Was Beobachter vor Rätsel stellt, ist nicht zuletzt das Timing des Erpressungsversuchs so kurz vor zwei Senatsstichwahlen in Georgia. Immerhin wird diese darüber entscheiden, ob der künftige Präsident Joe Biden seine Agenda im Kongress durchsetzen oder ob ihn die Opposition ausbremsen wird.

Zwar rührt Trump kräftig die Werbetrommel für Kelly Loeffler und David Perdue, die beiden Republikaner, die ihr Mandat in der kleineren der beiden US-Parlamentskammern verteidigen. Doch wenn er Zweifel am korrekten Ablauf des Präsidentschaftsvotums in Georgia sät, könnte dies manche seiner Fans dazu bringen, den jetzt anstehenden Urnengang zu boykottieren.

Trumps letztes Aufbäumen?

Ob es so kommt, ob der Bumerang-Effekt für die Republikaner tatsächlich eintritt, bleibt freilich abzuwarten. Es gibt auch Kommentatoren, die in den beiden Stichwahlen so etwas wie ein letztes Referendum über Trumps vier Jahre im Oval Office sehen. Nach dieser Lesart könnten die Anhänger des Milliardärs erst recht alle Kräfte mobilisieren, um ihrem Idol zu einem letzten Triumph zu verhelfen.

Herausgefordert wird das republikanische Duo von Raphael Warnock (51), einem politisch auf der Linken angesiedelten Geistlichen, und Jon Ossoff, einem 33-Jährigen, der bisher Dokumentarfilme produzierte. Einem größeren Publikum war er bekannt geworden, als er 2017 in einem vormals eher konservativen Wahlkreis in den Vororten von Atlanta um einen Sitz im Repräsentantenhaus antrat. Damals verlor er knapp – drei Jahre später startete er dennoch ins Rennen um den Senat.

Da kein Kandidat beim ursprünglichen Votum am 3. November mindestens die Hälfte der Stimmen erhielt, muss nach den Gesetzen Georgias ein nun zweiter Durchgang entscheiden. Damals lag der Republikaner Perdue knapp zwei Prozentpunkte vor Ossoff – während Warnok in einem bunten Feld aus mehreren Demokraten und Republikanern mit 32,9 Prozent rund sieben Punkte vor Loeffler gelandet war.

Gewinnen diesmal sowohl Warnock als auch Ossoff, kämen die Demokraten im Senat auf 50 Sitze. De facto wäre es eine Mehrheit, denn bei einem Patt würde das Votum der Vizepräsidentin Kamala Harris den Ausschlag geben. In dem Fall könnte die Regierung Biden vieles von dem durchsetzen, was sie sich vorgenommen hat. Das betrifft nicht nur Gesetzesprojekte, sondern auch die Nominierung von Personal. Sowohl Bidens Ministerinnen und Minister als auch mögliche Kandidaten für Gerichtsposten müssen schließlich von einer Mehrheit des Senats bestätigt werden.

Lohn der Kleinarbeit

Noch vor drei, vier Monaten hatte es kaum jemand für möglich gehalten, dass die Partei mit dem Eselswappen tatsächlich beide Senatoren aus Georgia stellen würde. Doch es gab auch nicht viele, die Biden einen Sieg in einem Staat zutrauten, in dem von 1996 bis 2016 im Rennen ums Weiße Haus stets die Republikaner die Nase vorn hatten.

Dass die Serie durchbrochen wurde, lag zum einen an Bewohnern des klassischen Mittelschichtenmilieus im Speckgürtel um Atlanta, die sich Trumps wegen von den Konservativen abwandten – so wie das viele Wählerinnen und Wähler auch in anderen Bundesstaaten in den Suburbs der großen Städte taten.

Es lag aber, und da ist Georgia speziell, auch daran, dass es den Demokraten gelang, ihre Anhänger, insbesondere schwarze Wähler, zu mobilisieren und als Wählerinnen und Wähler zu registrieren.

Warnock hat dafür, wie auch die Aktivistin Stacey Abrams, die nötige Kleinarbeit geleistet. Das "New Georgia Project", eine Zeit lang von ihm geleitet, half rund 400.000 neuen Wählern bei der Registrierung. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die Beteiligung deutlich über dem liegen könnte, was üblich ist bei Stichwahlen, die so kurz nach dem erschöpfenden Marathon einer Präsidentschaftskampagne über die Bühne gehen. Kein Wunder auch, dass Georgia die wohl teuersten Senatswahlkämpfe erlebt, die je in den USA ausgefochten wurden. Über 400 Millionen Dollar wurden allein für Wahlwerbung ausgegeben.

