Im Vorjahr konnte man den Eindruck gewinnen, die türkis-grüne Regierung wolle alles Militärische aus der militärischen Landesverteidigung herauslösen. Die zuständige Ministerin widerspricht.

DER STANDARD brachte Klaudia Tanner (ÖVP) ein vielsagendes Pickerl aus ihrem Ressort zum Interview mit.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Mitarbeiter Ihres Ministeriums haben unlängst einen Aufkleber "I love schwere Waffen" anfertigen lassen. Ein Motto, dem Sie sich anschließen können?

Tanner: Was das Bundesheer kann und was alles notwendig ist, um eine "umfassende Landesverteidigung" sicherzustellen, hat sich ja 2020 gezeigt: vom Cyberangriff auf das Außenministerium, wo unsere Cybersoldaten zum Einsatz kommen mussten, über die Assistenzeinsätze infolge der Corona-Pandemie bis zu dem schrecklichen Terroranschlag, wo es notwendig geworden ist, die Polizei zu unterstützen. Da ging es natürlich auch darum, gepanzerte Mobilität sicherzustellen und unsere Spezialeinheit, das Jagdkommando, bereitzuhalten. Und wer hätte gedacht, dass wir als strategische Reserve der Republik eines Tages binnen Stunden auch ein Pflegeheim übernehmen mussten?

STANDARD: Aber nicht mit Panzern?

Tanner: Natürlich geht es darum, was jeweils benötigt wird.

STANDARD: Im Sommer konnte man den Eindruck gewinnen, dass das Bundesheer auf schwere Waffen verzichten soll und nur mehr Jäger und Cyber-Soldaten braucht.

Tanner: Wir müssen sowohl das eine als auch das andere haben. Offen gestanden war ich schon sehr überrascht, dass von unseren Leopard-Panzern nur eine geringe Anzahl einsatzbereit wäre – und dass das schon seit geraumer Zeit so ist.

STANDARD: Das heißt: die Leopard-II-Panzer auf neuesten Stand bringen?

Tanner: Es geht um den Fähigkeitserhalt im Kampf der verbundenen Waffen – auf welche Art und Weise, dazu gibt es Vorarbeiten, daran arbeiten Experten: welche Systeme das sind, wie viele wir davon brauchen.

STANDARD: Mit März wollen Sie sogar hochgradig adipöse und marschuntaugliche Männer einziehen. Wieso ermuntern und ermutigen Sie nicht lieber Frauen, den Wehrdienst oder ein soziales Jahr zu absolvieren?

Tanner: Da gibt es viel zu tun, keine Frage. Deswegen möchten wir unsere 600 Informationsoffiziere frühzeitiger an die Schulen schicken, um bei allen jungen Menschen das Interesse dafür zu wecken, nicht erst, wenn die Schüler schon 17 und 18 sind. Bei den Mädchen hat es bisher offenbar nicht gereicht, dass man im Zuge der Girls Days das eine oder andere nur rosa oder pink anstreicht. Immerhin haben wir ja achtzig Einsatzfunktionen, in denen der Dienst an der Gesellschaft abgeleistet werden kann. Daher wollen wir im Zuge unserer neuen Informationsoffensive auch den Schülerinnen näherbringen, was für ein vielfältiger Dienstgeber das Bundesheer für sie sein könnte – von der ABC-Abwehr bis hin zu einer Karriere als Pilotin.

"Wir werden die Eurofighter verkaufen, wenn sich die Möglichkeit bietet, das zu tun": Heeresministerin Tanner legt zu Beginn ihres zweiten Amtsjahres dieses Versprechen ab.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Apropos: Wann soll die Entscheidung fallen, wie man mit der Luftraumüberwachung weitermacht?

Tanner: Im Fall der Hercules-Transportmaschinen ist mir deren rechtzeitige Nachbeschaffung ein besonderes Anliegen, weil mit der C-130 ja zu Beginn der Pandemie die ersten Österreicher nach Hause gebracht worden sind. Deswegen gilt es hier, aufgrund der langwierigen Beschaffungsvorgänge jetzt schon die ersten Schritte einzuleiten und unsere Arbeitsgruppe starten zu lassen ...

