Während andere Länder gerade erst anfangen, haben schon mehr als 1,2 Millionen Israelis ihre erste Teilimpfung gegen das Coronavirus erhalten. 45 Prozent der über 60-Jährigen sind teilimmunisiert. Israel schafft scheinbar mühelos, woran andere zu scheitern drohen.

Frage: Israel ist Impf-Weltrekordhalter. Wie machen die Israelis das?

Antwort: Premier Benjamin Netanjahu hat es genau auf diesen Weltrekord angelegt: Er steckt im Wahlkampf, ist wegen der Covid-Krise aber schwer angeschlagen. Ein Erfolg bei den Impfungen ist nun sein Ass. Israels Gesundheitssystem bietet dafür beste Voraussetzungen: Das Gesundheitsministerium entscheidet zentral, es gibt keine Landesregierungen, die bei der Impfstrategie mitreden und sie umsetzen. Es gibt eine gut ausgebaute Primärversorgung mit universalem Zugang, vieles läuft digital. Die Impfskepsis ist – zumindest bei den Risikogruppen, die als Erste geimpft wurden – viel geringer als erwartet, die Impfzentren wurden regelrecht gestürmt.

Israel ist in vielerlei Hinsicht nicht mit Österreich zu vergleichen. Es ist ein sehr kleines Land, dessen Bevölkerung sich in den Städten ballt: 92 Prozent der Israelis leben in urbanen Zentren. In den größeren Städten wurden riesige Pop-up-Impflokale aufgestellt. Da fällt die Verteilung des Pfizer-Impfstoffs mit einer Lagertemperatur von minus 70 Grad viel leichter, als das im stark zersiedelten Österreich der Fall wäre. Zudem hat Israel andere Möglichkeiten, den Run auf die Impfzentren zu bewältigen: Als diesen das Personal ausging, borgte man sich kurzerhand 700 Ärzte und Sanitäter vom Militär aus. Nicht zuletzt ist die israelische Bevölkerung deutlich jünger als die österreichische, es dauert also weniger lange, bis die Hochrisikogruppen immunisiert sind.

Frage: Israel verabreicht den Impfstoff von Pfizer/Biontech. War das eine bewusste Entscheidung gegen die anderen Anbieter?

Antwort: Nein. Israel hatte bereits Deals mit anderen Anbietern, als die Verhandlungen mit Pfizer noch ergebnisoffen waren. Als Pfizer im Herbst die Jubelmeldung ausschickte, dass das Vakzin zu mindestens 90 Prozent effektiv sei – später revidierte man auf 95 Prozent –, kam in der israelischen Regierung die Sorge auf, auf die falschen Pferde gesetzt zu haben. Man schloss einen eiligen, teuren Deal mit Pfizer ab: Unbestätigten Meldungen zufolge hat Israel pro Impfung 56 Dollar hingeblättert – mehr als doppelt so viel wie die EU-Staaten. Zudem hat sich Pfizer einige Klauseln ausbedungen, die für Israel heikel sein könnten. Den Konzern treffen keine Sanktionen, wenn er aus bestimmten Gründen eine Lieferzusage nicht einhält. Israel muss trotzdem den vollen Preis zahlen.

Frage: Hat Israel insgesamt mehr Impfdosen bestellt?

Antwort: Es gibt Deals mit mehreren Anbietern – mit Pfizer/Biontech, Moderna, Astra Zeneca und Arcturus. Details sind unklar, die Regierung hält die Verträge geheim. Rechnet man aber die kolportierten Bestellmengen zusammen, kommt man auf eine Immunisierung für 16 Millionen Menschen – bei einer Bevölkerungsgröße von neun Millionen. Und da ist der hauseigene Impfstoff noch gar nicht mitgezählt. Ein in Israel entwickeltes Vakzin namens Brilife, das nur eine einzige Verabreichung erfordert, steht derzeit in der zweiten Phase der klinischen Tests. Es soll laut Plan ab Sommer verfügbar sein.

Frage: Braucht sich Israel somit keine Sorgen mehr zu machen?

