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Indonesien gehört zu den größten Produzenten von Energie aus Geothermie.

Foto: Reuters/WILLY KURNIAWAN

Wer in Österreich dieser Tage vor die Tür tritt, steigt auf kühle oder gefrorene Erde, schneebedeckte Wiesen oder kalten Beton. Schwer vorstellbar, dass es irgendwo darunter vor Hitze nur so brodelt. Tatsächlich ist die Wärme nicht immer eine Frage der Jahreszeit, sondern auch eine Frage der Tiefe: Mit jedem Kilometer ins Erdinnere nimmt die Temperatur zu. In einem Kilometer Tiefe hat es zwischen 35 und 40 Grad Celsius, in 2,5 Kilometern rund 145 Grad und im inneren Erdkern rund 6.000 Grad. Allein in den oberen zehn Erdkilometern ist laut der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (Irena) 50.000-mal so viel Energie gespeichert wie in allen weltweiten Öl- und Gasvorkommen zusammen. Alles, was wir tun müssten, ist, diese Energie anzuzapfen. Oder nicht?

Schattendasein

Die Geothermie gehört wie die Solar-, Wind-, Bioenergie und Wasserkraft zu den erneuerbaren Energien – jenen Energiequellen, die von Staaten überall auf der Welt im Kampf gegen den Klimawandel gerade mit Milliardensummen gefördert werden. Doch während Solar- und Windenergie im Zentrum der finanziellen Zuwendungen stehen, fristet die Geothermie seit Jahren ein Schattendasein.

Laut Irena kommen gerade einmal 0,3 Prozent der weltweiten Stromerzeugung aus der Geothermie. Die größten Produzenten sind die USA, Indonesien, die Philippinen, die Türkei und Island. Aber mit Ausnahme der Philippinen, Islands und einiger weniger anderer Länder liegt der Anteil der Geothermie an der nationalen Stromproduktion selbst bei den größten Erzeugern nur im einstelligen Prozentbereich.

Auch in Österreich ist von Geothermie meist nur dann die Rede, wenn es um Thermenregionen wie Bad Waltersdorf geht. Laut Geologischer Bundesanstalt haben Teile des Burgenlands und der Südoststeiermark das größte Potenzial für den Geothermie-Ausbau. Aber bisher deckt die Geothermie hierzulande nur 2,5 Prozent der Wärme aus Erneuerbaren und weniger als 0,1 Prozent der Stromproduktion ab.

1960 erste Anlangen

Dabei wird die Energie aus Erdwärme überall auf der Welt schon seit Jahrtausenden zum Heizen und Kochen verwendet. Die Wärme entsteht zum größten Teil aus radioaktivem Zerfall im Erdinneren und tritt in regelmäßigen Abständen als Magma an die Erdoberfläche. Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Hoffnungen groß, die Erdwärme mittels industrieller Anlagen und Pumpen großflächig nutzen zu können. 1960 startete die erste kommerzielle Geothermie-Stromproduktion in den USA, in den Jahren darauf folgten Anlagen in Italien, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Australien.

Geothermie-Weltmeister Island

Paradebeispiel ist wohl Island. In kaum einem anderen Land trägt Geothermie so viel zur nationalen Energieproduktion bei – 30 Prozent der Stromerzeugung und rund 87 Prozent des heißen Wassers für Haushalte und zum Heizen kommen von der Erdwärme. Kein Wunder: Island, wo die nordamerikanische und die eurasische Platte aufeinandertreffen, strotzt nur so vor Vulkanen, kochenden Schlammtöpfen und Fumarolen.

Die Energie aus Geothermie soll dabei helfen, das Land in den nächsten Jahren zur Gänze von fossilen Energien unabhängig zu machen. Zudem beflügelt die Erdwärme einige andere Initiativen zur erneuerbaren Energieerzeugung, etwa synthetische Treibstoffe. Das Unternehmen Carbon Recycling International nutzt Gase und Abwasser eines nahe gelegenen geothermischen Kraftwerks, um daraus grünes Methanol als Treibstoff für Fahrzeuge herzustellen.

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Island ist aufgrund seiner außergewöhnlichen Lage wie für die Geothermie geschaffen.
Foto: REUTERS

Tief in den Untergrund

Island mag zwar außerordentlich geeignet für die Nutzung von Erdwärme liegen, theoretisch ließe sich diese laut Experten aber in vielen Regionen der Erde nutzen. Mithilfe verbesserter Technologien wie der sogenannten tiefen Geothermie kann Wärme heute in 400 bis mehreren tausend Metern Tiefe genutzt werden. Dabei dient entweder heißes Wasser oder Dampf im Untergrund als Wärmequelle, oder es wird Wasser zur Erwärmung mittels Fracking in heißes Gestein gepresst und anschließend wieder an die Oberfläche befördert.

Im Gegensatz zu industriellen Anlagen reichen bei Haushalten in manchen Fällen aber schon einige Meter Tiefe für die Heizung und Kühlung. Bei der sogenannten oberflächennahen Geothermie werden beispielsweise Plastikrohre mit einem Wasser-Glykol-Gemisch horizontal im Erdboden verlegt. Im Winter steuert die höhere Bodentemperatur mithilfe einer Wärmepumpe zur Heizung im Haus bei, im Sommer kann sie die Räume bei Bedarf kühlen.