STANDARD: Die Hercules ist erst in sieben Jahren abgeflogen. Ist Ihr Arbeitskreis nicht eine Ablenkung davon, dass Sie die künftige Luftraumüberwachung für Österreich bis dato nicht geklärt haben?

Tanner: Das ist kein Arbeitskreis! Das ist eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Beschaffung zu beschäftigen hat, und zwar ernsthaft! Die zieht auch alle Experten bei, die mit der Materie zu tun haben ...

STANDARD: Ist es nicht vielmehr Aufgabe Ihres Generalstabs, zu beurteilen, was es für Flugzeuge braucht?

Tanner: Natürlich. Was aber – siehe die ausgephasten Saab 105, für die es nun keinen Ersatz gibt – offensichtlich verabsäumt wurde, ist, dass es dann zur Umsetzung der Beschaffung kommt. Warum hat sich bisher niemand getraut, hier nachzubeschaffen?

STANDARD: Weil auch die Kanzler- und Finanzministerpartei ÖVP ständig auf der Bremse stand – und zuerst den Eurofighter-U-Ausschuss und die Airbus-Verfahren abwarten wollte?

Tanner: Meine Vorgänger haben da Verantwortung zu tragen. Aber ich setze um – wie auch beim Ersatz der Alouette-3-Hubschrauber. Zu sagen, die 50 Jahre alten Saab 105 ist auszuscheiden, weil man doch auch auf die Sicherheit der Piloten achten muss, das hat sich bisher keiner getraut. Ich schon.

STANDARD: Wegen der hohen Flugkosten der Eurofighter herrscht jetzt Zeitdruck.

Tanner: Mit dem Eurofighter ist die Überwachung nach wie vor sichergestellt. Aber ich trage auch dem Steuerzahler gegenüber Verantwortung, das Gerichtsverfahren wegen fragwürdiger Geldflüsse gegen den Hersteller Airbus weiterzubetreiben.

STANDARD: Das macht die Eurofighter-Flugstunde aber nicht um einen Cent billiger.

Tanner: Daher werden wir auch die Eurofighter verkaufen, wenn sich die Möglichkeit bietet, das zu tun.

STANDARD: Was, wenn Sie die Eurofighter an Indonesien loswerden? Schießen wir verdächtigen Flugzeugen dann mit Pfeil und Bogen hinterher?

Tanner: Mitnichten. Ich bin immer wieder überrascht, dass sich heute niemand mehr daran erinnern kann, dass wir vor den Eurofightern auch eine Überbrückungslösung hatten.

STANDARD: Das waren die F-5 Tiger aus der Schweiz. Wollen Sie diesmal ebenfalls von einem neutralen Staat leasen oder darf es auch von einem Nato-Staat sein?

Tanner: Schauen Sie: Wegen all dieser Fragen will ich ja, dass wir uns endlich fernab von Parteipolitik einmal damit beschäftigen, wie das künftig bewerkstelligt werden könnte. Daher meine Anregung an das Parlament, dazu eine Enquetekommission abzuhalten – und genau da könnte auch geklärt werden, welche verfassungsrechtlich haltbaren Alternativen es zur bisherigen Luftraumüberwachung gäbe – etwa eine Lösung gemeinsam mit einem anderen neutralen Staat.

STANDARD: Wann kommt diese Enquete endlich?

Tanner: Den Fahrplan legt das Parlament fest.

STANDARD: Trauen Sie sich dann einen Beschluss angesichts der Ergebnisse der Kommission zu – auch wenn der lautet: "Ja, wir müssen ein neues Kampfflugzeug anschaffen"?

Tanner: Dass ich mich viel traue, habe ich in meinem ersten Amtsjahr gezeigt.

STANDARD: Gibt es einen Satz, den Sie lieber nicht gesagt hätten?

Tanner: Ich weiß, welchen Sie meinen: Airbus wird mich noch kennenlernen! Den bereue ich nicht und würde ihn jederzeit wieder sagen. (Conrad Seidl, Nina Weißensteiner, 6.1.2021)