Elisabeth Puchhammer-Stöckl leitet seit 2018 das Zentrum für Virologie der Medizinischen Universität Wien.

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Elisabeth Puchhammer-Stöckl wurde von den Mitgliedern des Klubs der Bildungs- und Wissenschaftsjournalisten zur "Wissenschafterin des Jahres 2020" gewählt. Mit der Auszeichnung wird das Bemühen von Forscherinnen und Forschern gewürdigt, die ihre Arbeit und ihr Fach einer breiten Öffentlichkeit verständlich machen wollen. Eine Aufgabe, die in Zeiten einer Pandemie besonders wichtig ist.

STANDARD: Welche Bedeutung hat Wissenschaftskommunikation in der aktuellen Situation?

Puchhammer-Stöckl: Zunächst müssen wir die Basics erklären: Wie funktioniert ein Virus? Was ist ein Antikörper- und was ein PCR-Test? Früher haben wir das nur unseren Studentinnen und Studenten beigebracht, heute geht es darum, dieses Wissen der breiten Bevölkerung verständlich zu kommunizieren.

STANDARD: Sie erklären offen, genau und ohne bei den Menschen Hysterie zu erzeugen. Wie machen Sie das?

Puchhammer-Stöckl: Ich versuche immer, meine Antworten sachlich zu halten. Statements in den Medien sind oft sehr dramatisch, gerade in dieser Pandemie. Die meisten Wissenschafterinnen und Wissenschafter versuchen aber, auf einer objektiven Ebene zu bleiben. Wir lernen in unserer Ausbildung, alles so zu sehen, wie es nun einmal ist – jede Überbewertung ist in unserem Beruf schlecht und rächt sich meist sofort bei der nächsten wissenschaftlichen Arbeit.

STANDARD: Einige Ihrer Kolleginnen und Kollegen haben sich im letzten Jahr auch aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und wollten nicht in den Medien zitiert werden. Können Sie das nachvollziehen?

Puchhammer-Stöckl: Ja, das kann ich. Unser beruflicher Alltag ist an sich schon sehr zeitintensiv. An unserem Institut machen wir ja neben der normalen Arbeit viele zusätzliche Corona-Projekte und haben in diesem Jahr auch ein Sentinel-System aufgebaut, also ein Werkzeug zur epidemiologischen Überwachung der Corona-Infektionen. Da ist irrsinnig viel zu tun, und es bleibt nicht immer die Zeit, auch noch mit Journalisten und Journalistinnen in den Medien zu sprechen – zumal wir vieles oft auch schon mehrmals öffentlich erklärt haben. Irgendwann ist es auch wieder an der Zeit, sich der Forschung zu widmen.

STANDARD: Manche Expertinnen und Experten haben sich auch zurückgezogen, weil sie laut eigenen Aussagen instrumentalisiert oder in ein "falsches Eck gedrängt" wurden. Wie stehen Sie dazu?

Puchhammer-Stöckl: Wir am Institut haben immer versucht, es beim Virologischen zu belassen, keine privaten Meinungen öffentlich abzugeben und uns nicht politisch vereinnahmen zu lassen. Vieles muss ohnehin von der Politik kommuniziert werden, sie ergreift ja auch die Maßnahmen.

STANDARD: Wie hat sich dieses Jahr auf die öffentliche Wahrnehmung Ihres Fachbereichs ausgewirkt?

Puchhammer-Stöckl: Unglaublich. Fast jeder Mensch weiß jetzt, wie ein Virus funktioniert, was ein Antikörpertest ist, und die Leute diskutieren über Sensitivitäten von Testverfahren. Unser Fachbereich ist hoch spezialisiert, und es gibt relativ wenig Menschen, die hier arbeiten – es ist quasi ein Mangelfach. Doch in diesem Jahr ist die Aufmerksamkeit enorm gewachsen, vielleicht wirkt sich das auch positiv aus, und in Zukunft gibt es mehr Mikrobiologinnen und -biologen sowie Virologinnen und Virologen.

STANDARD: Oft heißt es scherzhaft, dass es in Österreich plötzlich neun Millionen Virologinnen und Virologen gibt. Wird dieses neue Wissen in der Bevölkerung auch langfristige Folgen oder sogar gesundheitliche Vorteile haben?

Puchhammer-Stöckl: Mehr Wissen in Bezug auf Gesundheit schadet nie, etwa über richtige Hygiene. Ob dass das letzte Jahr Auswirkungen auf die Akzeptanz von Impfungen hat, kann ich derzeit nicht beurteilen.

STANDARD: Ist die aktuelle Lage auch eine Chance für Ihr Fach bzw. die Wissenschaft insgesamt – könnten mehr finanzielle Mittel für die Forschung die Folge sein, auch für Themengebiete abseits von Corona?