Die Frage ist: Wenn Erdwärme in so großem Ausmaß vorhanden und frei verfügbar ist, warum hat sie dann nicht schon längst fossile Energien und andere erneuerbare Energien abgehängt?

Angst vor Erdbeben

Eine erste Antwort auf diese Frage findet sich in einigen deutschen und französischen Medienberichten der vergangenen Wochen. Anfang Dezember hat im Elsass nördlich von Straßburg nach einer Geothermie-Bohrung die Erde gebebt – mit einer Stärke von 3,5 auf der Richterskala. Eindeutig beweisen können Experten den Zusammenhang zwischen der Bohrung und dem Beben nicht – das Vertrauen in die Geothermie innerhalb der Bevölkerung vermochte das Beben dennoch zu erschüttern.

Auch in anderen Ländern wie Australien und Südkorea kam es in der Vergangenheit bereits zu leichten bis mittelstarken Beben nach Tiefenbohrungen. Allerdings entgegnen Experten, dass die Gefahr größtenteils minimiert werden kann, etwa indem ausreichend Daten zu Geologie und seismischer Aktivität gesammelt werden oder der im Untergrund erzeugte Druck reduziert wird. Bei bestimmten Eingriffen entstehen laut Experten notwendigerweise kleine Beben. In den meisten Fälle seien diese aber nicht spürbar und lokal begrenzt.

Politische und wirtschaftliche Risiken

Eine weitaus größere Hürde als das öffentliche Misstrauen stellt der finanzielle und technische Aspekt dar. Größere Geothermie-Anlagen sind teuer und haben eine lange Vorlaufzeit, in der der Untergrund erst einmal untersucht und analysiert werden muss. Das wiederum birgt laut Experten viele politische und wirtschaftliche Risiken. Schon in den 1980er-Jahren machte billige Kohle Geothermie kaum mehr wettbewerbsfähig, heute liegt auch der Preis für Solar- und Windenergie darunter. Je nach Anlage und Standort kann Strom aus Geothermie laut der Energieorganisation Irena rund das Doppelte von Solar- und Windenergie kosten.

Allerdings hat die Geothermie, wie Befürworter entgegnen, auch einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen erneuerbaren Energien: Die Energie ist rund um die Uhr und das ganze Jahr über verfügbar und könnte damit etwa Wind- oder Sonnenflauten ausgleichen. Würden diese Vorteile eingerechnet, käme die Errichtung neuer Geothermie-Anlagen laut der US-Energiebehörde nur wenig teurer als beispielsweise jene von Solaranlagen.

Mehr Investitionen

Zudem müssen Staaten, um eine gefährliche Klimaerwärmung zu verhindern, auf massenweise fossile Energien und CO2 verzichten – ein Umstand, der vielen Experten zufolge in Zukunft auch die Geothermie beflügeln könnte. In der ersten Hälfte des vergangenen Jahres investierten Staaten und Unternehmen laut Bloomberg New Energy Finance mehr als 675 Millionen Dollar in Geothermie-Anlagen, sechsmal mehr als im Jahr zuvor. Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (Irena) geht davon aus, dass die Geothermie bis 2050 in Europa um das Achtfache und weltweit um das Zwölffache wachsen wird. Umso mehr Projekte gefördert werden und in Betrieb gehen, desto fortschrittlicher werde die Technologie und desto schneller fallen wiederum die Kosten für die Energiegewinnung, so die Organisation.

In die Entwicklung einsteigen könnten zum Teil genau jene, die von der Energiewende verdrängt würden: die Öl- und Gasindustrie. Der jahrelange Fracking-Boom hat den Unternehmen ein anschauliches Wissen über Tiefenbohrungen und Untergrund-Geologien eingebracht. In der kanadischen Provinz Alberta untersuchen Ingenieure gerade die Möglichkeit, einige der insgesamt 4.000 Öl- und Gasbohrungen in Geothermie-Kraftwerke umzuwandeln. Immerhin erreicht die Temperatur auf dem Grund einiger Bohrlöcher bis zu 140 Grad Celsius.

Finanzielle Anreize

Bis diese Anlagen umgerüstet und neue Anlagen vorhanden sind, wird aber noch einiges Geld in die Branche fließen müssen. Befürworter der Technologie sehen dabei auch die Staaten in der Pflicht. Diese müssten einige der Risiken hoher Investitionskosten bei Geothermie-Anlagen abfedern, etwa mithilfe finanzieller Anreize oder mehr Mitteln für Forschung und Entwicklung.

In den USA könnte die Geothermie laut einigen Experten mit der Präsidentschaft von Joe Biden Aufwind erfahren. China gehört schon jetzt zu den größten Investoren bei Geothermie-Anlagen, getrieben von der Hoffnung, damit Kohlekraftwerke zumindest teilweise ersetzen zu können. Und in Deutschland planen vor allem Städte wie München in den kommenden Jahren einen großen Ausbau von Geothermie-Anlagen für das Fernwärmenetz.

Daran, dass die Geothermie die Energiewende allein wird stemmen können, glauben nicht einmal die Vertreter der Branche selbst. Neben anderen erneuerbaren Energien wie Solar- und Windenergie könnte die Geothermie laut Experten aber durchaus einen entscheidenden Beitrag leisten und vom Nischendasein einmal mehr ins Feld der Wahrnehmung zurückkehren. (Jakob Pallinger, 5.1.2021)