Erinnerungen an MLK

Die ersten Zahlen, die schon bekannt wurden, sind dabei für die Demokraten durchaus ermutigend. Der Prozentanteil schwarzer Wählerinnen und Wähler an den vorab abgegebenen Stimmen liegt etwas höher, als dies noch im November der Fall war. Von 112.000 Personen, die diesmal schon abgestimmt haben, im November dem Votum aber noch ferngeblieben waren, sind 40 Prozent schwarz und 30 Prozent unter 29 Jahre alt – jeweils mehr als es dem Anteil dieser Gruppen in der Gesamtbevölkerung entspricht. Freilich: Die Republikaner gehen meist erst am Wahltag an die Urnen. Und es ist gut möglich, dass sie diesen Vorteil der Demokraten dann wieder wettmachen können.

Die Blicke sind indes vor allem auf Warnock gerichtet. Zieht er in den US-Senat ein, schreibt er Geschichte. Es wäre das erste Mal, dass ein schwarzer Politiker Georgia, eines der Schwergewichte der Südstaaten-Konföderation des amerikanischen Bürgerkriegs, in der Kammer repräsentiert. Hinzu kommt die Symbolik seines bisherigen Amtes: An der Ebenezer Baptist Church, deren Pfarrer er seit 2005 ist, predigte einst Martin Luther King, der legendäre Bürgerrechtler. Loeffler, eine einst eher liberale Geschäftsfrau, die sich mittlerweile massiv Trump angenähert hat, versucht Warnock zu bekämpfen, indem sie sich ihn mit teils grotesken Argumenten in die Nähe Kubas und Venezuelas rückt. (Frank Herrmann aus Washington, 5.1.2021)

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Die Kandidaten der Senatswahl im Überblick:

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Der 71-jährige Republikaner David Perdue setzte in seinem ersten Senatswahlkampf 2014 noch voll auf seine internationalen Erfahrung. Der langjährige Wirtschaftsberater und ehemalige Vizepräsident des Sportartikelriesen Reebok schwenkte aber während seiner Zeit im Senat um und spielt nun die "America First"-Karte, die ihm Präsident Donald Trump ins Deck gemischt hat.

Den Amtsinhaber unterstützt Perdue auch in seinen substanzlosen Vorwürfen wegen Wahlbetrugs in Georgia. Perdues Cousin Sonny war von 2003 bis 2011 Gouverneur des Bundesstaates und wurde 2017 zum Landwirtschaftsminister unter Trump.

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Der 33-jährige Demokrat Jon Ossoff hatte noch nie ein politisches Amt inne. Während seiner Schulzeit absolvierte er aber bereits ein Praktikum beim Bürgerrechtler John Lewis. Ossoff leitet eine Produktionsfirma für Dokumentationsfilme, die ihren Sitz in London hat. Sie veröffentlichte etwa Recherchen der BBC im Zusammenhang mit IS-Kriegsverbrechen oder Todesschwadronen in Ostafrika.

Bereits 2017 sammelte Ossoff Wahlkampferfahrungen und musste sich nur um wenige Prozentpunkte in einem konservativen Kongress-Distrikt geschlagen geben. Der Fokus in der Senatswahl lag beim 33-Jährigen nun klar auf Gesundheit, Wirtschaft und dabei vor allem auf der Förderung von Kleinunternehmen.

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Eine Wahl konnte die republikanische Senatorin Kelly Loeffler noch nicht gewinnen. Die heute 40-Jährige wurde im Vorjahr nach dem gesundheitlichen Rücktritt von Senator Johnny Isakson auf den Sitz ernannt. Loeffler ist Unternehmerin und unterstützte bis zu ihrem politischen Amt andere republikanische Wahlkämpfe finanziell. So etwa den Präsidentschaftswahlkampf von Mitt Romney im Jahr 2012. Ihr Mann spendete eine Million Dollar für die Wiederwahl Donald Trumps.

Loeffler gilt als Trump-treue und laut dem Datenjournalismus- und Statistikportal "FiveThirtyEight" als einzige Senatorin, deren politische Positionen vollkommen mit denen des Amtsinhabers übereinstimmen.

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Der afroamerikanische Baptistenpastor Raphael Warnock ist der demokratische Herausforderer von Senatorin Loeffler. Er wurde als Sohn von zwei Pastoren der Pfingstbewegung geboren und ist seit 2005 Pastor an der Ebenezer Baptist Church – jener Kirche, an der Bürgerrechtsikone Martin Luther King Co-Pastor gewesen ist.

Seine Kandidatur wurde unter anderem von den ehemaligen Präsidenten Jimmy Carter und Barack Obama unterstützt. Für politische Proteste wurde Warnock bereits zweimal vorübergehend festgenommen: Einmal 2012 als er für Obamacare demonstrierte und einmal 2017 als er gegen Kürzungen des Sozialprogramms auf die Straße ging. (bbl, 5.1.2020)