Puchhammer-Stöckl: Da bin ich mir nicht sicher. Zwar gibt es international unglaublich hohe Förderungen für die Forschung zu Corona, dass sich das aber auf andere Themenbereiche in der Virologie auswirkt, würde ich nicht vermuten. Obwohl wir uns das sehr wünschen, denn Viren sind unglaublich wichtig. Viele infizieren uns ja nicht nur akut, sondern bleiben auch langfristig in uns – sogenannte persistierende Viren. Sie beeinflussen auch, wie wir altern, ob wir chronische Entzündungen entwickeln oder Autoimmunerkrankungen.

STANDARD: Ist auch das Bewusstsein für die Gefahr durch Pandemien gestiegen?

Puchhammer-Stöckl: Das Bewusstsein, dass es Pandemien geben kann, ist immer da gewesen – nur eben nicht in dieser Dringlichkeit. Nahezu alle Länder hatten Pandemiepläne. Diese wurden nun aktualisiert und angepasst. Pandemien kommen immer wieder vor, wenn es aber 50 Jahre bis zur nächsten dauert, denkt meist keiner mehr daran.

STANDARD: Hätte die Politik in Österreich im letzten Jahr mehr auf die Wissenschaft hören sollen?

Puchhammer-Stöckl: Das ist eine schwierige Frage, denn hier handelt es sich um zwei verschiedene Welten. Wir gehen in der Wissenschaft oft von Wahrscheinlichkeiten aus und sagen oft Sätze wie: "Das ist nicht gesichert", oder: "Es braucht noch mehr Studien dazu". Die Politik hingegen muss entscheiden. Zudem waren in dieser Pandemie vor allem Modellierer und Mathematiker für die politischen Entscheidungen wichtig – und die Zahlen, etwa zur Auslastung der Intensivstationen – und weniger, wie die Virusreplikation funktioniert oder Details zum Rezeptor.

STANDARD: Nun zu zwei aktuellen Themen. Eine neue, infektiösere Virusvariante ist vor allem in Großbritannien im Umlauf. Verursacht sie schwerere Verläufe?

Puchhammer-Stöckl: Offenbar nicht, die britischen Kolleginnen und Kollegen, die das untersucht haben, konnten das bereits dementieren. Auch die Wahrscheinlichkeit, an Covid-19 zu sterben, ist durch die Mutation nicht erhöht. Diesbezüglich müssen wir eher keine Sorge haben.

STANDARD: Ist es aufgrund der neuen Mutation sinnvoll, mehr Abstand zu halten als einen Meter bzw. den berühmten Babyelefanten und reichen für eine Ansteckung nun auch weniger als 15 Minuten?

Puchhammer-Stöckl: Ich habe nie verstanden, warum häufig von diesen 15 Minuten die Rede ist. Man kann sich sicher auch in einem viel kürzeren Zeitraum anstecken, etwa wenn einen jemand direkt anhustet. Ob der Mindestabstand ausgeweitet werden sollte, darüber haben wir am Institut auch schon gesprochen. Natürlich könnte man das in Betracht ziehen, in anderen Ländern werden auch 1,5 oder zwei Meter empfohlen. Allerdings müssten wir dafür noch mehr über diese Variante wissen.

STANDARD: Können Genesene an der britischen Variante erneut erkranken?

Puchhammer-Stöckl: Bisher konnte das nicht beobachtet werden. Die breite Immunantwort durch die erste Infektion dürfte auch vor einer Erkrankung durch diese Variante schützen. Aufgrund dessen, was wir allgemein über Immunantworten wissen, würde ich nicht annehmen, dass es nun zu einer großen Reinfektionswelle kommt.

STANDARD: Um den Impfplan zu beschleunigen, sollen mehr Menschen mit einer ersten Dosis geimpft werden und die zweite Gabe erst später erhalten. Ist das wirklich sinnvoll?

Puchhammer-Stöckl: Zunächst müsste man mit begleitenden Antikörpertests beobachten, ob das wirklich funktioniert, und wie lange man mit der zweiten Dosis warten kann. Prinzipiell wissen wir, dass eine zweite Dosis ein Booster ist, der die Immunantwort deutlich stärkt. Alle Studien, die durchgeführt wurden, haben die Wirksamkeit von zwei Dosen untersucht. Wird die Impfung anders eingesetzt, wäre das ein sogenannter "Off-Label-Use" und das ist meiner Meinung nach mit Vorsicht zu betrachten. Auch die Zulassung ist ja für zwei Impfdosen erfolgt. Ich sehe keinen Grund, warum man ohne entsprechende Daten davon abweichen sollte. (Bernadette Redl, 7. 1. 2021)