Antwort: Viel hängt davon ab, welche Impfstoffe wann zugelassen werden. Israel orientiert sich dabei an der US-Behörde FDA. Und dann ist fraglich, welche Konzerne wann liefern werden. Im Wettlauf gegen die Pandemie ist nicht nur die Menge der Dosen entscheidend, sondern auch ihr Lieferzeitpunkt. Hier sieht sich Israel bereits mit ersten Problemen konfrontiert: Da unklar ist, wann Pfizer die nächsten Chargen liefert, drosselt die Regierung jetzt das Impftempo, der Fokus liegt jetzt auf der zweiten Teilimpfung für jene, die schon einmal dran waren.

Bild nicht mehr verfügbar.

Netanjahu ließ sich als einer der Ersten impfen – was als Wahlkampfmanöver interpretiert wurde.
Foto: Reuters / Amir Cohen

Frage: Im Ausland bewundert man Israel, im Inland gibt es aber Kritik. Warum?

Antwort: Bemängelt wird, dass in erster Linie das Tempo zählt – dabei passieren Fehler. Um das tägliche Pensum zu halten, wurden lokale Impfstationen mit Paletten des Impfstoffs überhäuft, die sie dann abzuarbeiten hatten. Viele konnten dem Druck nicht standhalten. Die Impfdosen müssen aber, wenn sie einmal aufgetaut sind, binnen vier Tagen verbraucht werden. Gelingt das nicht, landet der teure Impfstoff im Müll – so geschehen in mehreren, vor allem kleineren Städten Israels.

Um solchen Verschleiß zu vermeiden, nahmen viele Impflokale vor allem am Abend vor dem Zusperren viele jüngere Israelis dran, damit sie keine Dosen wegwerfen müssen. Genau diese Dosen könnten nun aber fehlen, um weiteren Risikopatienten die erste Teilimpfung zu verabreichen – zumal die Impflokale ja jetzt vorrangig jene Personen drannehmen, die auf die zweite Teilimpfung warten. "Ich fürchte, dass einige, die die Impfung dringend brauchen würden, jetzt leer ausgehen", sagt Public-Health-Professorin Ronit Calderon-Margalit zum STANDARD. Ein Spitalsmanager erzählt hinter vorgehaltener Hand, dass es "großen Druck gab, alle zu impfen, die bei uns auftauchen" – wobei die Reihung nach Risikoklassen völlig außer acht gelassen wurde.

Frage: Wann wird das Coronavirus besiegt sein?

Antwort: Um Herdenimmunität zu erreichen, müssten mindestens 70 Prozent der israelischen Bevölkerung geimpft werden, sagt Anat Engel vom Wolfson Medical Center in Holon. Bis dahin könnte ein weiteres Jahr vergehen. Das Virus würde aber schon früher an Zerstörungspotenzial verlieren. Wenn viele ältere und vorbelastete Menschen immunisiert sind, senkt das die Sterblichkeit, die Spitäler werden entlastet.

Weniger erfreulich ist die Prognose für die palästinensischen Gebiete: Hier soll der russische Impfstoff eingesetzt werden. Abgesehen von der fraglichen Effektivität ist auch unklar, wie viele Menschen erreicht werden. Menschenrechtsorganisationen kritisieren Israel dafür, dass es seine Verantwortung als Besatzungsmacht nicht wahrnehme. Ein mangelhafter Schutz der palästinensischen Bevölkerung würde nicht zuletzt auch für Israel eine Bedrohung darstellen.

Die größte Sorge bereiten jedoch die weiter steigenden Neuinfektionen. Am Sonntag gab es über 5000 neue Fälle. Vor einer Infektion sind auch Teilimmunisierte nicht geschützt. Dazu kommt, dass sich die neue britische Mutationsvariante auch in Israel ausbreitet. Die Frage ist nun, ob das Tempo der Immunisierung mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit dieser Mutation mithalten kann – und ob der dritte Lockdown Wirkung zeigt.

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ließ sich als einer der Ersten impfen – was als Wahlkampfmanöver interpretiert wurde. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 5.1.2021)