Bis zum geplanten Abriss im Frühjahr beherbergt dieses Innsbrucker Einfamilienhaus drei Künstlerateliers.

Foto: Dear Udo

In einer Ecke lehnen Alphörner aus Sanitätsrohren, ein Stockwerk höher heult eine Wölfin die vergilbte Schlafzimmertapete an, auf dem Boden und auf langen Arbeitstischen stapeln sich weitere Performance-Requisiten. Außerdem Zeichnungen, Fotografien, Farben und Pinsel.

Dass hier kreativ gearbeitet wird, dürfen auch die Nachbarn mitbekommen, weshalb das Designstudio "Dear Udo" das Innere des Hauses nach außen gestülpt und neben dem Grundriss auch den Hinweis "occupied by artists" an die Fassade gepinselt hat.

Das klingt freilich subversiver, als es ist, denn es geschieht in Einvernehmen mit der Eigentümerin BZW Wohnbau GmbH, die das in den 1960ern erbaute Einfamilienhaus im Frühjahr schleifen und eine Wohnanlage errichten wird.

Schauplatz ist der Innsbrucker Stadtteil Hötting, seiner sonnenbegünstigten Lage wegen eines der beliebtesten und teuersten Wohngebiete der Landeshauptstadt. Für Künstler folgerichtig nicht die erste Adresse auf der Suche nach leistbaren Ateliers, die sowieso Mangelware sind.

Monate kostenfrei

"Etwas zu finden ist schwierig bis unmöglich, da die Preise so verrückt sind", sagen Kata Hinterlechner und Bosko Gastager, die das Kunstkollektiv Experimental Setup bilden. Umso willkommener war die Möglichkeit, sich für ein paar Monate kostenfrei in dem für die Zwischennutzung adaptierten Abrisshaus in Hötting einzurichten. Zumal damit ein Kunst-am-Bau-Wettbewerb für den Neubau zusammenhängt, den die BZW mit Unterstützung der Tiroler Künstlerschaft ausgeschrieben hat. Die drei Finalisten – darunter auch Andrea Lüth und Matthias Krinzinger – sollen ihre Vorschläge vor Ort entwickeln, für die Realisierung stehen 13.000 Euro bereit.

Temporäre Nutzung

"Wir wollen nicht nur einen Wohnbau hinstellen, sondern einen Mehrwert schaffen", so die BZW-Geschäftsführer Dominic Bassetti und Wolfgang Zobl. Man wolle zeigen, dass die temporäre Nutzung von Leerstand möglich ist. So kommt in Innsbruck ein Thema an, das anderswo längst größere Dimensionen angenommen hat.

Man nehme die ehemaligen Stallungen der Trabrennbahn Krieau im zweiten Wiener Gemeindebezirk, in die vor ein paar Jahren Kreative eingezogen sind, bevor die ersten Hochhäuser des "Viertel Zwei" aus dem Boden wuchsen. Erst im August vorgestellt wurde das Projekt "Garage Grande" in Ottakring: Drei Jahre lang soll das Ex-Parkhaus als Grätzeltreffpunkt und Labor für Stadtbegrünung dienen, bevor Ulreich Bauträger hier ab 2022 einen Wohnbau errichtet.

Komplex und spannend

Bei Immobilien-, aber auch Stadtentwicklern gilt Zwischennutzung als Zauberwort. Denn mithilfe von Kreativen kann die Attraktivität ganzer Stadtviertel gesteigert werden. Die temporären Nutzer haben auch etwas davon, nämlich leistbare Räumlichkeiten, wo sonst zum Teil gähnende Leere herrschen würde. Trotzdem ist das Thema für die Wiener Stadtsoziologin Katharina Hammer ein "komplexes Spannungsfeld": Denn gerade in Wien lasse sich beobachten, dass "das Grundproblem für kleinere Kulturinitiativen durch Zwischennutzungsprojekte nicht gelöst wird".

Oftmals werde es viel eher verschärft, weil "in den meisten Fällen nur ein kurzfristiges Interesse dahintersteht". Soll heißen: Sind die Preise erst einmal gestiegen, "kommen die Kleinen nirgends mehr unter". Dass Zwischennutzungsprojekte gern als reine "Win-win-Situation" betrachtet werden, kritisiert auch Alisa Beck.

Eng für freie Szene

Dass es für die freie Szene auf lange Sicht eng wird, wenn Immobilienentwickler Stadtviertel ins Visier nehmen, erfuhr sie einst als Mitglied des Wiener Kunst- und Kulturraums Moë. Man kämpfte öffentlich, letztlich aber vergeblich gegen die Delogierung aus den Räumlichkeiten der ehemaligen Mandelbaum-Fabrik in Hernals. Die geplanten Luxuslofts seien dort zwar bis heute nicht entstanden, die seitherige Wertsteigerung der Immobilie aber enorm, sagt Beck.

In Innsbruck-Hötting, wo der Quadratmeterpreis für Neubauwohnungen bei rund 6000 Euro liegt, dürften temporäre Ateliers eher die Ausnahme bleiben. Das Projekt sei zweifellos auch gut fürs Image, sagen Bassetti und Zobl.

Sie betonen aber, dass es ihnen eher darum geht, Möglichkeiten im Bereich der Leerstandsnutzung aufzuzeigen. Bosko Gastager sieht in den Hausherren jedenfalls mögliche "Game-Changer": Bauträger, so der Künstler, gebe es in Innsbruck "en masse", ein "Commitment" wie dieses sei aber neu und begrüßenswert. (Ivona Jelcic, 4.1.2021)