Die ÖBB-Doppelstockzüge haben schon zu viele Jahre auf dem Buckel. Jetzt werden neue geordert.

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Wien – Im neuen Jahr stehen im ÖBB-Personenverkehr einige wichtige Entscheidungen im Beschaffungswesen an. Denn der geplante Ausbau des öffentlichen Verkehrs braucht entsprechendes Fahrzeugmaterial, zumal ein nicht geringer Teil des Fuhrparks der Staatsbahn längst in die Jahre gekommen ist.

Anfang 2021 ist laut ÖBB der – nicht zuletzt aufgrund des Regierungswechsels vor einem Jahr – mehrfach verschobene Zuschlag für die Erneuerung der Doppelstockflotte geplant. Und diese für den Schnell- und Regionalbahntakt in Niederösterreich und Wien unerlässliche Anschaffung von Doppelstock-Elektrotriebzügen könnte einige Überraschungen bringen. Denn der Haus- und Hoflieferant der ÖBB ist dem Vernehmen nach nicht mit von der Partie.

Ersatz für Wieselzüge

Siemens hatte die vor mehr als zwei Jahrzehnten als "Wieselzüge" eingeführten Doppelstock-Elektrotriebfahrzeuge produziert, ist nun bei dem auf bis zu zwei Milliarden Euro taxierten Rahmenvertrag über vier bis sechs vierteilige Züge (für die Flughafenschnellbahn Cat) und sechsteiligen Zuggarnituren (für Wien und Niederösterreich) aber überraschend nicht dabei. Aus Platzgründen, wie es heißt. Das Lastenheft der ÖBB sei klar auf Nutzfläche und Zahl der Sitzplätze abgestellt, da hätte der deutsche Elektromulti aufgrund der Bauweise seines "Dosto", wie Doppelstockzüge in der Branche heißen, keine guten Karten.

Letzteres gilt auch für Bombardier, allerdings aus völlig anderen Gründen. Die Kanadier kämpfen, wie berichtet, noch immer mit Zulassungsschwierigkeiten bei den Talent-Schnellbahngarnituren für Tirol und Vorarlberg, die bereits eineinhalb Jahre Verspätung haben. Allein diese Verspätung von eineinhalb Jahren spreche gegen einen Zuschlag an Bombardier, heißt es in der Branche.

Eidgenossen gut im Rennen

All das befeuert Überraschungsvarianten. Beste Chancen, beim Dosto zum Zug zu kommen, werden erstmals in der Geschichte der ÖBB dem schweizerischen Zugausrüster Stadler Rail eingeräumt. In die engere Wahl der ÖBB-Techniker schaffte es dem Vernehmen nach auch der japanische Hersteller Hitachi, was ebenfalls eine Premiere wäre.

Bekommt Stadler den Zuschlag, hätten ÖBB und Westbahn Wagenmaterial aus demselben Stall. Das brächte bei der ÖBB sogar Synergien, denn die Werkstättentochter ÖBB-Technische Services ist diesbezüglich bereits mit der Westbahn im Geschäft, sie serviciert die "Kiss"-Züge des privaten Konkurrenten in einem eigens gegründeten Joint Venture mit ausreichend Dacharbeitsbühnen für die Wartung in der Nacht.

Stadler war 2017 von Bombardier ausgestochen worden. Damals ging es um einen umfangreichen Rahmenvertrag für bis zu 300 Elektrotriebzüge, bevorzugt für den Einsatz in Vorarlberg und Tirol. Tatsächlich abgerufen wurden bis dato 21 Triebzüge des Typs Talent 3 für den Einsatz in Vorarlberg und 25 Elektrotriebwagen für den Personennahverkehr in Tirol. Teils fahren die Garnituren auch, allerdings nur mit einer bis Jahresende eingeschränkten Zulassung.

Nach einjähriger Verspätung wurde auch noch die Frist für eine unbefristete Zulassung durch die Eisenbahnbehörde im Verkehrsministerium Ende Oktober verpasst. Nun ist die europäische Eisenbahnbehörde Era am Zug. Sie brauche Minimum fünf Monate für derart komplexe Genehmigungen, aber nur, sofern alle Dokumente vorliegen, sagen Insider.

Eilige Ausschreibung

Genau hier kommt wieder Siemens ins Spiel, und zwar quasi mit einem Eilzug. Denn Anfang Dezember hat die ÖBB kurzfristig bis zu hundert Elektrotriebzüge ausgeschrieben.

Der Liefertermin legt einen Maßanzug nahe, denn binnen zwölf Monaten kann nur ein Hersteller liefern, der bereits im Geschäft ist mit der Bahn. Das ist beim Siemens-Modell Desiro zweifellos der Fall, diese Schnellbahngarnituren sind in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg längst unterwegs. Sicher sei gar nichts, kein Hersteller stehe fest, heißt es bei der ÖBB. Diese Ausschreibung sei quasi eine Vorsichtsmaßnahme, um sicher zu gehen, dass man nicht ohne Triebzüge dastehe, falls es mit der Zulassung der Era für die Bombardier-Züge doch nicht klappe.

Heißt auf gut Deutsch: Bekommt der verspätete Talent 3 im ersten Quartal 2021 endlich die ersehnte Zulassung der Era bescheinigt, dürfte die ÖBB wie geplant aus dem Bombardier-Rahmenvertrag abrufen. Geht der Plan nicht auf, muss der kanadische Hersteller, der mit der französischen Alstom gerade eine Bahnallianz schmiedet, mit Pönaleforderungen rechnen.

Bahnmarkt im Umbruch

Ironie am Rande: Das Werk im brandenburgischen Hennigsdorf, in dem der Talent produziert wird, dürfte diesfalls nicht mehr lange zu Bombardier gehören. Um EU-Auflagen für die Fusion mit Alstom zu erfüllen, sind die Kanadier bereit, den Standort abzugeben. Als Kaufinteressent gilt ausgerechnet Stadler Rail aus der Schweiz.

Es könnte sich also ergeben, dass Stadler Rail letztlich beide Großaufträge der ÖBB einfährt: die Doppelstockwagen und die Ersatzlieferung für die ausstehenden S-Bahn-Garnituren von Bombardier. (Luise Ungerboeck, 4.1.2021)