Matthias Karmasin, Kommunikationswissenschafter mit Fokus auf Ethik und Wirtschaft, Direktor des Institute for Comparative Media and Communication Studies (CMC) an der Akademie der Wissenschaften und Professor an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. Gründer und Gesellschafter der Forschungsgesellschaft Medienhaus Wien.

Foto: privat Illustration: Armin Karner

Die Prognose von Matthias Karmasin (Akademie der Wissenschaften, Medienhaus Wien)

Was erwarten Sie 2021 für Österreichs Medienbranche? Was sind Ihre Hoffnungen und Wünsche, was Ihre Befürchtungen? http://derStandard.at/Etat hat Medienmanagerinnen und -manager, Journalistinnen und Journalisten sowie Expertinnen und Experten aus Österreichs Medien- und Kommunikationsbranche und -wissenschaft mit einem Online-Fragebogen um ihre Beiträge gebeten. Sie konnten wählen, ob sie namentlich antworten, wenn wir sie zitieren dürfen, oder anonym. Die namentlich beantworteten Fragebögen veröffentlichen wir in diesen Tagen.

"Kritische Auseinandersetzung mit der Sozialfigur des Experten / der Expertin"

Matthias Karmasins Viel-Punkte-Programm der Wünsche, Befürchtungen und Hoffnungen 2021:

Was kommt 2021 auf die Medienbranche zu? Bitte verraten Sie uns Ihre Erwartungen über Entwicklungen, Herausforderungen etc.!

"Global:

  • Verschärftes Marktversagen;
  • Konzentration;
  • Druck der Digitalisierung;
  • Kampf um Meinungsfreiheit und Pressefreiheit und auch informelle Versuche, diese zurückzudrängen (illiberale Demokratie als Euphemismus);
  • Relevanz von Streaming für Film (Kunst);
  • Serie als neue Erzählform stabilisiert sich;
  • Algorithmen und AI;
  • Rolle der Intermediäre nach wie vor höchst relevant;
  • weitere Verbreitung konvergenter Endgeräte;
  • weitere Digitalisierung;
  • Deep Mediatization.

Österreich:

  • Fortsetzung der Versuche, Erlösabflüsse aus Österreich abzuwehren;
  • starker Innovationsdruck, um Erlöse im Werbe- und Publikumsmarkt zu generieren;
  • Refinanzierungskrise und Marktversagen, aber auch die Hoffnung, dass deutlich wird, dass valide Information einen hohen gesellschaftlichen und individuellen Wert hat;
  • Versuch, Contents mit lokalem und regionalem Bezug zu kapitalisieren."

Was sollte 2021 (aus Ihrer Sicht auf die Medienbranche) geschehen? Bitte verraten Sie uns Ihre Hoffnungen (und warum Sie darauf hoffen)!

"Viel:

Global

  • Mehr Freiheit;
  • mehr wirtschaftlicher und politischer Support für unabhängigen Journalismus;
  • mehr künstlerische Möglichkeiten jenseits der etablierten Streamingplattformen;
  • mehr Nachhaltigkeit (Beitrag der Medien zu den Sustainable Development Goals);
  • mehr Accountability;
  • internationales (zumindest europäisches) Monitoring (z. B. Rule of Law Report, OECD, MPM).

Österreich:

  • Innovation und Kreativität in der Medienunternehmen;
  • Schaffung journalistischer Arbeitsplätze;
  • mehr Accountability auf jeder Ebene;
  • Beitrag von Medien zu den Sustainable Development Goals;
  • Verbesserung der Wissenschaftsberichterstattung, vor allem auch außerhalb des eigentlichen Ressorts;
  • Konvergenz bei der Governance des Medienmarktes berücksichtigen;
  • Vergabe von Medienförderungen nach objektivierbaren Kriterien und durch politisch unabhängige Gremien;
  • klare Trennung von Förderung und strategischer Kommunikation;
  • Anwendung des Bestbieterprinzips bei der Vergabe von Kommunikationsleistungen;
  • Definition von Kriterien für Bestbieter (z. B. Medienselbstkontrolle, journalistische Arbeitsplätze), klare Zielsetzung (da wie dort) und Messung der Ergebnisse (kein Crowding-out, Förderung von Pluralismus und Vielfalt etc. );
  • Förderung nichtkommerzieller Medien;
  • Förderung von Wissenschaftsberichterstattung;
  • Förderung von Medienkompetenz auf vielen Ebenen;
  • Abschied von der Kompensation von Marktversagen in Richtung einer Investition in die Infrastruktur der Demokratie."

Was sollte 2021 (aus Ihrer Sicht auf die Medienbranche) nicht passieren? Bitte verraten Sie uns Ihre Befürchtungen (und warum Sie das befürchten)?

