asyl zu bekommen, unmissverständlich hingewiesen werden. Ist von dieser ursprünglichen Absicht etwas übrig?

Klammer: In meiner täglichen Arbeit sehe ich da nichts. Die Asylrechtsberatung wurde in der Öffentlichkeit bisher aber zum Teil verklärt. Es war schon vor der BBU Teil des gesetzlichen Auftrags, eine Perspektivenabklärung durchzuführen, also den Klientinnen und Klienten zu sagen, wie man ihren Asylverfahrensausgang realistisch einschätzt. Ziel ist, ihnen ihre rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen – und, wenn jemand eine Rechtsvertretung wünscht, diese durchzuführen.

STANDARD: So, wie es eine NGO sowie ein Anwalt oder eine Anwältin täten?

Klammer: Mit den gleichen Sorgfaltspflichten.

STANDARD: Den Vertretern beschleunigter Abschiebungen waren die Schubhaftbeschwerden durch Arge-Rechtsvertreter ein besonderer Dorn im Auge. Diese waren oft von Erfolg gekrönt. Wie werden die BBU-Rechtsberaterinnen und -Rechtsberater hier vorgehen?

Klammer: Auch sie können und werden Schubhaftbeschwerden einlegen. Sie suchen die Klientinnen und Klienten in den Polizeianhaltezentren auf, führen die Perspektivenabklärung durch und bieten Rechtsvertretung an. Falls ein Klient oder eine Klientin es wünscht, machen sie eine Schubhaftbeschwerde.

Bei den mit Flüchtlingsrechtsberatung beschäftigten NGOs gilt Stephan Klammer als der in Österreich "zweifellos bestqualifizierte Experte".
Foto: feelimage/Mattern

STANDARD: Wie gut ist die Unabhängigkeit Ihrer Arbeit und jener der Beraterinnen und Berater insgesamt abgesichert?

Klammer: Ich bin für den Geschäftsbereich der Rechtsberatung in der ersten und der zweiten Instanz des Asylverfahrens zuständig. Eine meiner zentralen Aufgaben ist die Fachaufsicht über die Rechtsberaterinnen und -berater. Die liegt allein bei mir, es gibt keinen Durchgriff der BBU-Geschäftsführung, die hier nur die Dienstaufsicht hat.

STANDARD: Fachaufsicht, Dienstaufsicht – was ist der Unterschied?

Klammer: Inhaltliche Dinge, also wie eine Rechtsberatung ausgestaltet wird, sind allein Sache der Fachaufsicht – also von mir. Die Rechtsberaterinnen und -berater sind außerdem laut BBU-Gesetz weisungsfrei und unabhängig. Auch ich darf ihnen im Rahmen meiner Fachaufsicht keine Weisungen erteilen. Die Dienstaufsicht wiederum umfasst alle Rahmenbedingungen – Zeitaufzeichnungen etwa oder den wirtschaftlichen Rahmen. Gibt es Unklarheiten, ob etwas Sache der Dienst- oder der Fachaufsicht ist, kann der BBU-Aufsichtsrat damit befasst werden.

STANDARD: Kann diese Weisungsfreiheit in der Praxis überhaupt funktionieren? Immerhin ist die BBU eine Agentur im Eigentum des Staates, der je nach Regierungskonstellation eigene asylpolitische Interessen verfolgt. Zudem wurde die Rahmenvereinbarung zwischen Innen- und Justizministerium und der BBU GmbH nicht veröffentlicht. Die Asylkoordination kritisiert, das sei intransparent. Ist es das?

Klammer: Ob die Rahmenvereinbarung der Amtsverschwiegenheit unterliegt, ist eine politische Frage. Dazu kann ich mich nicht äußern. Zur Weisungsfreiheit wiederum gibt es eine sehr detaillierte Anfragebeantwortung des Justizministeriums vom 21. Dezember 2020, in der die Grundzüge dargelegt werden. Etwa die erwähnte Trennung von Dienst- und Fachaufsicht sowie die Verschwiegenheitspflicht der Rechtsberaterinnen und -berater innerhalb der BBU.

STANDARD: Wie weit gilt dieser Schweigeauftrag – auch gegenüber Ministerien oder Minister- oder Ministerinnenbüros?

Klammer: Ja. Alle Informationen zur Rechtsberatung müssen in der Rechtsberatung bleiben.

STANDARD: Der BBU untersteht auch die Unterbringung der Asylsuchenden in den Bundesquartieren. Hier kam die Befürchtung auf, dass das, sowie die staatlich organisierte Rechtsberatung, die Asylwerber aus der Öffentlichkeit quasi verschwinden lassen werde. Sehen Sie ein solches Risiko?

Klammer: Aus Rechtsberatungsperspektive nicht. Der Großteil unserer Klientinnen und Klienten befindet sich im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht. Sie leben in Landesgrundversorgung und nicht in BBU-Quartieren. Das sind rund 16.000 Verfahren – der oft beschworene "Rucksack" an Altfällen. Jeder dieser Asylwerber hat das Recht, von uns vertreten zu werden, wenn er oder sie das möchte.

STANDARD: Türkis-Blau wollte, dass die BBU Ersparnisse bringt. Steht jetzt, unter Türkis-Grün, für die Rechtsberatung genug Geld zur Verfügung?

Klammer: Ich bin ich zuversichtlich, dass wir die Mittel bekommen werden, die wir für eine Arbeit entsprechend unseren gesetzlichen Verpflichtungen brauchen. In einer Anfragebeantwortung an die SPÖ hat Ministerin Zadić zuletzt außerdem eine direkte Verrechnung angekündigt.

STANDARD: Nicht alle trauen der neuen BBU-Asylrechtsberatung. Ihr früherer Arbeitgeber, die Diakonie, hat zusammen mit der Volkshilfe und anderen NGOs angekündigt, parallel zur BBU eine eigene Rechtsberatung für Asylwerber anzubieten. Stört Sie das?

Klammer: Nein, gar nicht. Nach meinem Verständnis soll die staatliche Rechtsberatung allen Asylwerbern zur Verfügung stehen, die keine andere Vertretung haben oder wollen. Das ist mein Verständnis. Das schließt nicht aus, dass Organisationen, die Zweifel an der Unabhängigkeit der BBU-Rechtsberatung haben, auch ein solches Angebot machen. (Irene Brickner, 4.1.2021)