"Cobra Kai" bringt eine alte Rivalität zurück: Johnny Lawrence (William Zabka, links) vs. Daniel LaRusso (Ralph Macchio).

Foto: Netflix/Guy D'Alema

Was war 1984 das größte Sport-Highlight in Los Angeles? Natürlich nicht Olympia, sondern das All-Valley-Turnier, das Finale im Kultfilm "Karate Kid": Daniel LaRusso (Ralph Macchio), der Außenseiter aus ärmlichen Verhältnissen, wird vom weisen Hausmeister nebenan, Mister Miyagi (Pat Morita), trainiert und besiegt mit dem spektakulären Kranichkick seinen Schulpeiniger Johnny Lawrence (William Zabka) und dessen Schergen aus dem böswilligen Karateverein Cobra Kai. Ein Triumph der Gerechtigkeit – aber keinesfalls das Ende der Fehde.

Alte Dämonen

Denn die Netflix-Serie "Cobra Kai" setzt die Rivalität mehr als drei Jahrzehnte später mit Zabka und Macchio fort, mit umgekehrten Vorzeichen: Autohändler LaRusso hat den sozialen Aufstieg geschafft, lebt als Bilderbuch-Familienvater in einer Luxusgegend. Lawrence hält sich dagegen mühsam über Wasser. Als er seinen Handwerkerjob verliert und ihn sein einstiger Rivale an die damalige Schmach erinnert, kehrt er zu seiner wahren Bestimmung zurück: Er gründet das Dojo Cobra Kai neu, das in den 1980ern aufgrund unsportlichen Verhaltens ein Turnierverbot erhalten hatte. Das damalige Opfer dieser Aggressionen, LaRusso, ist dementsprechend begeistert. Die alte Konkurrenz lebt wieder auf.

Das Finale in "Karate Kid" (Kranichkick bei 3:10).
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Die österreichische Karatekämpferin Alisa Buchinger hat die Filmvorlage als Kind "geliebt" und freut sich über deren Fortsetzung. Der Ursprung des Konflikts kommt ihr bekannt vor: "Man ist über irgend einen Kampf noch nicht hinweg, und sobald man einer Rivalin begegnet, wird man daran erinnert, wie blöd man damals verloren hat. Das ist auch bei uns ab und zu der Fall." Die Weltmeisterin von 2016 hat sich die erste Staffel angesehen. Anders als in der Filmvorlage verschwimmen Gut und Böse in der Serie. "Irgendwie ist Daniel nicht mehr so nett wie früher, er ist überheblich geworden. Und Johnny zeigt auch seine guten Seiten", sagt die Salzburgerin.

Die Serie spiegelt den Film: Der erste Cobra-Kai-Schüler Miguel (Xolo Maridueña) ist genauso ein Außenseiter wie LaRusso damals. Frisch hergezogen und von Halbstarken an der Schule drangsaliert. Also bringt Johnny dem ecuadorianischen Zuwandererkind Karate bei.

Das Problem: Er vertraut dabei auf die Philosophie seines einstigen Senseis, Vietnamkriegsveteran John Kreese (Martin Kove): "Strike First, strike hard, no mercy" – "Zuerst schlagen, hart schlagen, keine Gnade". Daniel gründet in weiterer Folge trotzig einen Konkurrenzverein, das Miyagi-Do. Dessen Grundsatz: "Karate ist nur zur Verteidigung da." Der Kampf um die Vorherrschaft im Valley ist eröffnet, er zieht sich bis in die Familien der beiden Hauptfiguren und in die örtliche Schule. Alles nur deshalb, weil zwei erwachsene Männer einen Fight vor einer halben Ewigkeit um einen Karatepokal und die Gunst desselben Mädchens noch immer nicht verarbeitet haben.

Alisa Buchinger (rechts) schlägt im Wettkampf gerne zuerst zu.
Foto: ÖKB/Ewald Roth

Zuerst schlagen, präzise schlagen, Gnade

Buchinger sieht das Cobra-Kai-Motto zwiespältig. "Zuerst schlagen" sei auch ihr Ziel in Kämpfen, Angriff sei schließlich die beste Verteidigung. "Das schreckt Gegnerinnen ab, sie agieren vorsichtiger." Im Profibereich gebe es aber auch genug Athletinnen, die defensiv orientiert sind. "Die warten auf den Fehler der Angreifenden", sagt Buchinger dem STANDARD. Beide Stile hätten ihre Berechtigung.