  • "Mutlosigkeit und Innovationsfeindlichkeit;
  • Abkehr von den ethischen Verpflichtungen der vierten Gewalt;
  • regulativer Stillstand angesichts des sich dramatisch beschleunigenden Marktversagens und der Geschwindigkeit der technischen Revolution (algorithmische Kommunikation, AI, Konvergenz ...);
  • eine weitere Schwächung des unabhängigen und investigativen Journalismus;
  • eine weiter Schwächung der Kreativwirtschaft und der Möglichkeiten, mediale Wertschöpfung in Österreich zu generieren;
  • eine Verschleppung einer zeitgemäßen Ordnung des dualen Marktes (vor allem angemessenes ORF-Gesetz mit gremialer Reform) und der nichtkommerziellen Medien. Zu befürchten ist aber ein Minimalkonsens, denn es gibt wenige Felder der Politik, in der der Standort den Standpunkt so deutlich bestimmt – und wo die Politik der Versuchung so stark ausgesetzt ist, über die Möglichkeiten ihres eigenen Operierens mitzuentscheiden."

Wie werden sich Covid-19, die Pandemie und die Maßnahmen dagegen auf die Medienbranche auswirken – 2021 und, wenn Sie das erwarten, auch in den Jahren danach?

  • "Wirtschaftlich: Refinanzierungskrise verschärft sich – aber auch das Bewusstsein für die Relevanz von Qualität von Information und die Relevanz von Medienkompetenz in den Redaktionen.
  • Hoffentlich das Bewusstsein, auch außerhalb der Wissenschaftsredaktionen (die das grosso modo sehr gut machen), dass man über Wissenschaft anders berichten muss als über Politik (vor allem, wenn es einen klaren wissenschaftlichen Konsens gibt).
  • Recherche über wissenschaftliche Kriterien der Qualitätssicherung (wer forscht an einem Thema, wer ist in der praktischen Anwendung, wer publiziert dazu ...).
  • Kritische Auseinandersetzung mit der Sozialfigur des Experten / der Expertin."

"Rolle der vierten Gewalt wird immer wieder zu verteidigen sein – intern und extern.

Weitere Prognosen und Positionen Karmasins zu unseren Detailfragen im Überblick:

  • Karmasin, selbst Mitglied des ORF-Publikumsrats als Vertreter der Wissenschaft, empfiehlt als Reformansatz für ORF-Gremien: Im Stiftungsrat "unabhängige ExpertInnen, nominiert nach öffentlichen Hearings, mindestens ein Drittel international". Im Publikumsrat, den er als ein "Stakeholder-Gremium" definiert: "mehr Kompetenzen und Ländervertreter integrieren".
  • Der Kommunikationswissenschafter rechnet mit der Wiederwahl von Alexander Wrabetz zum ORF-Chef (Karmasin ist nicht Mitglied im Stiftungsrat, der den ORF-General bestellt).
  • Weitere Corona-Sondermedienförderung braucht nach seiner Ansicht "klare Zielsetzungen und klare Kriterien im Sinne von Förderung von Pluralismus und Selbstkontrolle, journalistischer Arbeitsplätze, Konzentrationsbekämpfung etc." Karmasin verweist auf die Forderungen des Presseclubs Concordia. Karmasin plädiert schon lange für Qualitätskriterien und Branchenselbstkontrolle als Bedingungen für Medienförderungen. Auch die geplante Digitalförderung solle sich daran orientieren – und "Innovation und Infrastruktur der Demokratie" unterstützten.
  • Karmasins Prognose für Dietrich Mateschitz' Medienwelt: "Wenn man davon ausgeht, dass Corporate Publishing im Sinne von qualitätsvoller Organisationskommunikation wesentlich ist, wird es (wie international üblich) eher zu einer Verstetigung und Fokussierung auf die Markenwelt kommen. Weitere digitale Differenzierung ist erwartbar. Mediales Mäzenatentum (Gewinnverwendung statt Gewinnerwirtschaftung) ist schwerer einzuschätzen ..."
  • Zum journalistischen Arbeitsmarkt 2021: "Kurzarbeit und Homeoffice, bis flächendeckende Impfung da ist. Wenn keine sinnvolle Governance – Verlust von Arbeitsplätzen. Recherchedruck steigt vor allem für komplexe wissenschaftliche Themen. Weiteres Fortschreiten von Prozessjournalismus. Steigende Relevanz von Datenjournalismus in allen Ressorts. Rolle der vierten Gewalt wird immer wieder zu verteidigen sein (intern und extern)."
  • Karmasin zu Angriffen auf Journalistinnen und Journalisten: "Polarisierung wird voranschreiten – zumindest bis zur Impfung. Rolle der vierten Gewalt wird immer wieder zu verteidigen sein (intern und extern) – aber hoffentlich nur verbal und nicht körperlich. Rechtliche Möglichkeiten werden sich verbessern. Solidarität in der Branche gegen unlautere Angriffe wird steigen (z. B. Initiativen zur gemeinsamen Rechtsvertretung etc.). Nach Impfung hoffentlich Beruhigung und öffentliche Debatte über den Unterschied von legitimer Kritik und verbaler Gewalt – zumindest jedoch über die zivilisatorische Errungenschaft, sich höflich und friedlich nicht zu einigen."

(Harald Fidler, Daniela Yeoh, 7.1.2021)