Vergaberechtlich könnte das 1-2-3-Ticket mit seinen Höchsttarifgrenzen einen Super-GAU darstellen. Denn die Öffi-Finanzierung könnte ins Wanken geraten.

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Wien – So easy wie vom Verkehrsministerium angepriesen ist die geplante Einführung des 1-2-3-Öffi-Tickets offensichtlich nicht. Wohl ist nach Vorarlberg und Tirol mit Stadt und Land Salzburg ein zentrales Bundesland aus der Achse der Skeptiker auf die Linie des Verkehrsministeriums eingeschwenkt. Es gibt aber bei den verbleibenden Bundesländern Kärnten, Oberösterreich, Steiermark, Niederösterreich, Wien und Burgenland noch immer gravierende rechtliche Bedenken gegenüber dem Einheitstarif von 1095 Euro pro Jahr für alle Öffis.

Diese dürften mit der angekündigten simplen Abgeltung der (durch Abwanderung von Kunden von den Verkehrsverbünden hin zur neuen Fahrkartenvertriebsgesellschaft One Mobility) entstehenden Einnahmenverluste bei den Verkehrsverbünden durch den Bund nicht aus der Welt zu schaffen sein.

1-2-3-Ticket überschätzt

Zu diesem Schluss kommt der auf Handels- und Wirtschaftsrecht sowie Bürgerliches Recht spezialisierte Josef Aicher von der Universität Wien. "Das Konzept des Bundes für die Implementierung des 1-2-3-Tickets leidet an der Überschätzung der Leistungsfähigkeit einer AVS (Allgemeine Vorschrift, Anm.) des Bundes", attestiert der emeritierte Professor in seiner rechtlichen Stellungnahme zum 1-2-3-Ticket im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft der österreichischen Verkehrsverbund-Organisationsgesellschaften (Arge ÖVV), die dem STANDARD vorliegt. Dies deshalb, weil der Bund wohl involvierten Verkehrsunternehmen wie der ÖBB Vorschriften machen kann, nicht aber den von den Bundesländern getragenen Verkehrsverbünden (VV).

Tarifhoheit der Länder

Letzteren obliegt nämlich nicht weniger als die Tarifhoheit im Öffentlichen Personennah- und Regionalverkehr (ÖPNRV). Verbindliche Höchsttariffestlegungen, wie sie der Bund beim österreichweiten Teil des 1-2-3-Tickets um 1095 Euro pro Jahr plant, können laut Aichers Einschätzung rechtsverbindlich nur im Wege eines multilateralen Kooperationsvertrags erlassen werden, bei dem alle erlösverantwortlichen Partner an Bord sind. Ein solcher Vertrag müsse die Ausgabe und Anwendung des Österreich-Tickets ebenso regeln wie die Verpflichtung zur Einnahmenaufteilung und natürlich auch die Verpflichtung zur Ausgleichsleistung durch den Bund.

Anders seien die geltenden nationalen Kompetenzschranken kaum auszuhebeln, heißt es in Aichers Stellungnahme sinngemäß. Das sei zwar aufwendiger, "aber, weil konsensgetragen, für die Zukunft rechtssicher". Denn in der Regel sind Planung, Durchführung und Finanzierung des Öffi-Verkehrs mit Bahn und Bus nicht nur dezentral organisiert, sondern auch wettbewerblich.

Angeraten sei darüber hinaus ein multilateraler Einnahmenaufteilungsvertrag nach den in der Allgemeinen Vorschrift des Bundes (AVS) festgelegten Höchsttarifen, und zwar gleich für alle drei Stufen des 1-2-3-Tickets, nicht nur für die bundesweite, die dem Vernehmen nach mit dem Sommerfahrplanwechsel im Juli in Kraft treten soll.

Streit um Einnahmen

Ohne einen solchen Einnahmenaufteilungsvertrag, mit dem die der Beförderungsleistung entsprechenden Ticketerlöse den einzelnen Erlösverantwortlichen und für die Beförderungsleistung zuständigen Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünden zugeschieden werden, "kann eine auf das einzelne Verkehrsunternehmen bezogene Überkompensationskontrolle PSO-gemäß nicht stattfinden", warnt Rechtsexperte Aicher.

Er spielt damit auf eine in der öffentlichen Diskussion bis dato wenig beachtete Vorgabe aus Brüssel an: Die öffentliche Hand darf den mit der Erbringung öffentlicher Verkehrsleistungen betrauten Unternehmen nicht nennenswert mehr Kosten ersetzen als den tatsächlichen Aufwand. Alles darüber hinaus wäre eine Überkompensation, also versteckte Subvention, die verboten ist, weil sie zu Marktverzerrungen führen würde.

Super-GAU Vergaberecht

Last, but not least legt Aicher den Finger auch noch in eine Wunde, die bisher gänzlich ausgespart blieb: Neben bestehenden Bund-Länder-Vereinbarungen, die den Bundesländern Tarifhoheit gewähren, seien auch die (soeben bis 2029 abgeschlossenen) Verkehrsdienstverträge (VDV) an das 1-2-3-Regime anzupassen. Denn das 1-2-3-Ticket stelle eine gravierende Vertragsveränderung dar, sodass eine Neuausschreibung angezeigt sei, weil Betreiber mit Nettoverträgen von ihren Verkehrsverbünden Erlösausfallgarantien verlangen müssten, wodurch Netto- zu Bruttoverträgen mutieren würden. Vergaberechtlich bedeutete dies freilich einen Super-GAU – und eine ernsthafte Bedrohung für die ÖBB, weil eine Direktvergabe an die Staatsbahn laut EU-Recht nicht mehr möglich ist.

(Luise Ungerboeck, 5.1.2021)