"Strike hard" macht für Buchinger indes keinen Sinn. "Bei uns kommt es nicht auf die Härte der Schläge an. Sie müssen vielmehr schnell und präzise sein." Die 28-Jährige tritt in Kumite-Karate an, das in Zweikämpfen ausgetragen wird. Es gilt die Semikontaktregel. "Man darf die Gegnerin schon treffen, aber kontrolliert. Das ist in der Serie nicht der Fall." Diese verzichte auch auf Faustschützer, es gehe brutaler zu. Profikämpfe seien wiederum nicht so statisch wie in "Cobra Kai". "Wir sind immer in einer Sprungbewegung und tänzeln wie Boxer herum."

Und was ist mit "No Mercy"? Das ist für Buchinger verpönt, erlebt habe sie es aber schon einmal am eigenen Leib. "Ich war verletzt, konnte nicht mehr gescheit hüpfen, wollte aber nicht aufgeben. Die Gegnerin hat ums Verrecken geschaut, dass sie den Fuß trifft." Für die Salzburgerin liege das daran, dass Karate 2021 erstmals olympisch wird. Die Qualifikationsmühle erhöhe den Druck. "Seitdem ist vielen egal geworden, was der anderen Person passiert. So ging ein Teil der ursprünglichen Ideologie verloren." Ehre, Respekt vor dem Gegner und "dass man nicht auf die verletzte Stelle des Gegners losgeht", sagt Buchinger.

Die Serie "Cobra Kai", die Fortsetzung der Rivalität.
Cobra Kai

Nostalgie mit Feingefühl

Letztere Ideologie verkörperte Mr. Miyagi und setzt sein Schüler Daniel fort. Deshalb und "weil mich Mr. Miyagi an meinen Trainer erinnert", würde sich Buchinger für diese Seite und gegen Johnnys Verein entscheiden, hätte sie die Wahl. Wobei Lawrence im Verlauf der Serie einen Lernprozess durchmacht. Etwa als er gegenüber Miguel einsieht: "Der Unterschied zwischen Gnade und Ehre wurde mir nie beigebracht." Der Lehrbetrieb wird erschwert, als Kreese wiederauftaucht. Bereits Mr. Miyagi stellte einst fest: "Es gibt keine schlechten Schüler, nur schlechte Lehrer."

Dass zahlreiche Originaldarsteller des "Karate Kid"-Universums erneut auftreten, ist sicherlich eine Stärke von "Cobra Kai". Der Serie gelingt dabei der Spagat, die Filmreihe mit dem 1980er-Charme würdig und teilweise mit Augenzwinkern fortzusetzen, ohne dabei komplett der Nostalgie zu verfallen. So überrascht es nicht, dass Netflix die Serie im Sommer 2020 vom ursprünglichen Produzenten Youtube Premium übernommen hat. Seit 1. Jänner läuft die dritte Staffel, eine vierte ist geplant.

Miyagis Erbe

Einzig auf Pat Morita müssen Fans verzichten. Der Schauspieler, der für seine Miyagi-Darstellung 1985 für den Oscar nominiert war, verstarb 2005. Seine kreativen, wortwitzigen Trainingsmethoden, etwa beim Autoputz ("Auftragen: rechte Hand. Polieren: linke Hand"), leben jedoch in Cobra Kai weiter.

Auch der Kranichkick kommt durchaus ironisch wieder vor. Aber, Mr. Miyagi in Ehren, diese Showeinlage wird man bei realen Karatekämpfen laut Buchinger nicht zu sehen bekommen. Die Technik existiere zwar, allerdings ziele ein gewöhnlicher Fußtritt, Mae-Geri, auf den Bauch. Ein Frontalkick ins Gesicht sei verboten, der Kranichkick – auf einem Bein stehend mit hochgestreckten Armen – mehr Hollywood-Fantasie als Realität: "Niemand würde sich so hinstellen. Darüber würde die ganze Halle lachen." (Andreas Gstaltmeyr, 8.1.2021)